Bayerische Biotechnologie-Szene

Darf es ein bisschen mehr sein?

Bayern konnte sich in den letzten Jahrzehnten als Standort für Biotechnologie und Innovation etablieren. Die Bilanz fällt sehr positiv aus – wenn auch mit ein paar Einschränkungen.

Prof. Dr. Haralabos Zorbas, IBB

Es ist zurzeit spannend. Die ganze Welt liefert sich ein Rennen, wer schneller ein wirksames Medikament und einen Impfstoff gegen COVID-19 entwickelt. Die Pandemie hat das geschafft, was vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre: Firmen aus der Biotechnologiebranche haben nicht nur etwas Aufwind bekommen, sondern erleben einen regelrechten Hype. Nun sitzt auf Investorenseite das Kapital lockerer – und es geht um viel Geld. Prof. Dr. Haralabos Zorbas, Geschäftsführer des Industriellen Biotechnologie Bayern Netzwerks (IBB), beschreibt es folgendermaßen: „Die bayerische Biotechnologieszene erlebt derzeit ihre größte Renaissance seit Mitte der 1990er-Jahre, als sich infolge des deutschlandweiten BioRegio-Wettbewerbs mehrere Biotechnologiehotspots gründeten.“ Auf Bundesebene ist der Biotech-Standort Bayern weit vorne: Hier existieren gleich mehrere Regionen, in denen sich Life Sciences-Einrichtungen niedergelassen haben, etwa München-Martinsried, Regensburg, Franken und Straubing. Es sieht gut aus für die Branche – doch es gibt noch Luft nach oben.

„Mia san mia“

Dr. Regina Hodits, Wellington Partners

Laut Invest in Bavaria, der Ansiedlungsagentur des Freistaats Bayern, haben etwa 350 Unternehmen aus der Biotech-Industrie ihren Sitz in der Region. Das ist auch auf die hiesigen renommierten Universitäten mit hoher Kompetenz in biotechnologischer Forschung und Lehre zurückzuführen. „Bayern kann mit einer ausgezeichneten Vernetzung von universitärer, wissenschaftlicher Forschung mit klinischem Know-how sowie Zugang zu diagnostischer Kompetenz punkten. Das findet man nicht oft in dieser Dichte und dieser Qualität“, so Dr. Regina Hodits, Managing Partner bei Wellington Partners. Darüber hinaus profitiert die bayerische Szene zusätzlich von der Ansiedlung bedeutender IT- und Hightech-Unternehmen in der Region. „Diese sehr gute Ausgangsposition sollte durch höhere Risikobereitschaft bei Gründern und Kapitalgebern sowie ein Vorantreiben der Digitalisierung weiter ausgebaut werden“, betont Zorbas. Die Corona-Pandemie hat der Branche viel Aufmerksamkeit beschert – sie ist aber gleichzeitig eine Herausforderung: „Ich hoffe, dass die Branche die Chancen nutzt, schnell sinnvolle Tests, Impfstoffe und Arzneimittel auf dem Markt bringt“, warnt Dr. Matthias Kromayer, Vorstand der MIG Verwaltungs AG. Es geht darum, dem neu gewonnenen Vertrauen gerecht zu werden.

Gutes staatliches Fördersystem

Auch aufgrund des breit angelegten staatlichen Fördersystems vermochte die Life Sciences-Branche, sich in Bayern zu etablieren: „Die Hilfestellung vom Bayerischen Wirtschaftsministerium für junge Start-ups und aber auch für arrivierte Unternehmen aus der Biotechnologie ist bemerkenswert. Es gibt diverse Förderprogramme, aber auch das IZB ist staatlich gefördert und seit einem Vierteljahrhundert für Gründer in Bayern da“, erklärt Dr. Peter Hanns Zobel, Geschäftsführer vom Innovations- und Gründerzentrum Biotechnologie (IZB). Auch die Cluster-Offensive Bayern, das IBB und andere stehen den Unternehmen der Branche bei der Umsetzung wissenschaftlicher Ideen in innovative Produkte und Verfahren zur Seite – umfassende Betreuung und Anbindung an professionelle Netzwerke inklusive.

Die Akzeptanz ist da – das Kapital auch?

