Interview mit Frank Bösenberg, Silicon Saxony

„Eine enge und synergetische Zusammenarbeit ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor“

Interview mit Frank Bösenberg, Silicon Saxony
Interview mit Frank Bösenberg, Silicon Saxony: „Eine enge und synergetische Zusammenarbeit ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor“

Bildnachweis: Silicon Saxony.

Sachsen hat sich in den letzten Jahren zu einem der Mikroelektronikhotspots in Europa entwickelt. Laut der landeseigenen Wirtschaftsförderung trägt mittlerweile jeder dritte in Europa produzierte Chip den Aufdruck „Made in Saxony“. Das zieht sowohl Branchenriesen als auch Start-ups an.

VC Magazin: Wie steht es um den Mikroelektronikstandort Sachsen?
Bösenberg: Kurz gesagt, ziemlich gut. Fünf Entwicklungen sind dafür entscheidend. Autonomes Fahren und E-Mobilität haben in der Autoindustrie großes Interesse an Mikroelektronik „Made in Germany“ ausgelöst. Davon profitieren Infineon Technologies, Globalfoundries, Robert Bosch und X-Fab. Um aber echte Neuerungen ins Auto zu bringen, muss man wissen, was „auf Silizium“ heute alles möglich ist. Tesla denkt seine Autos vom Chip her und nicht vom Spaltmaß. Das haben inzwischen auch deutsche Hersteller verstanden. Zweitens verschwimmen bei modernen Chips die Grenzen zwischen Hard- und Software. Hinzu kommt, dass immer mehr Sensorik und 5G-Mobilfunktechnologie direkt auf dem Chip verbaut wird. Diesen Trend kann Sachsen wie kein anderer Technologiestandort in Europa exzellent bedienen. Die Softwarebranche wächst hier mit fast 7% seit Jahren überdurchschnittlich. Und mit dem 5G Lab Germany, einem der führenden Zentren für modernsten Mobilfunk, finden Anwenderindustrien hier fast alles an Technologien, die mit der Digitalisierung sowie dem Internet der Dinge verbunden sind. Gebündelt wird diese Expertise im Smart Systems Hub – Enabling IoT, einem der Digital-Hubs der de:hub-Initiative des Bundes. Damit verbunden sind drittens Investitionen in Milliardenhöhe. Die Chipriesen Globalfoundries, Infineon, Bosch sowie Technologiekonzerne wie SAP, Vodafone, Deutsche Telekom oder Volkswagen investieren gerade rund 5 Mrd. EUR in den Auf- und Ausbau von neuen Forschungs- und Produktionskapazitäten für IoT-Technologien der nächsten Generation. Viertens steht Sachsen für Energieeffizienz und Green IT. Egal ob Notebooks, Smartphones oder Sensoren – alles, was „warm“ wird, ist ineffizient. Deshalb muss Digitalisierung mit „Zero Emission“ Hand in Hand gehen. Was 2009 mit dem Spitzencluster für Energieeffizienz Cool Silicon begann, treibt Globalfoundries mit seiner FDX-Technologie heute weiter voran. Ob in äußerst energieeffizienten IoT-Lösungen oder in der Automobilelektronik: Wo geringer Stromverbrauch wichtiger ist als Höchstleistungen, da steckt häufig ein FDX-Chip drin. Last but not least treiben die Exzellenzuniversität TU Dresden sowie die Fraunhofer-Gesellschaft mit interdisziplinären Forschungsclustern Trends wie Big Data, digitale Zwillinge, Echtzeitinternet sowie Mensch-Maschine-Interaktion auch die Entwicklung des Mikroelektronikstandorts Sachsen voran – und sorgen natürlich auch für regelmäßigen Nachschub an qualifizierten Fachkräften.

VC Magazin: Gibt es Paradebeispiele für erfolgreiche Kooperationen zwischen Start-ups und etablierten Unternehmen in diesem Sektor?
Bösenberg: Auf jeden Fall. Infineon übernahm 2018 für 124 Mio. EUR das Dresdner Start-up Siltectra. Das Unternehmen hat ein Verfahren entwickelt, um besonders materialsparend Siliziumkarbid-(SiC-)Wafer zu splitten. Damit kann die Anzahl der Chips aus einem Wafer verdoppelt werden. Globalfoundries arbeitet eng mit dem Start-up Sensry zusammen. Gemeinsam entwickelt man eine universelle Sensorplattform. Damit bekommen Unternehmen Zugang zu stromsparenden und kostengünstigen Sensorsystemen auf Basis der bereits erwähnten FDX-Technologie von Globalfoundries. Das vielfach ausgezeichnete Robotik-Start-up Wandelbots arbeitet eng mit Infineon sowie mit Volkswagen bei der Produktion von E-Autos in der Gläsernen Manufaktur in Dresden zusammen. Aktuell führt Wandelbots gerade sein neuestes Produkt – TracePen – ein, mit dem das Programmieren von Robotern noch flexibler, schneller und kostengünstiger wird. Weitere Beispiele sind Senorics sowie der Mittelständler Saxonia Systems. Beide verbindet eine enge Zusammenarbeit mit Zeiss. Senorics entwickelt mit Zeiss besonders kleine und kosteneffiziente Sensoren für den industriellen Einsatz in der Qualitätskontrolle und im Prozessmonitoring, beispielsweise in Herstellungslinien für Lebensmittel, Agrarprodukte, Kunststoffe oder Arzneimittel. Saxonia Systems ist seit mehr als zehn Jahren ein wichtiger Softwareentwicklungspartner für Zeiss. Zu den gemeinsamen Projekten gehören unter anderem cloudbasierte Lösungen im Bereich der Medizintechnik. Zeiss erwarb Saxonia Systems 2020 komplett; nun entsteht in Dresden die neue Carl Zeiss Digital Innovation. Mit anderen Worten: Eine enge und synergetische Zusammenarbeit ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Unternehmen im Silicon Saxony.

