Über 80% der deutschen Hochschulen haben in den vergangenen Jahren Gründungsförderung als festen Bestandteil in ihre Hochschulpolitik integriert. Studenten können bereits auf zahlreiche Leistungen wie etwa auf attraktive Förder- und Accelerator-Programme oder kostenlose Datenbanken zurückgreifen. Doch die Angebote und Programme unterscheiden sich zwischen Hochschulen hierzulande noch immens. Bestehende Potenziale werden von zahlreichen Hochschulen bei Weitem nicht ausgeschöpft. Daher sind hier vor allem diese in der Verantwortung. So investiert das Land Nordrhein-Westfalen insgesamt 150 Mio. EUR in sechs deutsche Universitäten, um bis 2024 Gründerzentren zu etablieren und das Start-up-Ökosystem auszubauen.
Hochschulen gelten als Treiber von Fortschritt und Innovation. Innovative Technologie entsteht dort, wo intensiv geforscht wird und engagierte Wissenschaftler ihre fachliche Expertise zusammenbringen. Deutschland gehört in Europa mit 3,04% F&E-Aktivität im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt zu den führenden Nationen im Forschungsbereich. Jedoch werden nur 12,5% der deutschen Start-ups an Hochschulen gegründet. Im Vergleich dazu ist die Schweiz mit 18,1% Europas Spitzenreiterin. Zudem hat das deutsche Patent- und Markenamt in den letzten fünf Jahren einen sukzessiven Rückgang an Patentanmeldungen von Hochschulen um knapp 14% verzeichnet. Dabei zeigt eine weitere Studie, dass über 80% aller Start-up-Gründer über eine akademische Ausbildung verfügen; angeführt von rund 40% mit einem wirtschaftswissenschaftlichen Hintergrund. In Anbetracht der zahlreichen Chancen und Potenziale für Gründer an Hochschulen stellt sich die Frage, warum die Gründerquote in Deutschland so gering ausfällt.
Breites Förderangebot
Zunächst fehlt heute noch vielen Studenten – insbesondere in den naturwissenschaftlichen Fachbereichen – die Gründungssensibilisierung als echte Alternative zum Einstieg in den Beruf. Darüber hinaus wird häufig mit fehlender Berufserfahrung argumentiert. Dabei bieten vielzählige Hochschulen, auch ohne Praxiserfahrung, ausgezeichnete Rahmenbedingungen für eine Start-up-Gründung. Das Angebot an Förderprogrammen und Fördergeldern ist groß. Neben den bekannten Exist-Stipendien bestehen noch zahlreiche weitere, oft regional gebundene Fördertöpfe wie etwa Start-up transfer.NRW oder die Förderung IBB Pro FIT. Zudem stehen die Chancen für einen Zuschlag gut: Allein 2019 wurden über 60% aller Exist-Anträge bewilligt (363 Anträge zu 219 Bewilligungen), und bald ist mit einem weiteren, deutlichen Anstieg zu rechnen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hat bereits im vergangenen Jahr angekündigt, die Haushaltsmittel für Exist zu verdoppeln. Neben Fördermitteln bieten Hochschulen aber auch weitere Vorteile. So können oft Mentorenprogramme, Räumlichkeiten, technische Geräte oder Labore genutzt werden, um etwa erste Konzepte auszuarbeiten und Prototypen herzustellen.
Team, Team, Team
Fördermittel allein reichen aber noch nicht für eine erfolgreiche Start-up-Gründung. Ein qualifiziertes und hoch motiviertes Team mit komplementären Fähigkeiten ist eine zwingende Voraussetzung – ein einzelner Technik-Geek wird ebenso erfolglos bleiben wie der geborene Vertriebler ohne ein einzigartiges Produkt. Um individuelle Stärken und Schwächen besser einschätzen zu können, empfiehlt es sich, Gründer- und Unternehmertests durchzuführen. Solche werden unter anderem kostenlos von netCampus oder vom BMWi angeboten. Eine gute, kritische Selbstwahrnehmung ist an dieser Stelle nicht zu unterschätzen. So scheitert ein Drittel aller Start-ups daran, dass das Anforderungsprofil und Gründer nicht erfüllt ist, obwohl sich in der Regel gerade an Hochschulen die komplementäre Expertise beziehungsweise unterschiedlichste geeignete Persönlichkeiten finden lassen. Daher ist es sehr hilfreich, Kompetenzen aus unterschiedlichen Fachbereichen zusammenzubringen. Während bereits etablierte Gründungszentren die richtigen Plattformen anbieten und mit ihren Netzwerken unterstützen können, überzeugen zu viele Hochschulen bis dato noch nicht mit entsprechenden Initiativen.
Marktanalyse unerlässlich
Stehen die Idee und das Gründerteam, wird in der Regel der Businessplan erarbeitet. Dabei muss eine ausführliche Analyse des Markts und der Wettbewerber erfolgen. Auch hier spielen Hochschulen eine wichtige Rolle, und zwar in Bezug auf die dazu notwendigen Daten. Sowohl für die Forschung am Produkt als auch für die Marktanalysen sind relevante Datenbanken unerlässlich. In der Regel sind die Zugänge zu den aktuellen Publikationen/Journals sowie zu den großen businessplanrelevanten Datenbanken wie Gartner oder Statista kostenpflichtig. Viele Hochschulen bieten ihren Studenten und wissenschaftlichen Mitarbeitern jedoch oft kostenfreie Campus-Zugänge an. Diese erleichtern nicht nur den Research-Aufwand erheblich, sondern schonen auch noch das ohnehin geringe Budget in der Gründungsphase.
