Formelle und materielle Plausibilität
In das Fachgutachten neu aufgenommen wurde die Plausibilitätsbeurteilung der Planung. Unterschieden wird dabei zwischen formeller und materieller Plausibilität. Während sich die formelle Plausibilität vor allem auf den Planungsprozess sowie die rechnerische und methodische Richtigkeit der Planung bezieht, fordert die Beurteilung der materiellen Plausibilität die kritische Auseinandersetzung mit den der Planung zugrunde liegenden Annahmen. Dabei sind die wesentlichen wertbeeinflussenden Annahmen zu identifizieren und zu analysieren. Wesentlich für die Analyse sind dabei sowohl unternehmensbezogene Informationen als auch Informationen über die Unternehmensumwelt. Werden durch den Wirtschaftstreuhänder bei der Beurteilung der formellen Plausibilität Mängel festgestellt, ist zunächst die Geschäftsleitung gefordert, entsprechende Korrekturen vorzunehmen. Der Wirtschaftreuhänder selber darf keine wesentlichen Planungsannahmen treffen. Stellt der Wirtschaftstreuhänder hingegen materielle Mängel fest und können diese durch die Geschäftsleitung nicht beseitigt werden, sind seitens des bewertenden Wirtschaftstreuhänders entsprechende Korrekturen vorzunehmen. Auch in diesem Fall sind die betreffenden Annahmen im Gutachten explizit zu beschreiben.
Weitere Neuerungen im Überblick
Neu ist auch, dass der Wirtschaftstreuhänder eine eigene Planungsrechnung z.B. auf Basis der Vergangenheitsanalyse und der dabei festgestellten Entwicklungen erstellen darf, sofern eine für Zwecke der Unternehmensbewertung geeignete Planung nicht vorhanden sein sollte. Völlig neu ist die Berücksichtigung von Multiplikatorverfahren zur Bestimmung von Unternehmenswerten als potenzielle Marktpreise. Zwar sind die Multiplikatorverfahren auch weiterhin nicht den Diskontierungsverfahren völlig gleichgestellt, doch dürfen sie nunmehr zur Plausibilisierung der Bewertungsergebnisse herangezogen werden, sodass den Multiplikatorverfahren dadurch eine ganz wesentliche Rolle im Rahmen der Unternehmensbewertung zukommt. Nach dem neuen Fachgutachten kommen insbesondere folgende Bezugsgrößen für die Anwendung von Multiplikatoren infrage: Umsatz, Gewinn vor Zinsen und Steuern (EBIT), Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) sowie Jahresüberschuss. Gewonnen werden die Multiplikatoren entweder aus der Marktkapitalisierung vergleichbarer börsennotierter Unternehmen (Börsenmultiplikatoren) oder aus Transaktionspreisen für vergleichbare Unternehmen (Transaktionsmultiplikatoren). Können keine vergleichbaren Unternehmen (Peergroup) ermittelt werden, kann auch auf Branchenmultiplikatoren abgestellt werden. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass aufgrund der Heterogenität der Peergroup die Branchenmultiples oft nur geringe Aussagekraft besitzen. Bei sehr kleinen Unternehmen können sogar Multiplikatoren in Form von Erfahrungssätzen zur Anwendung kommen. Bei „sehr kleinen Unternehmen“ handelt es sich nach dem Fachgutachten um solche, deren Umsatzerlöse 700.000 EUR nicht überschreiten. Voraussetzung ist, dass sich über diese Erfahrungssätze eine „allgemeine Verkehrsauffassung“ gebildet hat und diese Erfahrungssätze nach Einschätzung des Wirtschaftstreuhänders eine verlässliche Grundlage für die Wertermittlung bieten. In diesen besonderen Fällen kann das Multiplikatorverfahren als „primäres“ Bewertungsverfahren angewendet werden.
Fazit
Die Neufassung des Fachgutachtens KFS/BW 1 bringt somit eine Vielzahl an Neuerungen mit sich, und auch wenn in der Vergangenheit die Stellungnahmen des Instituts der deutschen Wirtschaftsprüfer oft eine Ausstrahlungswirkung auf die Stellungnahmen des Fachsenats der Wirtschaftstreuhänder in Österreich hatten, so bleibt es dieses Mal abzuwarten, ob es nicht auch einmal umgekehrt der Fall sein könnte.
Hanno Hepke ist Partner im Bereich Corporate Finance der Warth & Klein Grant Thornton AG. Er gehört dem Grant Thornton Netzwerk seit Februar 2013 an und leitet den Industriebereich Technology, Media & Telecommunication bei Warth & Klein Grant Thornton. Hepke verfügt über 20 Jahre Berufserfahrung im Bereich Investment Banking, M&A und Corporate Finance. Er war seit 1995 in führenden Positionen bei Ernst & Young, Arthur Andersen und Price Waterhouse im Bereich Corporate Finance/M&A tätig. Sabine Wittmeier ist Manager im Bereich Corporate Finance der Warth & Klein Grant Thornton AG. Sie gehört dem Grant Thornton Netzwerk seit 2006 an und begleitete diverse M&A- und Due Diligence-Projekte insbesondere aus den Bereichen Erneuerbare Energien, Logistikdienstleistungen, Nahrungsmittel und Biotechnologie.