Die Aktienmärkte werden nervös, Fragen über die weitere Entwicklung in China, negative Tendenzen im Wachstum vieler Regionen, insbesondere in Europa, ein tiefer Ölpreis, weitere Diskussion über die Stabilität von Banken und Volkswirtschaften, Wahlen in den USA, politische Umwerfungen, Bürgerkriege, Anschläge etc. verursachen erhebliche Verunsicherung bei Unternehmen, Fonds und damit auch schlussendlich bei Exit- oder Finanzierungspartnern. Schon beginnen Venture Capital-Fondmanager weltweit ihre Unternehmen und die Finanzierungsstruktur des Portfolios auf stärkeren Gegenwind zu trimmen. Eine aktuelle Umfrage von Upfront Ventures bei 150 Venture Capital-Firmen insbesondere in den USA ergab, dass über 90% der Teilnehmer der Studie eine Bewertungsentwicklung nach unten erwarten, ein Drittel sogar „signifikante Korrekturen“.
Problemfall „Unicorn“
Wie wird der Impact auf das Bewertungsniveau in den nächsten Monaten/ Jahren sein? Die ersten Effekte sind bereits an der Spitze der Pyramide sichtbar, bei den seit einiger Zeit im Fokus des Interesses stehenden „Unicorns“, also den Unternehmen mit einer sehr hohen Bewertung, schnellen Bewertungsentwicklung basierend auf rapidem Wachstum und Finanzierungsrunden mit Investmentsummen, die Exit Bewertungen erfolgreicher Trade Sales in den Schatten stellen. „Unicorn Hunting“ ist das Schlagwort in der Branche. Viele der aggressiven Bewertungen, die nur durch ebenso aggressive Exit-Erlöse bei IPO oder Trade Sale gerechtfertigt waren, rutschen natürlich sofort rasch nach unten, wenn die Märkte nervös werden, die Bewertungsentwicklung der entsprechenden Käufer ins Stocken gerät und die Börsenmärkte zunehmend an Wachstumsphantasie verlieren. Wurden in der Vergangenheit hohe Bewertungen bei Wachstumsrunden durch ebenso hohe Bewertungen insbesondere auch bei Börsengängen validiert, so ist dieser Exitweg zunehmend versperrt oder nur mit schmerzlichen Anpassungen beim Bewertungsniveau realisierbar. Die in den letzten Jahren immer stärker auftretende Kluft zwischen Bewertungsmultiples bei privatfinanzierten versus börsennotierten Unternehmen wird jetzt zunehmend geschlossen werden, vor allem auch bei spätphasigen Investments.
Breite Masse ist gut gerüstet
Betrachtet man allerdings die breite Masse der Unternehmen wird man feststellen, dass diese extreme Bewertungsentwicklung nur auf wenige Unternehmen mit überdurchschnittlichem Potenzial oder überdurchschnittlicher Aufmerksamkeit zutrifft. Die weite Mehrheit der Start-ups, insbesondere auch in Deutschland, wird sehr traditionell auf den üblichen Parametern bewertet, die das Business-Model des Unternehmens beschreiben und die Entwicklung des Geschäfts und der Umsetzung des Business-Modells reflektieren. Hier sind auch in den letzten Jahren keine unmäßigen Entwicklungen nach oben oder unten entstanden, so dass auch ein schwierigeres Marktumfeld, das ohne Zweifel in 2016 und später auf die Branche zukommen wird, nicht fundamental das Bewertungsniveau verändern wird. Sicherlich hat ein negativer werdendes Sentiment eine dämpfende Wirkung auf Bewertungen, sicherlich werden hohe Bewertungen, insbesondere in der Frühphase Druck bekommen, die breite Mehrheit der Start-ups ist aber ohnehin weit von diesen Bewertungsniveaus entfernt.
Internationale Investoren: Chance und Herausforderung
Eine wichtige Rolle spielen hier insbesondere die international agierenden Venture Capital-Gesellschaften, die einen erheblichen Teil der Investitionen in Deutschland stemmen. Die Aktivitäten dieser Investoren haben in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung erfahren, was nicht zuletzt auch die gestiegene Qualität der deutschen Gründerszene und der Infrastruktur für Start-ups in Deutschland dokumentiert. Ihre Einschätzung der Märkte – nicht nur des deutschen – hat einen erheblichen Einfluss auf den spezifischen Appetit auf deutsche Unternehmen, die dabei immer im Vergleich zu anderen Investitionsmöglichkeiten in anderen Geographien stehen. Die vergleichsweise stabile Entwicklung in Deutschland, sowohl wirtschaftlich als auch speziell die wachsende Attraktivität der hiesigen Venture Capital-Branche, haben einen wertvollen Beitrag dazu geleistet, dringend notwendige Mittel in das Land zu holen.
Ausblick
Bei rauer werdender See wird allerdings das Investitionsvolumen stärker auf naheliegende Ziele fokussiert werden, bzw. für bestehende Portfoliounternehmen reserviert. Dies beinhaltet ein nicht zu unterschätzendes Risiko für den Standort Deutschland, da bei vielen der lokal tätigen Venture Capital-Investoren die Entscheidungen in den Zentralen der Managementgesellschaften und eben nicht vor Ort in Deutschland getroffen werden und die Gefahr wächst, dass vermehrt deutsche Start-ups der „Risikovorsorge“ zum Opfer fallen. Umgekehrt entsteht hier eine Chance für deutsche Venture Capitalisten, die mit weniger Wettbewerbsdruck in diese eventuell entstehende Lücke drängen könnten, bei Unternehmen, die realistisch und langfristig das richtige Bewertungsniveau anstreben. Wobei sich leider dann wieder die schmale Anzahl deutscher Venture Capital-Gesellschaften negativ bemerkbar machen könnte, die sicher nicht personell und finanziell in der Lage sind, ein deutlich größeres Investitionsvolumen kurzfristig zu stemmen, um internationale Investoren zu ersetzen.
Bernhard Schmid ist Partner der französischen Beteiligungsgesellschaft XAnge. Zuvor war er Partner bei DVC Deutsche Venture Capital, hatte Innotech, den Corporate Venture Capital-Arm der Energie Baden-Württemberg AG (EnBW), mitaufgebaut und war Investment-Manager in der deutschen Niederlassung des amerikanischen Venture Capital-Hauses Atlas Venture.