Der Proof of Concept
Darüber hinaus sollten junge Unternehmer rechtzeitig damit beginnen, sich auf die Einwerbung weiterer Mittel vorzubereiten. Je nach Investor muss ein Proof of Concept beziehungsweise erste Traktion mit (Pilot-)Kunden vorzeigbar sein. Es ist nicht ungewöhnlich, dass auch hier die Hochschulen über ihr Netzwerk und Praxispartner die richtigen Kontakte herstellen können. Als ausgezeichnetes Beispiel kann die Initiative TechFounders von UnternehmerTUM herangezogen werden: In einem 20-wöchigen Accelerator-Programm werden ausgewählte Start-ups mit namhaften Konzernen zusammengebracht und Pilotprojekte durchgeführt.
Paradebeispiele hierzulande
Generell dient UnternehmerTUM (gemeinsam mit der Technischen Universität München) nicht nur hier als das Musterbeispiel für ein etabliertes Zentrum für Innovation und Gründung. Mehr als 240 Mitarbeiter helfen über zahlreiche Programme beim Aufbau und der Finanzierung von jungen Unternehmen. Eine weitere Success Story in diesem Zusammenhang ist Tudag in Dresden, die als eigenständige, durch die Gesellschaft von Freunden und Förderern der TU Dresden gegründete Aktiengesellschaft seit 20 Jahren erfolgreich Start-ups mitentwickelt und -gründet. Das Land Nordrhein-Westfalen hat mit Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart, ehemaliger Rektor der HHL Leipzig, die Notwendigkeit solcher Start-up-Ökosysteme an Hochschulen erkannt. Bis 2024 werden für den Ausbau spezieller Gründerzentren insgesamt 150 Mio. EUR für sechs ausgewählte Universitäten bereitgestellt.
Knackpunkt Patente
Spätestens bei der Suche nach externem Kapital stoßen junge Unternehmen auf eine weitere Hürde: Innovationen und einzigartige Technologien müssen so weit wie möglich geschützt werden und die dabei entstehenden Patente sollten im Start-up liegen beziehungsweise mindestens unbeschränkt über eine exklusive, sehr weitreichende Lizenz genutzt werden können. Jedoch ist gerade die Verhandlung mit öffentlichen Forschungseinrichtungen und Hochschulen über die Einbringung von Patenten in Start-ups ein sehr mühsamer und langwieriger Prozess, an dessen Ende nicht selten die Gründung scheitert. Investoren sind nicht bereit, in Unternehmen zu investieren, die keinen uneingeschränkten Zugriff auf die der Technologie zugrunde liegenden Patente haben. Eigene Erfahrungen mit etablierten Gründerzentren, wie etwa mit Tudag, zeigen, dass aber auch hier beidseitig zufriedenstellende Regelungen gefunden werden können.
Fazit
Der Zeitpunkt, ein eigenes Unternehmen während oder aus dem Studium heraus zu gründen, könnte trotz der Pandemie kaum passender sein. Die generell besser werdenden Rahmenbedingungen für junge Gründer lassen weiterhin auf ein hohes Potenzial der Hochschulen als Start-up-Keimzelle hoffen, auch wenn hier deutschlandweit noch erhebliches Nachhol- und Optimierungspotenzial auszumachen ist, wie der eingangs angeführte Vergleich zur Schweiz zeigt. Dass die Länder und Hochschulen das Thema heute schon ernster nehmen, zeigen beispielsweise die steigenden Exist-Mittel und die Initiative „Exzellenz Start-up Center.NRW“ des Landes Nordrhein-Westfalen. In Zukunft muss noch intensiver an der Verbesserung der Rahmenbedingungen zur Gründung aus der Hochschule gearbeitet werden, damit mehr junge Talente den Sprung in die eigene Unternehmensgründung wagen und Deutschland die (noch) gute Position als Innovationsmotor in der Weltwirtschaft verteidigen kann.
Dr. Paul-Josef Patt (l.) ist Managing Partner von eCapital und hat Betriebswirtschaftslehre in Tübingen, Paris und Münster studiert. Er begann Ende der 1990er, in Hightechunternehmen zu investieren, und hat eCapital ab dem Jahr 2004 neu aufgebaut. Als Leadinvestor verhandelte er den Novaled-Exit an Samsung und den Sonnen-Exit an Shell. Patt ist unter anderem Mitglied des Beirats der NRW.Bank und Vorstandsvorsitzender der Universitätsgesellschaft Münster e.V. sowie im Beirat des Reach – Euregio Start-up Center Münster. Manuel Syri ist Investment Manager bei eCapital und hat Betriebswirtschaftslehre in Passau und Münster studiert. Er sammelte Erfahrungen im Investment Banking, im Assetmanagement, im Audit und im Consulting.