Interview mit Thomas Schmidt, Haniel, und Dr. Tanja Emmerling, High-Tech Gründerfonds

„Wir können noch viel lernen und unsere Transformation beschleunigen“

Deutsche Konzerne entscheiden sich über eigene Beteiligungsarme und Initiativen wie Accelerator-Programme hinaus zunehmend auch für Investments in Venture Capital-Fonds. Diese sollen selbstverständlich eine attraktive Rendite liefern, vielmehr aber ein zusätzlicher Kanal sein, der dazu dient, mit jungen, innovativen Start-ups in Kontakt zu kommen.

VC Magazin: Haniel ist Investor und Industriepartner im HTGF III. Wie kam es zur Zusammenarbeit?
Schmidt: Haniel hat bereits 2017 in den HTGF III investiert. Ausschlaggebend für die Entscheidung war für uns als Family Equity-Unternehmen vor allem die Möglichkeit, innovative Start-ups und Trends in Segmenten kennenzulernen, die für klassische Frühphaseninvestoren weniger attraktiv sind, wie zum Beispiel im Maschinenbau. Der HTGF unterstützt zahlreiche für die deutsche Wirtschaft höchst relevante Industriebereiche und verfügt über ein herausragendes Netzwerk. Von beidem haben sowohl wir als Investmentholding als auch unsere Geschäftsbereiche schon profitieren können.
Emmerling: Der Kontakt kam tatsächlich über eines unserer Portfoliounternehmen zustande. Nach gegenseitigen Besuchen in Bonn und Duisburg und ausführlichen Gesprächen mit unseren Geschäftsführern hat sich Haniel dann am Fonds beteiligt.

VC Magazin: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit aus Sicht von Haniel, wie intensiv sind Sie in die Investitionsentscheidungen des HTGF involviert?
Schmidt: Die Betreuung der Investoren ist beim HTGF wirklich sehr gut und serviceorientiert. Hier macht sich das recht große Team sehr bezahlt, das die Anfragen sehr schnell aufgreift. Wir sind sowohl auf Ebene der Holding als auch der Geschäftsbereiche regelmäßig im Austausch, zum Beispiel bei der Durchsprache neuer Start-up-Ideen, die perspektivisch für Haniel von Relevanz sein können. Es zeichnet den HTGF besonders aus, dass Investoren an den Entscheidungen teilhaben können. Wir sind als reguläres Mitglied in einem von drei Investitionskomitees vertreten und dort stimmberechtigt. Dieses beschäftigt sich mit den Themen wie Energie, Maschinenbau, Automation und industrielle Software, die gut zu unserem Investmentfeld „Progress“ passen.

VC Magazin: Wie unterschiedlich ist die Intensität der Zusammenarbeit mit den inzwischen mehr als 30 Fondsinvestoren?
Emmerling: Unsere Limited Partner umfassen die gesamte Bandbreite der deutschen Wirtschaft. Vom börsennotierten DAX-Konzern über mittelständische Unternehmen bis zum ehemaligen Start-up sind alle vertreten. Auch wird das Fondsinvestment von verschiedenen Bereichen wie M&A, Corporate Development oder der Geschäftsführung verantwortet. Dementsprechend sind Interessen breit gefächert: die Stärkung des Kerngeschäfts, die Suche nach neuen Geschäftsfeldern, Wissenstransfer zum Thema Start-ups, Zugang zu neuen Technologietrends, die Möglichkeit von Co-Investments … Es ist also weniger ein Thema der Intensität, sondern der unterschiedlichen Bedürfnisse. Ich muss sagen, wir sind auch ein bisschen stolz darauf, dass der HTGF letztendlich allen einen Mehrwert bieten kann. Daran arbeiten wir aber auch hart.

VC Magazin: Herr Schmidt, Sie haben im April Emma, ein inzwischen aus der Fernsehwerbung bekanntes Sleeptech-Unternehmen, vom HTGF übernommen. Wie kam es zu der Transaktion?
Schmidt: Emma war uns bereits länger bekannt und es bestand ein loser Kontakt, der sich Anfang des Jahres konkretisiert hat. Das Unternehmen hat in den letzten Jahren ein beeindruckendes Wachstum hingelegt. Wir sind sowohl von den weiteren Aussichten des Markts als auch von Emma als Unternehmen überzeugt. Die hohe Effizienz durch technologieunterstützte Prozesse in allen Bereichen des Geschäfts ist eine gute Grundlage für ein sehr dynamisches und nachhaltiges Wachstum. Dazu kommt der Fokus auf qualitativ hochwertige Produkte, bestätigt durch verschiedene und sehr relevante Testsiege. Besonders beeindruckt haben mich jedoch die Gründer, die einen einzigartigen Fokus auf die Themen Talent und Leadership gelegt haben. Sie arbeiten in der ganzen Organisation agil und verbessern sich stetig. Davon können wir noch viel lernen, und es wird auch unsere Transformation beschleunigen – bei der Wertentwicklung, aber vor allem beim Thema Kultur.

