Die Gründerszene in Bayern floriert. Vor allem technologiebasierte Start-ups entwickeln sich schon seit Jahren ausgezeichnet. In München schlägt zwar das Herz der Szene, aber innovative Ideen entstehen in allen Regionen. Das ist auch der dezentralen Förderpolitik der Landesregierung zu verdanken.
Die Zahl der Existenzgründungen ist in Deutschland 2019 erstmals seit fünf Jahren wieder gestiegen. Laut dem KfW-Gründungsmonitor hatte zunächst vieles dafür gesprochen, dass sich diese Entwicklung auch 2020 fortsetzt – die Corona-Krise habe diese Erwartungen jedoch gedämpft. Die KfW rechnet nun damit, dass vielzählige Gründungen verschoben werden. Grundsätzlich gilt diese Gesamtaussage auch für Bayern, das seinen vierten Platz im Bundeslandranking der Gründungstätigkeit 2019 behalten hat. Ganz überwiegend gilt sie jedoch nicht für die Gruppe von Technologie-Start-ups, die in Bayern traditionell eine bedeutende Rolle spielen. Wie viele solcher Start-ups Bayern zählt, ist nicht genau bekannt, weil sie als Gruppe nicht statistisch erfasst sind. Einen aussagekräftigen Hinweis geben aber aktuelle Zahlen von BayStartUp, der zentralen bayerischen Anlaufstelle für Start-ups auf Kapitalsuche. An den von ihr jährlich veranstalteten Businessplan Wettbewerben nahmen bislang 428 Start-ups teil. Im Vorjahr waren es 370 gewesen, im Mittel der letzten Jahre jeweils 400. „Das zeigt uns: Die bayerische Gründerszene will und packt ihre Visionen auch dann an, wenn sich Stolpersteine in den Weg legen“, sagt BayStartUp-Geschäftsführer Dr. Carsten Rudolph. Auch Prof. Dr. Christoph von Einem, Partner der Wirtschaftskanzlei Arqis und Experte für Venture Capital sowie selbst Business Angel, sieht in Bayern ein ungebrochenes Interesse an Unternehmensgründungen im Technologiebereich. Allerdings rechnet er damit, dass in diesem Jahr insgesamt weniger Finanzierungen von Unternehmensgründungen zu verzeichnen sein werden. „Jeder ist sehr vorsichtig. Teilweise sind die Bewertungen der Start-ups schon gesunken. Aber wirklich gute Investments sind in diesem Jahr genauso teuer wie im vorigen.“
Gründer brauchen ein Zuhause
Eine lebendige Gründerkultur entsteht nicht von selbst: Sie braucht eine passende Infrastruktur. Gründer oder solche, die eine Gründung in Erwägung ziehen, sind in jeder Entwicklungsphase auf Unterstützung angewiesen. Sie brauchen zunächst einmal ein „Zuhause“. Dafür bietet Bayern rund 60 Gründerzentren in allen Regionen: Dort können die Gründer für wenig Geld Räume oder Co-Working-Plätze mieten, sich mit anderen Gründern austauschen und an Coachings und Weiterbildungen teilnehmen, wo sie auch mit Unternehmen zusammenkommen. Seit gut einem Jahr ist beispielsweise das Digitale Gründerzentrum „Alte Schlosserei“ in Aschaffenburg am Start. In einem großen, alten Backsteinbau arbeiten inzwischen bereits zwölf Gründerteams an ihren Ideen; über 40 Teams werden über Coachings betreut. Digitale Gründerzentren – derer zählt Bayern mittlerweile 19 – legen den Fokus auf Geschäftsmodelle, die digitale Anwendungen umsetzen wollen. Das Land übernimmt in der Regel die Kosten für die Infrastruktur; die operativen Kosten teilen sich Land und die ortsansässige Wirtschaft. „Vorher gab es in Aschaffenburg zwar auch schon Gründer und Start-ups, aber es gab für sie keine Anlaufstelle, keine Community, wo man sich austauschen, vernetzen und gegenseitig unterstützen kann. Viele sind daher nach Frankfurt oder Darmstadt gegangen“, sagt Dr. Marianne Hock-Döpgen, Leiterin des neuen Zentrums. Die bayerische Regierung verfolge jedoch das Ziel, Gründer und ihre Kompetenzen in den Regionen zu halten. Für eine Region, die anders als München oder Nürnberg überwiegend mittelständisch geprägt ist, zahle es sich auf jeden Fall aus, kompetente Fachleute und kreative Köpfe zu fördern. Selbst wenn sie mit ihrer Gründung scheitern sollten – und das tun auch viele – haben diese Jungunternehmer einiges gelernt und sind eine Bereicherung für die Region. Im Gründungszentrum werden die jungen Entrepreneure individuell betreut und früh mit den Unternehmen vernetzt. Für die Finanzierung ihrer Vorhaben setzt man aber auf die Unterstützung von BayStartUp.
