„Es gibt die ersten Medikamente, die im 3D-Verfahren gedruckt werden“

Interview mit Olaf Heinrich, Zur Rose Group AG

Seit 2004 ist der Arzneimittelversandhandel in Deutschland erlaubt. Den größten Umsatz erzielt DocMorris, das mittlerweile zum Schweizer Arzneimittelversandkonzern Zur Rose gehört. Neue Umsatzchancen ergeben sich nun durch Patientenakte, E-Rezept und Telemedizin.

VC Magazin: Wie groß ist der Markt für Online Apotheken und den Arzneimittelversand?

Heinrich: In Deutschland lag der Umsatz laut Marktberichten im Medikamentenmarkt 2018 bei 43,9 Mrd. EUR – das war eine Steigerung von rund 6%. Besonders stark angestiegen ist dabei der Apothekenumsatz mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln (Rx), nämlich um 5,5% auf 30,8 Mrd. EUR. Beim Umsatz mit rezeptfreien Arzneimitteln – sogenannten Over the Counter (OTC)-Arzneimitteln –, der 5,1 Mrd. EUR des Marktes ausmacht, kam es zu einer Steigerung von nur 3,4%. Interessant ist nun, dass der Versandhandel von diesem Umsatz bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln bisher nur knapp 1% erhält, bei rezeptfreien Arzneimitteln immerhin 18%. Insgesamt betrachtet legte der Versandumsatz dabei 2018 zu, und zwar um 5,5% auf 1,2 Mrd. EUR. Den Löwenanteil im Versandhandel nehmen also die rezeptfreien Arzneimittel ein: Auf sie entfallen 76% des Versandumsatzes bei einer Steigerung von 8,1% zum Vorjahr. Bei dem viel kleineren Anteil der rezeptpflichtigen Arzneimittel ging der Versand um 1,6% zurück.

VC Magazin: Und wie preissensitiv sind Kunden von Online-Apotheken?

Heinrich: Natürlich sind unsere Kunden preissensitiv. Bei vielen rezeptfreien Produkten sind wir günstiger und dürfen seit dem EuGH-Urteil von 2016 Kunden wieder einen Bonus auf ihre Rezepte gewähren. Eine Rolle spielt auch, dass der Kunde ab 20 EUR oder bei der Einreichung einer Verschreibung seine Medikamente bei uns versandkostenfrei erhält. Insgesamt ist die aktuelle Distribution, die hauptsächlich über Vor-Ort-Apotheken läuft, veraltet; Verbraucher wollen im Medikamentenmarkt zunehmend online bestellen, so wie sie es vom Online-Versand in anderen Märkten gewöhnt sind. Aktuelle Entwicklungen im Gesundheitsbereich wie das elektronische Rezept, die elektronische Patientenakte etc. tragen dem geänderten Verbraucherverhalten Rechnung. Der Patient wird sich zukünftig seine Plattform selbst aussuchen, um seine Gesundheit zu managen. Das wird einen großen Einfluss auf das Online-Medikamentenversandgeschäft haben.

VC Magazin: Welche Entwicklungen verändern Ihren Markt aktuell und in der Zukunft?

Heinrich: Als Erstes treibt die Digitalisierung den Markt: Schnellere Information, bessere Behandlung, bessere Gesundheit stehen im Fokus. All das können wir durch transparentes Handeln der beteiligten Akteure erreichen. Der Wissensaustausch zwischen Patient, Arzt, Apotheke oder Krankenkasse wird immer wichtiger, um die bestmögliche Versorgung zu leisten. Gesundheitswissen erheben und vermitteln wird durch digitale Plattformlösungen einfach werden und das Gesundheitswesen nachhaltig zum Besseren verändern. So werden durch die elektronische Patientenakte alle Daten über die Gesundheitshistorie, Krankheiten, Dispositionen, aber auch alle verschriebenen Medikamente an einer Stelle gesammelt und stehen bei medizinischen Entscheidungen jederzeit zur Verfügung. Dies wird Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln minimieren, die aufgrund von Rezepten, die von verschiedenen Ärzten ausgestellt wurden, entstehen könnten, und steigert die Transparenz, was der Patient noch für Medikamente einnimmt. Nach der elektronischen Patientenakte, die bis Anfang 2021 für alle Versicherten verfügbar sein soll, will das Bundesgesundheitsministerium auch die Telemedizin zügig voranbringen. Die elektronische Verschreibung via E-Rezept ermöglicht dabei Innovationen in der telemedizinischen Behandlung.

VC Magazin: Wie könnte dann die Online-Behandlung in Zukunft aussehen?

Heinrich: Denkbar ist ein stufenweises Verfahren, das mit einem digitalen Check beginnt, bei dem der Patient Fragen online beantwortet. In einer umfassenden medizinischen Datenbank werden die Symptome analysiert. Je nach Ergebnis kann der Patient die Erkrankung selbst behandeln, sich in einer Apotheke beraten lassen, oder er bekommt die Diagnose, dass nichts ist. Als weitere Option wird er gleich mit einem Arzt verbunden, der aufgrund der bereits gewonnen Erkenntnisse aus der Online-Befragung und dem Zugriff auf die Patientenakte sofort in die Behandlung einsteigen kann. Die ständig wachsende Vielfalt an Daten wird für den Einzelnen nutzbringend verfügbar gemacht. Personal Data dank Big Data ist das Ergebnis. Dabei verändert sich unsere Rolle: In unserem Markt wird sich derjenige durchsetzen, der dem Kunden nicht nur ein Arzneimittel liefert, sondern möglichst viel zur Lösung seines gesundheitlichen Problems beiträgt. Wir sind daher auf dem Weg von einem transaktionsgeprägten Anbieter hin zu einem Plattformanbieter mit ganzheitlichen Lösungen für den Patienten. Es geht um systematisches Gesundheitsmanagement durch die Schaffung eines Gesundheitsökosystems.