VC Magazin: Wie passt Emma in Ihre Portfoliostrategie?
Schmidt: Wir haben unsere Portfoliostrategie im letzten Jahr neu ausgerichtet und setzen konsequent auf nachhaltige Geschäftsmodelle, die sich den drei Fokusbereichen People, Planet und Progress zuordnen lassen – so wollen wir zu einer lebenswerten Zukunft beitragen. Dabei spielt natürlich auch die Rendite eine Rolle – wir sind performanceorientiert. Ich glaube aber, dass langfristig nur nachhaltige Unternehmen erfolgreich sein werden. Unsere Investments arbeiten auf Basis eines gemeinsamen Handlungsrahmens, des Haniel Operating Way, eigenständig. Emma ist unser erster neuer Baustein im Investmentfeld „People“, in dem wir uns unter anderem auf Unternehmen konzentrieren, deren Geschäftsmodell auf die übergeordneten Themen Gesundheit und Wohlbefinden ausgerichtet ist. Dazu kommt das starke Wachstumspotenzial durch das international gut skalierbare Geschäftsmodell, das hoch qualifizierte Managementteam sowie die moderne und agile Unternehmenskultur.

VC Magazin: Was haben Sie mit dem Unternehmen vor?
Schmidt: Haniel bringt sich – wie bei allen Beteiligungsunternehmen in unserem Portfolio – nicht in die operative Führung ein. Die Gründer Manuel Müller und Dr. Dennis Schmoltzi bleiben geschäftsführende Gesellschafter. Wir sind aber sehr an einem aktiven Austausch zwischen Emma und anderen Unternehmen der Haniel-Gruppe interessiert, vor allem in Bereichen wie Digitalisierung, agile Führungsprozesse und konsequentes Talentmanagement – denn bei unserem aktuellen Transformationsprozess arbeiten wir genau an diesen Themen. Emma hat das Potenzial, mittelfristig einer der europäischen Marktführer für Schlafprodukte und -technologie zu werden. Deshalb nehmen wir den Ausbau des internationalen Geschäfts, die Erschließung neuer Produktbereiche rund um das Thema Schlaf und auch weitere Akquisitionen gemeinsam mit Emma in den Fokus.

VC Magazin: Frau Dr. Emmerling, Emma war fünf Jahre im HTGF-Portfolio. Wie viele Unternehmen sind bislang an Industriepartner gegangen? Wie ist Ihre künftige Politik dahin gehend?
Emmerling: Acht Portfoliounternehmen sind bislang von Fondsinvestoren übernommen worden. Fondsinvestoren sind aber nicht nur potenzielle Käufer: Sie sind Kunden, Kooperationspartner, Investoren und auch Sparringspartner für Start-ups. Es muss letztendlich für alle eine Win-win-Situation sein. Es gibt weder einen Exit-Zwang in Richtung der Limited Partner noch Vorkaufsrechte. Ein Exit wird dann stattfinden, wenn es das Beste für das Portfoliounternehmen und den Return ist. Bei Haniel und Emma hat sich eine entsprechende Win-win-Situation gefunden und sie haben darüber hinaus auch kulturell die gleiche Ausrichtung. Und sie begegnen sich auf Augenhöhe. Nur so können aus meiner Sicht Corporate und Start-up voneinander partizipieren. In diesem Fall bereitet es mir auch persönlich große Freude, denn ich habe bereits das Seed-Investment bei Emma getätigt und konnte das Unternehmen bis zum Exit begleiten.

VC Magazin: Haniel hat aktuell keinen typischen Corporate Venture Capital-Fonds. Welchen Stellenwert besitzt das Thema Start-ups in Ihrer Strategie und welche Branchen beobachten Sie?
Schmidt: Unser Beteiligungsportfolio hat seinen Schwerpunkt auf etablierten Unternehmen. Ergänzend dazu wird sich Haniel mit einem Teil des Investitionsvolumens – 500 Mio. EUR – im Wesentlichen über Beteiligungsfonds und unter Beachtung der Themen People, Planet, Progress in Unternehmen engagieren, die sich in früheren Phasen der Entwicklung befinden. Erste Investments wurden bereits getätigt. Damit will Haniel frühzeitiger am Wachstum partizipieren und zusätzlich Diversifizierungschancen nutzen. Darüber hinaus wollen wir uns als Gruppe auch mit einem kleinen Anteil des zur Verfügung stehenden Kapitals an aussichtsreichen Start-ups direkt beteiligen.

