VC Magazin: Wenn Frauen gründen, dann in anderen Branchen und mit anderen Zielen: Wirtschaftlichkeit und Profitabilität statt Expansion und Wachstum – also doch wieder weniger Risikobereitschaft?
Achleitner: Man könnte auch sagen, dass es Frauen sehr wichtig ist, dass sie geborgte Summen zurückzahlen. Doch ja – Frauen gründen zum Beispiel sehr viel im E-Commerce-Bereich. Aber eben nicht alle: Ich glaube, wir brauchen mehr weibliche Vorbilder in technischen Berufen. Wenn man sich die Studienverteilung von Frauen ansieht, ist – auch im internationalen Vergleich – sehr auffällig, dass zwar immer mehr Frauen studieren, dass aber der Anteil von Frauen, die in MINT-Fächer gehen, im OECD-Vergleich sogar abgenommen hat. Es entscheidet sich sehr viel, wenn junge Frauen 14 bis 16 Jahre alt sind. Deswegen ist es gut, früh Role Models zu zeigen und zu diskutieren – noch in den Schulen. Außerdem: Die Affinität von Mädchen, beispielsweise zu Mathematik, ist auch davon abhängig, wie hoch die Berufstätigkeit von Frauen in einer Gesellschaft ist. Inwieweit unterstellt eine Gesellschaft, dass Mathematik notwendiges Wissen ist, das man später als Frau unweigerlich braucht, weil man eben arbeiten wird? Berufstätige Mütter sind ein weiterer Hebel. Wer eine Mutter hat, die berufstätig ist, nimmt das als Normalität wahr.
VC Magazin: Welche Ansätze funktionieren darüber hinaus, wenn es darum geht, den Frauenanteil in Spitzenpositionen, an der Gründerquote etc. zu erhöhen?
Achleitner: Schulische Ansätze sind wichtig, aber auch, dass es auf allen Ebenen normal ist, dass man Frauen sieht. Ein Beispiel: Hier an der TU München sehen Sie Frauen als Lehrende, Gastreferentinnen und Festredner – sie sind präsent. Generell müssen mehr Frauen zu sehen sein, um eine gewisse Normalität zu zeigen.
VC Magazin: Es gibt weibliche Role Models, auch in der Fintech-Branche oder anderen technologiegetriebenen Bereichen. Warum findet man diese Frauen selten in der Berichterstattung?
Achleitner: Oft muss man diese Frauen konkret ansprechen. Es gibt einen Unterschied zwischen Männern und Frauen, den man in vielen Lebenssituationen sieht: Frauen melden sich weniger von selbst. Wir als TU München, vor allem auch an der UnternehmerTUM, sehen uns in der Pflicht, mehr Frauen anzusprechen, ob sie sich eine Gründung vorstellen können, und sie dabei zu unterstützen. Genauso ist es eine Aufgabe der Presse, Gründerinnen aktiv zu fragen, ob sie sich vorstellen können, in die Öffentlichkeit zu treten.
VC Magazin: Gibt es an der TU München konkrete Initiativen, die sich ausschließlich an Frauen richten?
Achleitner: Die UnternehmerTUM organisiert unter anderem Workshops. Eben kam das Thema Finanzierung zur Sprache. Was einer Gründerin an Kapital zugeteilt wird, hat auch damit zu tun, wie sie auftritt und die Notwendigkeit verkauft. Da kann man in einem Workshop ganz konkrete Beiträge liefern, um die Situation zu verbessern.
VC Magazin: Wie sinnvoll sind speziell für Frauen konzipierte Angebote? Formt man damit nicht wieder eine gesonderte Einheit – in Abgrenzung zu Männern?
Achleitner: Ich glaube, es braucht wahrscheinlich beides. Auf der einen Seite ist es gut, sich in einem geschützten Raum über Probleme austauschen zu können. Es geht mir in meiner Lebenssituation genauso. Ich freue mich, wenn ich mit einer Frau spreche, die in der gleichen Lage ist. Es ist daher eine Bereicherung, dass es reine Initiativen für Frauen gibt. Man muss wissen: Wo finde ich andere Frauen? Da hilft eine Anlaufstelle. Auf der anderen Seite sollte man das männliche Gegenüber in seiner anderen Reaktionsweise mehr verstehen. Frauen müssen herausfinden, warum sie anders beurteilt werden. Es ist also sehr hilfreich, wenn man auch männliche Coaches oder Gesprächspartner hat. Will man sich in den anderen hineinversetzen und bleibt dennoch unter sich, wird man nur ein begrenztes Maß an Fortschritten machen können. Man muss gemischt und gemeinsam über die Themen reden.
VC Magazin: Das würde dann ja auch für die Gründung an sich gelten – weniger Solo-Start-ups von Frauen und mehr gemischte Teams?
Achleitner: Ich bin eine absolute Anhängerin von Komplementarität. Ich glaube, dass diverse Teams am besten funktionieren: Männer und Frauen, altersdivers, betriebswirtschaftlicher Hintergrund und anderer. Teamgründungen sind – auch unabhängig vom Geschlecht – gut. Diversität ist eine Stärke.
VC Magazin: Ich habe einen Artikel zu Angela Merkel gelesen, anlässlich des Verzichts auf die erneute Kandidatur zum CDU-Parteivorsitz. Darin ist zu lesen: Merkels Position als Kanzlerin ist schon lange selbstverständlich. Spricht man über sie, wird so gut wie nie erwähnt, dass sie eine Frau ist. Für die Autorin ist das eine Art Blaupause des feministischen Idealzustandes. Wann erreichen wir das auch im Allgemeinen?
Achleitner: Im Kleinen entsteht dies bereits: Vorurteile und mentale Hürden sind am Anfang da. Wenn man aber eine gewisse Zeit professionell zusammengearbeitet hat, verschwindet das Geschlechterthema. So ist das auch in Aufsichtsräten. Wir sind aber zum jetzigen Zeitpunkt noch weit von einem allgemeinen Idealzustand entfernt. Viele und gefühlt mehr jüngere Frauen stehen einer Berufstätigkeit kritisch gegenüber, weil sie glauben, dass Beruf und Familie nicht wirklich vereinbar sind. Deswegen ist es auch so wichtig, weiter über die Rahmenbedingungen zu sprechen, die hierfür nötig sind, und vor allem gemeinsam an ihnen zu arbeiten.
VC Magazin: Frau Achleitner, vielen Dank für das Interview.
Ann-Kristin Achleitner hält den Stiftungslehrstuhl für Entrepreneurial Finance an der Technischen Universität München. Sie ist promovierte Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlerin und Mitgründerin der Social Entrepreneurship Akademie. Achleitner sitzt unter anderem in den Aufsichtsräten von Linde, der Munich Re und der Deutschen Börse.