Im Juni 2016 haben sich die britischen Wähler mehrheitlich für einen Austritt ihres Landes aus der EU entschieden. Als Folge wird die britische Regierung in den kommenden Monaten mit den Spitzen der verbleibenden EU-Staaten in Verhandlungen über die konkreten Modalitäten eines Austritts eintreten. Sofern hier keine einvernehmlichen Regelungen erzielt werden können, erfolgt der Austritt automatisch mit Ablauf von zwei Jahren, nachdem die Briten ihre Brexit-Absicht offiziell gegenüber der EU angezeigt haben.
Somit steht bereits heute fest, dass sich die rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen für den Wirtschaftsverkehr zwischen britischen Unternehmen und Firmen aus der verbleibenden EU verändern werden. Zeitpunkt und Umfang dieser Veränderungen sind allerdings noch überhaupt nicht abzusehen. Eines ist aber schon heute klar: für UK-Unternehmen wird es keinen freien Zugang zum Binnenmarkt mehr geben, wenn, wie beabsichtigt, die Freizügigkeit für EU-Bürger eingeschränkt werden soll. Dies wird die Wettbewerbsfähigkeit britischer Firmen deutlich beeinträchtigen. Und solange die Briten sich nicht entschieden haben, wann genau und unter welchen Modalitäten sie aus der EU austreten werden, wird sich zudem die damit verbundene Unsicherheit negativ auf das Investitionsklima und die M&A-Aktivität von Unternehmen aus dem Vereinigten Königreich auswirken. Auch deutsche Firmen bekommen die Brexit-Entscheidung negativ zu spüren, allen voran Großkonzerne, die auf der Insel über Produktionsstätten verfügen und/oder einen hohen Exportanteil mit Großbritannien haben. So musste etwa der Autobauer Opel infolge der stark rückläufigen Nachfrage aus England im August Kurzarbeit ankündigen.
Es ist davon auszugehen, dass sich künftig deutsche Konzerne bei Zukäufen in Großbritannien stark zurückhalten werden, und englische Firmen werden bei verhaltenen Ergebnisaussichten und einem schwachen Pfund ebenfalls gründlich prüfen, ob sie ihre Kriegskassen für vermeintlich teure deutsche Zielunternehmen nutzen möchten. Bedeutet dies, dass wir – ähnlich wie in Großbritannien – auch hierzulande einen spürbaren Dämpfer bei M&A sehen werden?
Nein, der deutsche M&A-Markt zeigt sich trotz Brexit in erstaunlich guter Verfassung. Grenzüberschreitende Transaktionen im sogenannten Mid Cap- und Large Cap-Segment finden in jüngster Zeit primär mit US-amerikanischer und asiatischer Beteiligung statt – Tendenz stark steigend. Dagegen ist der Anteil deutscher Übernahmen im europäischen Ausland ebenso rückläufig wie der Anteil von Zukäufen europäischer Firmen in Deutschland.
Aufgrund der abnehmenden Bedeutung Großbritanniens für den globalen M&A-Markt und für die deutsche Volkswissenschaft ist hierzulande für M&A-Professionals britische Gelassenheit angezeigt: „Keep calm and focus on other geographies!“
Dr. Michael Drill ist Vorstandsvorsitzender der Lincoln International AG, eines auf M&A-Beratung spezialisierten Beratungshauses mit weltweit etwa 450 Mitarbeitern. Lincoln International verfügt über eigene Büros in den weltweit zehn größten Volkswirtschaften der Welt. 2015 hat Lincoln International weltweit 166 und in Deutschland 26 Transaktionen erfolgreich abgeschlossen.