Adventsgespräche – 15. Dezember

Mit Dr. Jörg Goschin, KfW Capital

Der Advent ist eine willkommene Gelegenheit, inne zu halten, das vergangene Jahr Revue passieren zu lassen und neue Energie für die bevorstehenden Aufgaben zu sammeln. In der Reihe „Adventsgespräche“ kommen Köpfe der deutschen Venture Capital- und Private Equity-Szene zu Wort, ziehen ein Fazit zu 2020 und werfen einen Blick nach vorne auf die kommenden zwölf Monate.

VC Magazin: Welchen Eindruck haben Sie von der Verfassung der deutschen Venture Capital-Branche in Zeiten von Corona?
Goschin: Das Geschäftsklima im Venture Capital-Markt stürzte im ersten Quartal schockartig auf ein Allzeittief ab – sowohl was die Bewertungen der aktuellen Lage als auch die Geschäftserwartungen der Venture Capital-Investoren anging. Allerdings – und das zeigt die Stärke des Marktes – verbesserte sich das Klima im zweiten und dritten Quartal. Sicherlich haben wichtige politische Maßnahmen wie zum Beispiel das Kurzarbeitergeld dazu beitragen. Besondere Signalwirkung in Bezug auf Planungssicherheit dürfte aber das 2 Mrd. EUR große Start-up-Hilfspaket des Bundes gehabt haben. Im Jahresverlauf haben wir trotz Krise ein starkes Fundraising vieler Akteure gesehen – wir selbst konnten wie geplant unser Investmentvolumen deutlich erhöhen. Auch die zuletzt spektakulären Finanzierungsrunden und Verkäufe, die wir in den letzten Wochen gesehen haben, zeigen, wie erstaunlich stark der Markt doch durch dieses besondere Jahr gekommen ist – sicherlich auch dank der wirkungsvollen staatlichen Hilfen.

VC Magazin: Wie steht es um das Interesse institutioneller Investoren an der Assetklasse?
Goschin: Institutionelle Investoren wie Pensionsfonds, Versicherer, Versorgungswerke oder Family Offices haben eine große Bedeutung für die weitere Entwicklung des deutschen Venture Capital-Marktes. Denn obwohl sich dieser bis zum Beginn der Pandemie hervorragend entwickelt hat, liegen die Investments im Vergleich zu anderen Ländern deutlich zurück: Um beispielsweise zu Großbritannien aufzuschließen, müssten deutsche Start-ups jährlich etwa doppelt so viel Venture Capital erhalten, um das US-Level zu erreichen, sogar das Vierfache. Hier ist staatliche Unterstützung unbedingt notwendig, aber wir benötigen auch privates Kapital. Wir müssen Anreize schaffen und die Einstiegshürden für neue Investorengruppen reduzieren, damit auch institutionelle Investoren stärker im europäischen Venture Capital-Markt investieren. Insbesondere eine bessere Markttransparenz sowie die Etablierung eines Sekundärmarktes würden die Attraktivität deutlich erhöhen.

VC Magazin: Erwarten Sie dort eine Veränderung, wenn der 10-Mrd.-EUR-schwere Zukunftsfonds kommt?
Goschin: Der Zukunftsfonds, der bis 2030 auf über 10 Mrd. EUR aufwachsen soll und für den der Haushaltsausschuss die gesetzliche Grundlage geschaffen hat, soll mehrere Module umfassen. Unter anderem geht es um den Ausbau bestehender und die Implementierung neuer Instrumente, zum Beispiel eines Dachfonds. Dieser soll dazu beitragen, professionelle private Investoren wie zum Beispiel Versicherer und andere Institutionelle verstärkt für die Assetklasse Venture Capital zu gewinnen. KfW Capital und KfW sind derzeit in intensiven Gesprächen mit dem Bundesfinanz- und Bundeswirtschaftsministerium über die Ausgestaltung der einzelnen Module, die in einander greifen und sich ergänzen und alle Entwicklungsphasen junger Unternehmen mit einem Schwerpunkt auf Wachstumsfinanzierung adressieren sollen.

VC Magazin: Mit welchen Gefühlen blicken Sie persönlich auf 2020 zurück?
Goschin: Persönlich bin ich – wie vermutlich alle – von der Corona-Pandemie überrascht worden. Die Auswirkungen auf das private, aber eben auch das berufliche Leben sind enorm: Bei KfW Capital haben wir von einem Tag auf den anderen damit begonnen, mit höchster Dringlichkeit die erste Säule der Start-up-Hilfen gemeinsam mit dem Bundesfinanz- und Bundeswirtschaftsministerium zu konzipieren und diese anschließend mit dem Europäischen Investitionsfonds umzusetzen. Ich bin nachhaltig davon beeindruckt, wie schnell, flexibel und mit welch großem Engagement alle Beteiligten gemeinsam an einer Lösung gearbeitet haben, die gut vom Markt angenommen wurde.

VC Magazin: Und Ihr Blick nach vorne in Richtung 2021?
Goschin: Der Venture Capital-Markt hat sich während der vergangenen schwierigen Monate recht robust gezeigt. Dabei haben die deutschen Fonds sehr professionell agiert. Aber auch die innovativen Technologieunternehmen: Nicht wenige von ihnen haben sehr flexibel auf die veränderten Rahmenbedingungen reagiert und ihr Geschäftsmodell angepasst; einige konnten sogar profitieren. Und: Wir alle haben in den vergangenen Monaten riesige Schritte hin zur Digitalisierung gemacht – daraus ergeben sich weitere Chancen für das kommende Jahr. Des Weiteren gewinnt das Thema ESG (Environment – Social – Governance) auch im Venture Capital-Markt erfreulicherweise deutlich an Bedeutung. Immer mehr Investoren, machen ihre Investmententscheidung maßgeblich davon abhängig, ob die Zielfonds aber auch ihre Portfoliounternehmen ESG-Kriterien anwenden und reporten. Wir halten das für richtig und für die Sicherung unserer aller Zukunft von größter Bedeutung; auch in unserem Investmentprozess ist das Thema ESG daher bereits fest verankert. Alles in allem betrachtet, sehe ich daher positiv in die Zukunft, sofern wir es schaffen, die Pandemie zu besiegen. Die Unterstützung durch die Bundesregierung ist mit dem Zukunftsfonds gegeben, und KfW Capital schafft hierfür bereits wichtige Voraussetzungen, damit der Venture Capital-Markt in Deutschland den nächsten Entwicklungsschritt machen kann!

VC Magazin: Herr Dr. Goschin, vielen Dank für das Interview.

 

Dr. Jörg Goschin ist selbst Gründer und erfahrener Investment Professional, der über tiefe Marktkenntnis, breites fachliches Know-how und ein dichtes Netzwerk im Venture Capital-Markt verfügt. Frühere Stationen seiner beruflichen Laufbahn waren Metzler, The Boston Consulting Group, BNP Paribas, Cerberus, Blackstone und Alastin. Seit Gründung ist er gemeinsam mit Alexander Thees Geschäftsführer von KfW Capital.