VC Magazin: Wie groß ist die Gefahr, dass vonseiten der Industrie coronabedingt künftig weniger Kapital in Start-ups fließt?
Schmidt: Aktuell ist sicherlich eine gewisse Zurückhaltung bei Corporate-Investoren zu spüren, da der Fokus vielfach auf dem Bestandsgeschäft liegt. Dennoch ist das Ökosystem in einem deutlich besseren Zustand als beispielsweise nach der globalen Finanzkrise. Das sieht man auch daran, dass die vorhandenen Investitionsmittel so hoch sind wie nie zuvor – auch in Deutschland.
Emmerling: Das wird aus meiner Sicht davon abhängen, ob es weitere Corona-Wellen gibt, welche Einschränkungen damit einhergehen und wie schnell sich die Wirtschaft jeweils wieder erholt oder wie gut sie sich anpassen kann. Wir sehen, dass Corona Investitionen in die Digitalisierung belebt, denn die Notwendigkeit ist sehr plakativ geworden. Wir sehen aber auch, dass sich Kundenaufträge verzögern, Budgets erst einmal eingefroren wurden. Das macht den Vertrieb für Start-ups im B2B-Bereich definitiv nicht einfacher. Wir hoffen sehr, dass die Corporates jetzt nicht den Fuß vom Gas nehmen, sondern offensiv auf Innovation setzten. Wenn das Kerngeschäft jedoch von Corona schwer betroffen ist, wird sich auf das Hier und Jetzt konzentriert, um zu überleben. In jedem Fall müssen Start-ups auf eine ausreichende Cash-Reichweite achten, denn Kundenabschlüsse verzögern sich und das Fundraising dauert länger. Sie müssen auf Effizienz schauen, vorausschauend steuern, ohne das Wachstum zu gefährden – in Krisen zeigt sich, was herausragendes Management leisten kann.

VC Magazin: Frau Dr. Emmerling, Sie investieren seit rund drei Jahren aus dem HTGF III. Nach dem Fundraising ist ja bekanntlich vor dem Fundraising. Wie optimistisch sind Sie hinsichtlich des HTGF IV?
Emmerling: Wir wurden in der Krise geboren, als die Dotcom-Bubble zu Beginn der 2000er geplatzt ist. Die Anzahl der Industrieinvestoren ist in jedem Fonds deutlich gestiegen. Der Innovationsdruck ist da, aber vor allem steigt das Verständnis, dass dies keine Phase ist, sondern die neue Normalität. Aber muss jedes Unternehmen intern die Ressourcen aufbauen – vom Sourcing, Screening bis hin zum Beteiligungsmanagement? Hier kann ein Fondsinvestment deutlich effizienter Mehrwert bringen, insbesondere wenn die Beteiligungen so breit aufgestellt sind wie in unseren Fonds. Denn es sind nicht nur dezidierte Innovationen fürs Kerngeschäft relevant, sondern für alle Bereiche der Unternehmen. Von der Produktion bis ins HR – alle müssen in der Technologisierung aufholen. Eigene Ressourcen schonen, aber trotzdem ganz nah an den Innovationsthemen unterschiedlichster Bereiche zu sein, genau das können wir bieten. Ich bin also sehr optimistisch, was unseren Fonds IV betrifft.

VC Magazin: Frau Dr. Emmerling, Herr Schmidt, vielen Dank für das Interview.

 

Thomas Schmidt ist seit 01.07.2019 Vorstandsvorsitzender von Haniel. Er wurde 2017 in den Vorstand berufen und war parallel bis Mitte 2019 Vorsitzender der Geschäftsführung beim Haniel-Geschäftsbereich CWS, wo er die Zusammenführung mit Initial verantwortete. Schmidt begann seine Karriere 1996 in verschiedenen Positionen beim US-amerikanischen Konzern General Electric (GE), bevor er Mitte 2008 zu TE Connectivity Ltd. wechselte und das Geschäft ab Juli 2010 als Präsident von TE Industrial führte. Dr. Tanja Emmerling ist Partnerin beim High-Tech Gründerfonds und leitet die Berliner Dependance. Sie ist seit 2014 als Investmentmanagerin im Digital Tech-Bereich des Fonds aktiv und hat großes Interesse an Themen wie Artificial Intelligence, IoT, Mobility & Logistics, IT-Security, Blockchain und SaaS. Darüber hinaus ist sie als Start-up-Mentorin aktiv und engagiert sich dafür, die Rolle der weiblichen Investorinnen in diesen Bereichen zu stärken. Vor ihrer Tätigkeit beim HTGF war sie über sechs Jahre in einem Medienunternehmen tätig und verantwortete als Head of New Ventures für Incubations im B2B-Bereich.