VC Magazin: Werden sich in Ihrem Markt auch die logistischen Prozesse verbessern?

Heinrich: Für den Kunden zählt letztlich die zum Zeitpunkt der Bestellung „zeitnaheste“ Lieferung. Deshalb wollen wir vom Versand von einem Tag zum Liefern binnen einer oder weniger Stunden kommen. Dafür setzen wir schon Konzepte um, bei denen wir Medikamente von einem Lieferhub aus mit Botendiensten oder in Zukunft gegebenenfalls auch mit Fahrradkurieren an unsere Kunden liefern. Diese Lösung haben wir in Spanien mit 800 Partnern umgesetzt. Neben dem schnellen Versand will der Kunde jederzeit informiert sein und zum Beispiel wie bei Uber oder mytaxi auf dem Bildschirm sehen, wo mit welchem Fahrzeug seine Sendung gerade unterwegs ist. Gleichzeitig gibt es die ersten Medikamente, die im 3D-Verfahren gedruckt werden, wie zum Beispiel Spritam. Rein aus verfahrenstechnologischer Sicht sind inzwischen rund 80% aller verfügbaren Arzneistoffe druckbar. Dieses innovative Verfahren birgt den großen Vorteil, dass man für Patienten Präparate mit der genau für sie richtigen Wirkstoffkombination und -stärke in der Nähe des Patienten erstellen kann und so gegebenenfalls Lieferwege viel kürzer werden. Bei all den logistischen Aspekten gilt bei der Medikamentenbestellung in Zukunft folgende Reihenfolge für die Entscheidungskriterien Kunden: erstens Bequemlichkeit, zweitens Preis, drittens Geschwindigkeit.

VC Magazin: Welche Rolle wird der Aufbau von stationären Apotheken für DocMorris spielen?

Heinrich: Zur Rose unterhält in der Schweiz fünf stationäre Apotheken. In Deutschland spielt der Aufbau von stationären Apotheken keine Rolle für uns; vielmehr streben wir eine enge Kooperation mit lokalen deutschen Apothekern an. Mit PromoFarma betreiben wir in Spanien bereits den führenden Marktplatz für apothekenübliche Produkte. Dort sind über 750 Partnerapotheken mit einem Gesamtangebot von über 110.000 Produkten vertreten.

VC Magazin: Welche Finanzhäuser sind in Ihrem Markt unterwegs? Kommen noch Konzentrationsbewegungen?

Heinrich: Wir haben in den letzten Jahren mehrere Unternehmen gekauft: die Versandhandelsaktivitäten von eurapon, medpex und apo-rot, sowie PromoFarma, DoctiPharma und Ehealth-Tec. Insgesamt sind die Investitionen im Bereich Digital Health in den vergangenen Jahren weltweit – besonders in den USA – deutlich angestiegen. Dabei stehen Venture Capital-Investoren für einen wesentlichen Teil der Finanzierungen. In Deutschland scheint der Aufkauf durch Private Equity erstmal eher nicht mehr im Vordergrund zu stehen. In der EU hingegen kommt es immer wieder zu kleineren Transaktionen, so wie letzthin in UK bei der Übernahme von Echo durch McKesson.

VC Magazin: Was sollte der Gesetzgeber in Deutschland bezogen auf Online-Apotheken ändern?

Heinrich: Der deutsche Gesetzgeber ist mit elektronischer Patientenakte und E-Rezept in die richtige Richtung unterwegs. Beide werden mehr Sicherheit, Transparenz und Effizienz ins Gesundheitssystem bringen – und einen erheblichen Mehrwert für den Patienten. Jedoch gibt es immer noch Luft nach oben, insbesondere für das deutsche Gesundheitssystem und innovative Lösungen. Wir haben das in Hüffenhardt erlebt, wo ein von den Bürgern und dem Bürgermeister gewolltes telepharmazeutisches Versorgungskonzept gestoppt wurde. Wir glauben aber weiterhin, dass man in Deutschland im Gesundheitsbereich digitale Projekte zum Wohle aller umsetzen kann.

VC Magazin: Herr Heinrich, vielen Dank für das Gespräch.

Olaf Heinrich ist seit 2009 CEO von DocMorris und seit 2017 zudem Head Germany innerhalb der Schweizer Zur Rose-Gruppe, die DocMorris 2012 erworben hat. Vor seiner Tätigkeit für DocMorris war Heinrich Geschäftsführer von Joint Ventures aus den Bereichen Retail (KarstadtQuelle/Redcats) und Pharma (Medco/Celesio) und hatte internationale Senior Management-Positionen bei Unternehmen aus den Bereichen Retail und Pharma inne.