VC Magazin: Welche Bedeutung hat die Branche für Ostdeutschland und Sachsen im Besonderen?
Bösenberg: Der Fokus ist größer, europäisch. Richtig ist: Sachsen steht für Mikroelektronik, Software und 5G-Mobilfunk. Wir haben inzwischen eine kritische Größe, die international beachtet wird. Und mit 2.400 Unternehmen sowie rund 64.000 Mitarbeitern ist die Branche ein attraktiver Jobmotor. Darüber hinaus hat sich in den letzten Jahren eine wichtige Transformation vollzogen. In den Anfangsjahren waren wir stärker als heute eine verlängerte Werkbank. Das hat sich verändert. Inzwischen gibt es eine Reihe von F&E-Zentren. Amazon Web Services betreibt hier ein Entwicklungszentrum, SAP hat nach Walldorf und Berlin in Dresden seinen drittgrößten Standort. Aber auch die Chiphersteller investieren in F&E-Aktivitäten. Infineon baut ein Innovationszentrum für Automobilelektronik und künstliche Intelligenz auf. Von diesen Aktivitäten profitieren ganz klar auch Mittelständler in Ostdeutschland. Aber sächsische Mikroelektronik spielt auch eine wichtige Rolle für Europa. Die Diskussion um die Bedeutung der sogenannten Schlüsseltechnologien, Themen wie Cybersicherheit oder Technologiesouveränität, haben auf europäischer Ebene dazu geführt, dass Chips nicht mehr als billiges Schüttgut gesehen werden, die man auf globalen Märkten beschafft. Man traut sich wieder, über Industriepolitik zu sprechen, denn ohne ein tiefes, eigenes Verständnis für modernste Halbleiter wird Europa kein Geld mit der Digitalisierung verdienen. Wer die Chips kontrolliert, der kontrolliert auch die Daten, die inzwischen zentral sind für die Wertschöpfung im Digitalzeitalter. Das gilt für die Kommunikation und den Mobilfunk, die Mobilität und Autos, die Produktion und Maschinen, den Konsum und E-Commerce. Die Europäische Kommission hat mit dem Programm IPCEI die Grundlage für Milliardeninvestitionen unter anderem für strategische Mikroelektronikprojekte geschaffen.
Doch es ist noch ein langer Weg. Zu strategisch haben andere Nationen in eine heimische Halbleiterproduktion investiert. Europa hat erst Kreativität und letztlich Marktanteil eingebüßt. Ich möchte noch mal daran erinnern, dass Europa mit Qimonda sein letztes Unternehmen verlor, das Speicherchips hergestellt hat. Zur gleichen Zeit geriet Opel in Schieflage – mit dem Unterschied, dass Opel nicht der letzte europäische Autobauer war. Speicherchips sind zentrale Bausteine in vielen IT-Anwendungen. Aber die Kompetenz dafür hat Europa unwiederbringlich verloren. Aktuell überprüfen viele Anwender, wie sie ihre Abhängigkeit von globalen Anbietern reduzieren können. Es gibt ein Momentum, um Wertschöpfung in Europa zu stärken. Davon wird Sachsen profitieren. Ein positives Beispiel dafür ist das Maskenhaus AMTC, das zu den führenden Maskenhäusern der Branche gehört.

VC Magazin: Wo liegen die größten Herausforderungen für den Standort in den nächsten Jahren?
Bösenberg: Jedes Investment in die europäische Technologiesouveränität stärkt direkt oder indirekt auch Sachsen. Eine Herausforderung bleibt, dass Anwender – nicht nur aus der Automobilbranche – Sachsen für Kooperationen und Investitionen entdecken. Wie bereits gesagt: Die Innovation steckt im Silizium. Branchen wie der Maschinenbau, die Medizintechnik, aber auch solche, die an neuen Digitallösungen für IoT, Robotik, künstliche Intelligenz oder Sensorik interessiert sind, werden im Silicon Saxony fündig. Des Weiteren muss die Branche ganz grundsätzlich daran arbeiten, dass Deutschland seine Schulen wieder so fit bekommt, dass junge Menschen nicht nur Interesse, sondern auch die nötigen Mathematikkenntnisse mitbringen, um eine erfolgreiche Karriere in dieser Industrie zu starten. Nicht zuletzt wird natürlich auch Corona einen Einfluss auf die Branche haben. Auch für die Corona-Pandemie wird aktuell an Lösungen gearbeitet, so arbeiten zum Beispiel Prof. Gerhard Fettweis von der TU Dresden, das Start-up ZigPos sowie das Barkhausen Institut an der Corona-App mit. Das ist ebenfalls ein gutes Beispiel für die exzellente Zusammenarbeit von Akteuren unseres Clusters.

VC Magazin: Herr Bösenberg, vielen Dank für das Interview.

 

Frank Bösenberg ist Geschäftsführer des Silicon Saxony e.V. Vor seiner Tätigkeit im Branchenverband war Bösenberg vor allem im internationalen F&E-Projektgeschäft tätig. Er ist Mitglied der European Commission Expert Group on Clusters.