Der Advent ist eine willkommene Gelegenheit, inne zu halten, das vergangene Jahr Revue passieren zu lassen und neue Energie für die bevorstehenden Aufgaben zu sammeln. In der Reihe „Adventsgespräche“ kommen Köpfe der deutschen Venture Capital- und Private Equity-Szene zu Wort, ziehen ein Fazit zu 2020 und werfen einen Blick nach vorne auf die kommenden zwölf Monate.
VC Magazin: Mit einem neuen Standardvertragswerk hat das German Standards Setting Institute (GESSI) neue wegweisende Akzente für einen Modernisierungsschub bei Beteiligungsverträgen gesetzt. Sie hatten die juristische Federführung innerhalb der Arbeitsgruppe. Was sind die Besonderheiten des neuen Vertragswerkes?
Weitnauer: Das Standardvertragswerk ist so gestaltet, dass es die Beurkundung des Beteiligungsvertrags bei der GmbH und die damit zusammen hängenden, meist unverhältnismäßigen Notarkosten vermeidet, so wie dies bei der AG mangels entsprechender Formzwänge für die Übertragung von Aktien ohnehin der Fall ist. Die Regelungen, die zur Beurkundungspflicht bei der GmbH und zum Ansatz der Pre-Money-Bewertung zusätzlich zum Investment bei der notariellen Gebührenberechnung führen, nämlich Verpflichtungen zur Übertragung bestehender Geschäftsanteile, sei es im Rahmen von Vorerwerbsrechten oder der Mitverkaufspflicht, sind in die Satzung verschoben, deren notarielle Form genügt. Sonstige Optionsrechte, etwa bei Verzug mit Zuzahlungen oder im Rahmen des Vesting, sind als Einziehungsrechte ausgestaltet. Überdies ist eine eigene Secondary-Regelung vorgesehen, die Business Angels einen früheren Ausstieg ermöglichen soll, etwa im Rahmen einer späteren Finanzierungsrunde, damit sie wieder andere Start-ups unterstützen können, so wie es ihre Bestimmung ist.
VC Magazin: Wer waren die maßgeblichen Treiber des Projektes GESSI?
Weitnauer: Das GESSI-Projekt ist vom Business Angels Netzwerk Deutschland und dem Bundesverband Deutsche Start-ups initiiert. Das ist daher auch die Zielgruppe, auf die das Standardvertragswerk zugeschnitten ist. Die Prozesse sollen durch die Standardisierung verschlankt und beschleunigt werden. Überdies dient der Anmerkungsteil, mit dem ich das Vertragswerk versehen habe, dem besseren Verständnis noch nicht so erfahrener Gründer oder Business Angels. Mein Bestreben war es, hiermit, wie der Name „German Standards Setting Institute“ besagt, einen neuen Standard zu setzen, der auch eher internationalen Gepflogenheiten entspricht, und althergebrachte, aber kostspielige Gewohnheiten in Deutschland aufzubrechen.
VC Magazin: Beschneiden die neu ausgearbeiteten Standardvertragsvorlagen die hiesigen Anwaltskanzleien nicht um signifikantes Umsatzpotenzial?
Weitnauer: Das Standardvertragswerk kann nicht einfach wie ein Formular ausgefüllt werden. Davor warne ich. Es bedarf bei der Umsetzung weiterhin der individuellen Beratung durch Anwälte und Steuerberater, auch um es an besondere Fallgestaltungen oder Abreden anzupassen. Aber es führt an die Themen heran und gibt entsprechend dem im Markt üblichen Vorgaben. Es versteht sich als Hilfsmittel, nicht als Ersatz für Beratung. Allenfalls Notare mögen das mit kritischen Augen sehen. Aber das Standardvertragswerk verfolgt das Interesse der hinter GESSI stehenden Verbände und ihrer Mitglieder. Ihr Interesse ist es, dass das Investment mit überschaubarem und verhältnismäßigem Kostenaufwand dem Start-up zufließt. Für spätere Finanzierungsrunden, bei denen es häufig auch einer Due Diligence und des Ausgleichs der Interessen von Gründern, Alt- und Neuinvestoren auf Basis bestehender Regelwerke bedarf, werden Anwälte unvermindert gefordert bleiben. Aber gerade auch hier kommt es zur Ersparnis der dann noch höheren Notarkosten, wenn man der GESSI-Struktur folgt.
VC Magazin: Welchen Einfluss hatte Corona auf Transaktionen im Venture Capital-Segment?
Weitnauer: Das Geschäft hat aus meiner Sicht nicht gelitten, im Gegenteil wird durch die öffentlichen Corona Matching Funds und Start-up-Hilfen mehr Geld als vorher in den Markt gepumpt. Und die innovativen Themen, die durch Venture Capital besetzt werden, wie Digitalisierung, Life Sciences oder erneuerbare Energien, stehen gerade in Zeiten wie diesen im Vordergrund und wecken das Anlegerinteresse. Daher hat Corona, so merkwürdig das klingen mag, nach meinem Gefühl für den Venture Capital-Markt eher belebende Wirkung. Jedenfalls haben sich mach meinem Eindruck die Beteiligungskonditionen für Gründer nicht verschlechtert. Gute Start-ups werden nach wie vor gesucht.
VC Magazin: Welche Entwicklungen erwarten Sie in der Venture Capital- und Start-up-Szene im neuen Jahr 2021?
Weitnauer: Ich hatte schon im Frühjahr dafür plädiert, statt Gelder im Gießkannenprinzip auszugeben (was hoffentlich nicht geschehen ist), ein Venture Capital-Beschleunigungsgesetz auf den Weg zu bringen, das die in Deutschland bestehenden regulatorischen und steuerlichen Hemmnisse beseitigt. Hier geht nun tatsächlich der gerade vorgelegte Entwurf des Fondsstandortgesetzes in die richtige Richtung, sei es zur Besteuerung der Mitarbeiterbeteiligung oder zur umsatzsteuerlichen Behandlung der Managementvergütung von Fondsverwaltern. Das ist vielleicht noch nicht ganz rund, aber dass überhaupt nun endlich diese ersten Schritte unternommen werden, stimmt hoffnungsvoll. Und auch der Zukunftsfonds setzt ein klares Zeichen zum Aufbruch in der Venture Capital-Welt, damit auch endlich in Deutschland junge Start-ups zu „Unicorns“ reifen können. Es bedarf nur eben, wie sonst auch, eines langen Atems.
VC Magazin: Herr Dr. Weitnauer, vielen Dank für das Interview.
Dr. Wolfgang Weitnauer ist Gründer und Partner von Weitnauer Rechtsanwälte. Die Sozietät hat Büros in München, Mannheim, Berlin und Hamburg.