Geopolitische Unsicherheiten, eine anhaltende Schwäche der Eurozone, der anstehende Brexit sowie drohende US-amerikanische Einfuhrzölle sind für das M&A-Geschehen in Europa alles andere als förderlich. Gleichwohl halten wir die Rahmenbedingungen für den deutschen M&A-Markt weiterhin für intakt und erwarten für 2017 im Vergleich zum Vorjahr einen weiteren Anstieg der Anzahl grenzüberschreitender Transaktionen. Für deutsche Firmeneigentümer war die Zeit wohl noch nie so gut, um einen Unternehmensverkauf in Erwägung zu ziehen.
Auf der Kaufseite steht bei vielen ausländischen Großkonzernen die Übernahme eines deutschen Konkurrenten ganz oben auf der Prioritätenliste. Amerikanische oder asiatische Strategen, die in Europa akquirieren möchten, konzentrieren sich in der Regel auf Targets, die in Deutschland, der größten Volkswirtschaft Europas, ansässig sind. Deutsche Firmen sind bekannt für innovative Technologien, professionelle Strukturen und hervorragend ausgebildete Mitarbeiter. Neben strategisch motivierten Käufern zeigen hierzulande ebenfalls viele Private Equity-Häuser und Family Offices ein starkes Interesse, in mittelgroße Unternehmen zu investieren. Diese wachsenden Käufergruppen stehen unter enormem Anlagedruck und buhlen untereinander um relativ wenige verfügbare Akquisitionsgelegenheiten.
Zudem weisen die meisten deutschen Unternehmen im Jahr 2016 sehr erfreuliche Geschäftszahlen aus. Der niedrig bewertete Euro und die günstigen Rohstoff- und Energiepreise stärken die internationale Konkurrenzfähigkeit vieler Firmen und resultieren in hohen Profitabilitätsmargen. Auch für das laufende Jahr entwickelt sich das Current Trading bei den meisten Unternehmen sehr erfreulich über Budget. Gesunde Bilanzen und Ergebniskennziffern erleichtern M&A-Transaktionen.
Und schließlich bewegen sich in dem anhaltend niedrigen Zinsumfeld die erzielbaren Kaufpreismultiplikatoren – ähnlich wie an den Aktienbörsen – auf einem Rekordniveau. Für profitable und wachsende Unternehmen mit klaren technologischen Wettbewerbsvorteilen sind zweistellige EBITDA-Multiplikatoren auch im sogenannten Mid Cap-Segment, also bei Unternehmen in einer Wertbandbreite von 25 Mio. EUR bis 500 Mio. EUR, zunehmend die Regel und keine Ausnahme.
Vor diesem Hintergrund erwarten wir, dass nicht nur für zahlreiche Portfoliounternehmen in Private Equity-Hand, sondern ebenfalls für zahlreiche Familiengesellschaften und für Randaktivitäten von Großkonzernen in den kommenden Monaten Verkaufsprozesse aufgegleist werden. Einen regen Dealflow erwarten wir insbesondere in den Bereichen Technologie, IT, Software, E-Commerce und Healthcare. Größeren Konsolidierungsdruck sehen wir zudem bei den Automobilzulieferern sowie im Einzelhandel. Insgesamt werden aber alle Branchen von Akquisitionen und Übernahmen geprägt sein. Diese Markteinschätzung deckt sich mit unserer eigenen Sell Side Pipeline, die noch nie so gut gefüllt war wie zu Beginn des Jahres.
2016 haben vor allem chinesische Käufer mit zahlreichen Übernahmen in Deutschland sowie große DAX-Konzerne mit spektakulären Mammutübernahmen in den USA das Marktgeschehen geprägt. In diesem Jahr sehen wir auf der Käuferseite eine stärkere Verschiebung hin zu börsennotierten amerikanischen und japanischen Firmen. Diese verfügen über immense Cash-Bestände in ihren Bilanzen und sind am Aktienmarkt sehr ambitioniert bewertet; sie werden die an sie gestellten hohen Wachstumserwartungen nur über anorganischen Wachstum erfüllen können. Hingegen dürfte der Boom chinesischer Übernahmen 2017 etwas abflauen, da die Regierung in Peking jüngst die Auflagen für Auslandsinvestitionen verschärft hat.
Doch aller Euphorie zum Trotz: Auch wenn der M&A-Markt 2017 für Firmenverkäufer heiß läuft, werden Käufer, die hohe Preise aufrufen, zu Recht auf umfassende Due Diligence-Prozesse und Absicherungen in den Kaufverträgen drängen. In der Konsequenz werden strukturierte Bieterprozesse komplexer und etwas mehr Zeit erfordern.
Dr. Michael Drill ist Vorstandsvorsitzender der Lincoln International AG, einem auf M&A-Beratung spezialisierten Beratungshaus mit weltweit etwa 450 Mitarbeitern. Lincoln International verfügt über eigene Büros in den weltweit zehn größten Volkswirtschaften der Welt. 2016 hat Lincoln International weltweit 161 und in Deutschland 29 Transaktionen erfolgreich abgeschlossen.