Andere Region, ähnliches Bild
Kein Wunder, denn mit über 300 privaten und mehr als 150 institutionellen Investoren – darunter neben Business Angels auch Family Offices, Venture Capital-Fonds und Beteiligungsarme etablierter Unternehmen – ist es eines der größten Netzwerke für die Frühphasenfinanzierung von Start-ups, das in über 250 Finanzierungsrunden bislang ein Finanzierungsvolumen von über 263 Mio. EUR vermittelt hat. Davon profitiert man auch bei der Digitalen Gründerinitiative Oberpfalz (DGO), die seit 2017 junge Unternehmen unterstützt. In regelmäßigen Abständen kommt ein BayStartUp-Vertreter bei Alexander Rupprecht vorbei, dem Geschäftsführer der zur Stadt Regensburg gehörenden Firma R-Tech, die die DGO führt. Gemeinsam bespricht man, welches vielversprechende Start-up als nächstes finanzielle Unterstützung braucht. „Die Verbindung von BayStartUp in die Regionen funktioniert sehr gut. Das muss auch so sein, denn sonst entgingen ihnen viele Investitionsmöglichkeiten“, findet Rupprecht. Die Ausgangssituation in Regensburg ist mit der in Aschaffenburg vergleichbar. Man ist relativ weit weg von den großen Gründungs-Hotspots, aber es ist eine florierende Unternehmenslandschaft vorhanden. BMW ist mit einem Werk ebenso vertreten wie Osram, Infineon oder auch der Getränkemaschinenhersteller Krones. Diese Firmen suchen den Kontakt zu Start-ups immer häufiger – ihn herzustellen ist eine der zentralen Aufgaben der DGO.
Frühe Förderung von Ideen
Potenzielle Gründer oder junge Menschen, die erst eine Idee haben und mit dem Gedanken spielen, daraus ein Start-up zu entwickeln, werden in Bayern ebenfalls auf verschiedene Weisen gefördert. Eines dieser Instrumente ist im Bereich der Biotechnologie der m4 Award, der jedes zweite Jahr ausgeschrieben wird. Bewerben können sich Gründerteams an akademischen Einrichtungen wie Hochschulen und Forschungsinstituten. Der Fokus des Preises liegt auf der medizinischen Biotechnologie; er ist jedoch auch offen für Anwendungen in den Bereichen Digitalisierung, künstlicher Intelligenz oder Big Data. Notwendig ist allerdings ein medizinischer Bezug. Fünf Gewinnerteams bekommen dann über zwei Jahre bis zu 500.000 EUR, um ihre Forschungsarbeit so weit voranzutreiben, dass sie im Idealfall nach Auslaufen der Förderung reif für die Gründung eines Start-ups sind. Die nächste Bewerbungsrunde startet Anfang 2021. „Der Award ist im Laufe der Jahre immer bekannter geworden. Früher sind wir in die Institute gegangen, um ihn vorzustellen. Das müssen wir schon lange nicht mehr“, sagt Christina Enke-Stolle, die den Award betreut. Sie hat 2010 bei BioM an seiner Konzeption mitgewirkt; er war damals ein Baustein im Beitrag Münchens zur Spitzencluster-Initiative der Bundesregierung. BioM ist die vom bayerischen Wirtschaftsministerium geförderte Clusterorganisation für die Biotechnologie in Bayern. Neben dem m4 Award hat BioM mit dem inQlab mittlerweile auch einen virtuellen Inkubator entwickelt, der Life Sciences-Gründer mit einem umfassenden Angebot unterstützt. Neben einem Mentorenprogramm, in dem über 70 Persönlichkeiten Gründer ehrenamtlich unterstützen – in so unterschiedlichen Bereichen wie Patentanmeldungen, Regulatorik oder Strategieentwicklung – bietet das inQlab ein umfassendes Investorennetzwerk und zahlreiche für Gründer maßgeschneiderte Veranstaltungen. „Im Bereich der Biotechnologie und speziell der Biomedizin ist München heute der führende Hotspot in Deutschland“, sagt Enke-Stolle. Diese Entwicklung kam nicht über Nacht: Schon seit den 1990er-Jahren wurde hier viel Grundlagenforschung betrieben, aus der sich dann die Biotechnologie und später auch immer mehr Unternehmen entwickelt haben.
