Die Corona-Pandemie hat zahlreiche Unternehmen und ganze Industriezweige schwer getroffen und trifft sie noch immer. Für Investoren, die sich auf Restrukturierung oder Turnaround spezialisiert haben, bieten sich somit spannende Finanzierungsmöglichkeiten. Dabei war Corona weniger ein Auslöser, sondern vielmehr ein Brandbeschleuniger. Betroffene Unternehmen sollten sich allerdings vor schwarzen Schafen hüten.
Allein in Deutschland haben Private Equity-Gesellschaften im vergangenen Jahr über 5 Mrd. EUR frisches Kapital eingeworben. Wohin also mit dem Geld in Zeiten, da ganze Industriebranchen wie Fahrzeugbau und -zubehör, der Maschinen- und Anlagenbau, Transport und Logistik oder Touristik, Bekleidung und Textil am Boden liegen? Auch der stationäre Einzelhandel ist betroffen, während sein Onlinependant angesichts von Corona einen weiteren Aufschwung erleben dürfte.
Nicht nur Corona ist schuld
Hier wächst eine Chance für jene Investoren, die sich auf Restrukturierung (und Turnaround) spezialisiert haben. „Wir sehen allgemein eine deutliche Zunahme der Restrukturierungs- und
Insolvenzfälle seit Mitte 2019 mit einer deutlichen Beschleunigung im zweiten Quartal 2020“, sagt Hans-Jürgen Titz von Pallene Capital. Der Schwerpunkt der Krisenfälle habe sich von Unternehmen der Textil- und Modeindustrie stark in Richtung Automobilzulieferindustrie, Maschinen- und Anlagenbau verlagert. „Aufgrund der COVID-19-Problematik sind zudem Einzelhandelsunternehmen und konsumnahe Dienstleister verstärkt in Mitleidenschaft geraten“, so Titz. Es wäre vermessen, zu behaupten, einzig die weltweite Pandemie hätte zu Rezession und Wirtschaftsabschwung geführt. Zwar war die Anzahl der Restrukturierungsfälle im Allgemeinen aufgrund der guten wirtschaftlichen Lage in Deutschland bis 2018 rückläufig. „Die Volkswirtschaften haben gut funktioniert und es war enorm viel Liquidität vorhanden“, sagt Michael Baur von der Beratungsfirma AlixPartners. „Beschleunigte Transformationen fanden selten statt, um ein Unternehmen vor der Insolvenz zu schützen, sondern vielmehr, um den Unternehmenswert zu pushen.“
Verpasste Chancen
Doch mit der Zunahme struktureller Probleme gab es bereits 2019 einen Zuwachs an Unternehmen in Schwierigkeiten. Häufig werden die Herausforderungen oder auch verpassten Chancen der Digitalisierung als Ursache genannt: So ist etwa die Automotive-Branche das Thema Elektrifizierung viel zu spät angegangen. Ohne Zweifel haben jedoch auch Handelskriege zwischen den USA und China oder zwischen den USA und Europa sowie ein sich verändertes Zinsumfeld zu Umsatzrückgängen und Problemen in den Lieferketten einzelner Unternehmen und ganzer Branchen geführt. So lässt sich zwar sagen, dass COVID-19 zu einer Beschleunigung von Veränderungen und Umbrüchen geführt hat – die
Ursache aller Probleme hier zu suchen wäre jedoch blauäugig. „Es gibt viele Unternehmen, die nach heutigem Stand sofort in die Restrukturierung gehen müssten“, urteilt Baur. „Einige warten aber ab.“ Letztere hätten sich schon in der Vergangenheit ausreichend Liquidität verschafft oder aktuell ein KfW-Darlehen in Anspruch genommen. Diese Unternehmen hoffen nun auf eine Erholung der Märkte im Herbst. „Es ist ein Abwägen“, so Baur. „Schaffe ich mir eine neue Struktur, die mit bis zu 30% weniger Umsatz trotzdem profitabel ist, oder warte ich ab und kehre, sobald die Konjunktur wieder anzieht, mit den alten Strukturen und Teams wieder zurück in meine gewohnte Welt?“ Eine Frage, der sich neben Industrieunternehmen übrigens auch viele Beratungshäuser stellen müssen, die sich aktuell weniger auf Restrukturierung oder Turnaround spezialisiert haben.
