Interview mit Philipp Schlüter, Cowen Europe

„Unterschiede gibt es eigentlich nur noch im Risikoprofil und der -bereitschaft“

Weltweit ist der Markt für Fusionen und Übernahmen von der Corona-Pandemie und den Maßnahmen zu ihrer Eindämmung beeinflusst. Zwar ist eine stärkere Digitalisierung der Prozesse zu beobachten, doch ganz ohne persönliche Treffen kommt das M&A-Geschäft nicht aus – egal, ob auf der Käuferseite ein Stratege oder ein Finanzinvestor sitzt.

VC Magazin: Cowen bereits seit 2018 an Quarton International beteiligt. Wieso erst jetzt die Umfirmierung?
Schlüter: Bekanntgegeben haben wir die Beteiligung von Cowen an Quarton International im Januar 2019. Das Profil von uns hier in Europa ist ein etwas anderes als das unserer US-amerikanischen Kollegen: Wir sind im M&A-Geschäft für mittelständische und schnellwachsende Unternehmen aktiv. Die Kollegen aus den USA sind eine breitaufgestellte Investmentbank, die das europäische Midmarket-Segment erschließen möchte, seine globalen Kunden auch bei europäischen Transaktionen vor Ort unterstützen möchte und uns daher übernommen haben. Wir stellen fest, dass uns die gemeinsame Marke hilft, da wir Cowen als schlagkräftiges Team in den Sektoren kennengelernt haben, die für uns wichtig sind.

VC Magazin: Seit einigen Jahren ist eine Konsolidierung bei den M&A-Beratern zu beobachten. Wird sich diese Entwicklung weiter fortsetzen?
Schlüter: Ob sie sich weiter fortsetzen wird oder abgeschlossen ist, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Man kann auf jeden Fall festhalten, dass sich der Markt deutlich professionalisiert und konsolidiert hat. Der Weg dorthin war durchaus unterschiedlich: Manche Berater sind Teil einer großen Investmentbank geworden, andere haben Netzwerke aufgebaut, um ihre Kunden international bedienen zu können. Ich bin der Meinung, dass nach wie vor M&A-Boutiquen jeder Größe ihre Berechtigung haben: Die kleinen sind unter Umständen etwas flexibler, die mittelgroßen und großen können dafür mit einer internationalen Aufstellung dienen. Wir sehen, dass letzteres bei vielen Kunden inzwischen benötigt wird.

VC Magazin: In welchen Situationen ist ein internationaler Ansatz im Midmarket sinnvoll?
Schlüter: Wenn man sich ansieht, wer die Käufer von schnellwachsenden, Venture-finanzierten Unternehmen sind, fällt auf, dass das vielfach internationale Transaktionen sind. Ähnliches gilt auch im Bereich Medizintechnik: Dort werden häufig europäische Spezialisten von US-amerikanischen Konsolidieren übernommen. Und auch im Private Equity-Sektor ist es so, dass häufig deutsche Mittelständler für europäische Beteiligungsgesellschaften immer interessanter werden.

VC Magazin: Nach dem Aufschwung im Sommer war der Oktober der schwächste M&A-Monat in Deutschland. Welche Bilanz erwarten Sie für das Gesamtjahr?
Schlüter: Ziemlich sicher wird es 2020 weniger Transaktionen gegeben haben als in den Vorjahren. Insgesamt ist eine starke Konzentration auf Wachstumsbranchen zu beobachten und gleichzeitig, dass Transaktionen in anderen Sektoren schwer bis überhaupt nicht funktionieren. Zu letzteren zählen ohne Frage Automotive, Automobilzulieferer und Industrials – mit Private Equity-Beteiligung ist dort quasi gar keine Aktivität erkennbar. Ganz anders sieht es im Medizintechnik- und Software-Umfeld aus: Dort sieht man, dass die Beteiligungsgesellschaften nach wie vor über große Mengen an Kapital verfügen und sich nun auf Unternehmen und Branchen fokussieren, die mittelfristig wachsen werden. Ich würde schätzen, dass das Transaktionsvolumen zwar auf 70% zurückgegangen ist, sich dort aber 100% der Aufmerksamkeit tummelt.