Bayerische Spezialitäten
Berlin ist nach wie vor die Gründungshauptstadt Deutschlands, die Heimat unzähliger Kreativer. Start-ups bieten in Berlin und Umgebung zahlreiche Lösungen im B2C-Bereich an, also bei Geschäften zwischen Unternehmen und Konsumenten. In Bayern liegt der Fokus dagegen klar auf dem B2B-Sektor. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass die überwiegende Zahl der Start-ups aus dem Bereich der Hochtechnologie kommt sowie zahlreiche Industrieunternehmen Hochtechnologie brauchen und schon früh mit den Gründern zusammenarbeiten. Überaus wichtig ist aber auch die Bildungslandschaft. „Gründer aus Bayern haben häufig eine bessere Grundausbildung, weil wir hier eine Reihe erstklassiger Universitäten und Hochschulen, aber auch viele Forschungseinrichtungen wie Fraunhofer, Max-Planck oder Helmholtz haben. Außerdem tun die Hochschulen sehr viel für die Entrepreneursausbildung“, sagt von Einem. Überdies sieht er in BayStartUp eine Institution, die es jungen Teams mit ihrem Investorenpool und intensiver Betreuung leichter mache, die ersten Schritte in die Welt des Unternehmertums zu gehen. In München und Nürnberg können Gründer neuerdings auch auf die Unterstützung des Bundes setzen, denn dort befindet sich jeweils einer der zwölf Digital Hubs, die das Wirtschaftsministerium bundesweit ins Leben gerufen hat. Damit sollen digitale Innovationen in Deutschland gefördert werden. Ist das eine sinnvolle Ergänzung oder entsteht eine Konkurrenz zur heimischen Förderstruktur? Für Felix Haas, selbst Gründer, Business Angel und Mitveranstalter der Gründermesse Bits & Pretzels, ist klar: „Jede Initiative, die nennenswerte finanzielle Mittel in die Hand nimmt, ist eine wertvolle Bereicherung für unser Ökosystem. Es darf kein Monopol geben für die Unterstützung von Unternehmern.“
Wenig privates Geld aus Deutschland
Die Frühphasenfinanzierung klappt in Bayern gut – erst wenn ein junges Unternehmen eine Wachstumsfinanzierung braucht, wird es schwierig, wie vielerorts in Deutschland. Das wäre ein klassische Aufgabe für Venture Capital-Fonds, aber davon gibt es wenige deutsche und die sind für große Wachstumsschritte meist zu klein. Kapitalstarke Venture Capital-Fonds, etwa aus den USA, zögern dagegen bislang oft, sich in weit entfernten Unternehmen zu engagieren, weshalb ihre Investition in ein Start-up meist mit dessen Abwanderung in die USA einhergeht. Doch es sind Anzeichen zu vernehmen, dass sich hier etwas ändert. „Noch vor zehn Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass ein amerikanischer Venture Capital-Fonds in Deutschland investiert. Aber jetzt sehen die sich verstärkt in Deutschland und speziell auch in München um. Ein Grund ist, dass sie hier noch bezahlbare Einstiegsbewertungen finden“, hat Haas beobachtet. Dennoch: Deutsches Kapital fließt nach Einschätzung vieler Beobachter auch auf absehbare Zeit nicht in Strömen in Start-ups. Das kann man als Zeichen mangelnder Risikobereitschaft Einzelner sehen – es liegt aber sicher auch daran, dass in Deutschland keine Pensionsfonds existieren, die andernorts zumindest einen Teil der verwalteten Mittel auch als Wagniskapital einsetzen.
Die Krise als Chance
Aufgrund der Corona-Krise sind manch einem Technologie-Start-up plötzlich die Aufträge abhandengekommen – oft aber konnten junge Unternehmen sogar davon profitieren. „Ich glaube nicht, dass die Krise abschreckend wirkt. Viele Gründer haben ja ein digitales Geschäftsmodell. Sie sind eher Gewinner der Pandemie“, sagt Hock-Döpgen. Andererseits: Wenn die Wirtschaft am Boden liegt, tun sich auch Gründer schwer. Welche Effekte die Pandemie nach sich zieht, wird man erst in ein paar Jahren wissen. Bis dahin dürfte sich die Start-up-Landschaft in Bayern aber allen Experten zufolge nicht gravierend verändern.
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