Eine Chance, Versäumtes nachzuholen
Zahlreiche Branchen werden in den nächsten 24 Monaten kaum mehr auf ihre gewohnten Umsatzzahlen kommen. Ob Restrukturierung oder Insolvenz – viele Unternehmen, die sich heute noch mit Mitteln des Bundes oder der Länder über Wasser halten konnten, werden aufgrund der zunehmenden Verschuldung und Liquiditätsstützung das Ende der Überbrückungsmaßnahmen deutlich zu spüren bekommen. Experten gehen davon aus, dass dies insbesondere Firmen ohne tragfähiges Geschäftsmodell oder Technologiekompetenz betrifft sowie solche, die es in den letzten Jahren versäumt haben, substanzielle Restrukturierungs- und Optimierungsmaßnahmen durchzuführen. Bleiben Kunden aus, werden dies mittel- und langfristig auch Unternehmen am anderen Ende der Lieferkette zu spüren bekommen. Wertschöpfungsketten reichen weit. Gleichzeitig werden Kunden noch preisaggressiver werden, weil sie selbst ums Überleben kämpfen.
Gleichwohl ist die Pandemie für viele Unternehmen eine Chance, gerade diese Versäumnisse nachzuholen oder ihre Strategie zu ändern – wenn sie sich beeilen. „COVID-19 führt zu einer Beschleunigung von Veränderungen und Umbrüchen mit allen damit einhergehenden Chancen und Risiken“, unterstreicht Titz. „Wir gehen davon aus, dass die Zinsen, auch für kriselnde Unternehmen, in den nächsten Jahren konstant niedrig bleiben. Problematisch sind vielmehr die höhere Verschuldung, der anhaltende oder zunehmende Wettbewerbsdruck, branchenabhängig hohe Investitions- und Finanzierungsbedarfe sowie die sich fortsetzende Konsolidierung im Markt“, so Titz. Unternehmen, die insbesondere in Asien ihren Hauptumsatz erwirtschaften, würden von diesen Faktoren nur in geringerem Maße beeinträchtigt, da sich die Nachfrage in Asien und vor allem in China mittlerweile wieder auf einem relativ stabilen Niveau bewegt. Anhaltende Unruhe findet sich allerdings in den USA und Südamerika, wo neben der Corona-Pandemie auch innenpolitische Brandherde ein erneutes Wirtschaftswachstum behindern können.
Was heißt „Restrukturierung“ künftig?
Spannend zu beobachten ist die Frage, wie sich das Themenfeld Restrukturierung selbst durch Corona verändern wird. „In den vergangenen Jahren haben echte Restrukturierungsfälle nur bis zu 25% unserer Arbeit ausgemacht“, berichtet Baur von AlixPartners. „Rund 60% waren eher beschleunigte Transformation.“ Dieses Verhältnis ändert sich gerade. Baur unterstreicht, dass es bei nachhaltigen Restrukturierungen nicht nur um den Abbau von Schulden beziehungsweise eine Bereinigung der Bilanzen geht, etwa durch Forderungsverzichte – vielmehr stehe eine ganzheitliche Restrukturierung im Mittelpunkt, also der Erhalt und Ausbau einer nachhaltigen Profitabilität. „Es geht nicht nur darum, ein Unternehmen zu entschulden, sondern operativ so aufzustellen, dass es zukunftsfähig ist“, bekräftigt Baur. Dies sei ein wesentlicher Unterschied zur Krise 2008/09, als viele Firmen kurzzeitig zu hohe Schulden hatten und es im Wesentlichen darum ging, die Bilanzen wieder in Ordnung zu bringen. Heute stehe bedingt durch Digitalisierung, Handelskriege, geopolitische Ereignisse und zuletzt eben auch COVID-19 die operative Restrukturierung deutlich stärker im Vordergrund. Allerdings haben auch jene Unternehmen Bedarf an Restrukturierung oder Turnaround, deren Produkte in der aktuellen Situation gefragter sind denn je und denen es an der erforderlichen Organisationsstruktur, Produktion oder Finanzierung mangelt. „Welcher Mehrwert ist zu generieren? Diese Frage stellt sich bei Restrukturierung und Wachstum gleichermaßen“, sagt Baur.
Fazit
Die Pandemie bietet Chancen für Investoren. Allerdings gibt es wohl nur wenige wirklich erfahrene Institutionen, die in der Lage sind, die Komplexität von Restrukturierungsfällen schnell und zuverlässig zu beurteilen sowie gleichzeitig für Transaktionssicherheit zu sorgen. Darüber hinaus ist zu unterscheiden zwischen Investoren, die eine nachhaltige Unternehmensentwicklung anstreben sowie operativ zu investieren bereit sind, und jenen, die lediglich an einer lukrativen Verwertung der Vermögenswerte interessiert sind. „Restrukturierungsberater ist kein geschützter Beruf“, schließt Baur. „Kunden müssen daher genau prüfen, welchen Partner sie mit ins Boot holen.“ Genug Liquidität für Restrukturierung und erneutes Wachstum, auch seitens der Banken, sei bei überzeugenden Unternehmenskonzepten jedenfalls vorhanden.