VC Magazin: Wie sieht Ihre Prognose für 2021 aus?
Schlüter: Je länger wir nicht reisen können, desto schwieriger wird das M&A-Jahr 2021. Insbesondere bei Strategen ist zu beobachten, dass Transaktionen sowieso schon etwas länger dauern, was sich nun noch verstärkt. Gleichzeitig kauft niemand ein Unternehmen, ohne nicht vorher einmal vor Ort gewesen zu sein. Darüber hinaus haben die Themen Digitalisierung und Weiterentwicklung unglaublich an Fahrt gewonnen. Nehmen Sie nur das Beispiel des Handels, der bei der Umsetzung digitaler Prozesse gut drei Jahre nach vorne gesprungen ist. Sicherlich wird diese Entwicklung auch einen Einfluss auf die Bereitschaft zu Zukäufen haben, wenn man digitales Know-how von außen dazu holen möchte. Ein weiterer Faktor, der das M&A-Jahr 2021 beeinflussen wird, ist die Regulierung. Durch die Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, die aktuell als Novelle vorliegt, sollte man sich Transaktionen in Sektoren wie Healthcare, Pharma, Software, künstliche Intelligenz, Halbleiter genehmigen lassen, da das BMWi die Möglichkeit hat, diese fünf Jahre rückwirkend zu untersagen. Das führt aktuell bei möglichen Deals mit nichteuropäischen Investoren zu einer hohen Unsicherheit.

VC Magazin: Welche Rolle werden Beteiligungsgesellschaften im M&A-Markt 2021 spielen?
Schlüter: Der Digitalisierungsdruck ist bei Portfoliounternehmen von Private Equity-Fonds der gleiche wie bei allen anderen auch. Gleichzeitig sind viele Mittelständler heute so transaktionserfahren, dass auch in diesem Bereich kaum noch ein Vorsprung für durch Beteiligungskapital unterstützte Betriebe erkennbar ist. Unterschiede gibt es eigentlich nur noch im Risikoprofil und der -bereitschaft, weil Zukäufe unter Umständen nicht aufgrund der stabilen Cashflows des Targets getätigt werden, sondern wegen des agilen Teams dahinter.

VC Magazin: Sie sprachen eben von der Möglichkeit zu reisen, die einen Einfluss auf das Transaktionsgeschehen hat. Im Venture Capital-Sektor wird mittlerweile sehr viel digital abgewickelt – vom Kennenlernen über die Due Diligence bis zum Signing. Wie weit ist die Private Equity-Branche in diesem Bereich?
Schlüter: Hier muss man zwischen Portfolioarbeit und Kaufprozess unterscheiden. Erstere wird sicherlich viel digitaler, monatliche Boardmeetings werden vielfach zu Videokonferenzen, Strategiemeetings finden tendenziell vor Ort statt. Mein Eindruck ist, dass sich viele darauf freuen, weil man weniger reisen muss. Wir haben auch Transaktionen schon komplett digital abgewickelt – mit Ausnahme von zwei bis drei Meetings. Wenn das Zielunternehmen aber beispielsweise eine Produktion hat, führt kein Weg daran vorbei, einmal vor Ort gewesen zu sein. Auch braucht es nach wie vor mindestens ein persönliches Gespräch mit dem Unternehmer. Schließlich muss man ja am Ende mehrere Jahre miteinander arbeiten und da muss auch die Chemie stimmen.

VC Magazin: Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Bereitschaft zum Verkauf im für den deutschen Beteiligungsmarkt so wichtigen Segment der mittelständischen Unternehmen entwickeln?
Schlüter: Schwer zu sagen. Ich könnte mir vorstellen, dass die Bereitschaft Partnerschaften einzugehen zunimmt. Das bedeutet ja nicht, dass man die Mehrheit abgibt. Die Weiterentwicklung des Unternehmens oder auch die Digitalisierung bringen so viel Veränderung mit sich, dass Mittelständler immer mehr zu der Überzeugung gelangen, diese Veränderung auf mehrere Schultern zu verteilen. Sich dann Partner ins Boot zu holen, die Erfahrung in diesem Bereich haben, liegt nahe.

VC Magazin: Herr Schlüter, vielen Dank für das Interview.

 

Philipp Schlüter ist seit 2010 Partner bei Cowen. Zuvor war er als Unternehmer tätig und hat im Bereich Video on Demand mehrere Firmen gegründet und aufgebaut.