Zu Corona-Zeiten ist die Biotechnologie in aller Munde, insbesondere die „rote“, die sich mit der Entwicklung von Medikamenten, Impfstoffen und dergleichen beschäftigt. Schließlich geht es heute nicht mehr um „genmanipulierte Tomaten“, sondern um die Heilung von Krankheiten, die die Menschheit geißeln und weitreichende Folgen für die Wirtschaft haben. Vor diesem Hintergrund hat sich dieses Jahr sogar der Bund medienwirksam am Tübinger Unternehmen CureVac beteiligt. Bayern ist ein innovativer Standort und Corona hat die Verfügbarkeit von Kapital auch im Freistaat verbessert. „Wir haben mitten im Lockdown mit der SIRS Therapeutics eine neue Firma in München anfinanziert, die die Entwicklung eines Wirkstoffs für die Behandlung von akutem Lungenversagen weiter voranbringt“, erklärt Hodits. Dennoch: Die extrem langwierigen, risikoreichen und teuren Produktentwicklungszyklen für neue Medikamente lassen Geldgeber manchmal zögern. „Sagen wir mal so – es gab schon deutlich schlechtere Zeiten in Deutschland und Bayern. Es gibt zurzeit signifikant Geld für Biotech-Unternehmen, global wie auch lokal“, fügt Hodits hinzu.

Nachholbedarf auf internationaler Ebene

Dr. Mathias Kromayer, MIG Verwaltungs AG

Im internationalen Ländervergleich besteht jedoch Nachholbedarf. „Grundsätzlich ist es in Deutschland für ein Biotech-Start-up verhältnismäßig immer noch schwieriger, Kapital einzuwerben, als in manch anderen Hochtechnologieländern“, erklärt Zorbas. „Wir schneiden allein im europäischen Vergleich noch unterdurchschnittlich ab: Von den rund 13 Mrd. EUR eingeworbenen Kapitals im europäischen Biotechsektor in 2019 haben deutsche Unternehmen nur rund 860 Mio. EUR akquiriert“, fügt er hinzu. Kromayer von MIG sieht Schwierigkeiten eher bei der Weiterfinanzierung: „Für Seed-/A-/B-Runden ist die Verfügbarkeit von Kapital gut“, aber „für Anschlussfinanzierungen im höheren zweistelligen Millionenbereich sieht es weiterhin düster aus.“

Ausblick

Bayern hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem wichtigen Biotechnologiestandort gemausert und erlebt durch Corona derzeit ein Hoch. Unternehmen und Kapitalgeber, die auf Innovation setzen und sich nicht vor kostspieligen Entwicklungszeiten, die länger als beispielsweise bei der Softwareentwicklung sind, scheuen, werden auch langfristig zu den Profiteuren gehören. Die im Jahr 1992 in Martinsried nahe München gegründete MorphoSys zählt heute zu den Top Ten-Biotech-Unternehmen weltweit – eine Erfolgsgeschichte wie aus dem Bilderbuch, aber noch mit Seltenheitswert. Natürlich existieren derer noch mehr, wenn auch nicht in derselben Dimension. Die Biotech-Szene hinkt im internationalen Vergleich hinterher – aber das ist kein regionales, sondern ein nationales Problem. In Deutschland finden im Bereich Life Sciences immer noch zu wenige Börsengänge statt. „Am wichtigsten wäre ein Kapitalmarkt mit spezialisierten Biotechinvestoren und -analysten an den deutschen oder zumindest europäischen Börsen. Aber dafür sind wir in Deutschland vermutlich einfach zu risikoavers“, betont Kromayer. Ein Schritt in die richtige Richtung ist das Gesetz zur steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung, das Anfang dieses Jahres in Deutschland in Kraft trat und private Investitionen ankurbeln soll. Für die Zukunft hat Kromayer noch einen Tipp: „Die Regionen und Organisationen müssten eng kooperieren. Auch wenn Konkurrenz das Geschäft beleben soll, kann Bayern niemals mit Boston, der Bay Area oder Cambridge konkurrieren, solange man die Kräfte nicht bündelt.“ Nicht perfekte, aber gute Voraussetzungen für aussichtsreiche Projekte sind gegeben: reger wissenschaftlicher Austausch und Förderung durch den Freistaat. Die Corona-Krise hat die Bedeutung der Branche gezeigt; nun ist vor allem auf Geldgeberseite der Mut gefragt, mehr und längerfristig zu investieren, um Ideen in kommerzielle Entwicklungen umzusetzen. Zobel vom Innovations- und Gründerzentrum Biotechnologie (IZB) gibt sich zuversichtlich: „Wir haben beim IZB viele Firmen, die erfolgreiche Kooperationen mit großen Pharmaunternehmen wie zum Beispiel AstraZeneca, Roche oder mit vielen weiteren großen Firmen abgeschlossen haben. Die Entwicklungszeit ist in der Biotech-Branche länger. Bei uns entstehen jedoch auch in Zukunft neue Medikamente und innovative Verfahren“, so Zobel.