Bildnachweis: © Alex Story, Fotostudio August.
Brexit, Start-up-Hotspot London, Gründer – Alex Story gibt einen Einblick in die Start-up-Landschaft Großbritanniens und wie sich die Start-up-Bubble der britischen Hauptstadt vom Rest des Landes unterscheidet.
VC Magazin: Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe für die hervorragenden Ergebnisse der britischen Start-up-Szene?
Story: Der Hauptgrund ist die Fruchtbarkeit des Bodens, auf den die Investitionen fallen. Von unserem Universitätssystem bis zu unserem Arbeitsmarkt und von unseren relativ einfachen Steuergesetzen bis zu unserer Sprache ist das Umfeld attraktiv und fruchtbar für Early-Stage-Investitionen. Die Wagniskapitalszene Großbritanniens wie auch das Land selbst ist und wird weiterhin als Ganzes erfolgreich sein, wenn es sich auf die Lösung der Probleme konzentriert, mit denen es im eigenen Land konfrontiert ist. Großbritannien steht, wie die meisten Länder, vor vielen Herausforderungen. Die größte ist jedoch das Gefälle zwischen dem, was einmal die Werkstatt der Welt war, und London. Es ist erschütternd festzustellen, dass das Pro-Kopf-BIP in Inner London über 600 % des EU-Durchschnitts beträgt; im Tees Valley (Nordengland) liegt es bei 69 %. Das Positive daran ist, dass eine leichte Umschichtung des Wohlstands zugunsten des Nordens, ohne London zu torpedieren, Großbritannien wirklich in eine sensationelle Zukunft katapultieren könnte.
VC Magazin: Sie leben mit Ihrer Familie in Salzburg, haben aber noch ein Büro in London. Können Sie beschreiben, wie sich die kontinentaleuropäische und die britische Start-up-Szene unterscheiden?
Story: Meine Frau ist Opernsängerin, deshalb sind wir dorthin gezogen. Außerdem wollte ich, dass meine Kinder schon früh Deutsch lernen. London ist ein Riese, nicht nur an der Investitionsfront. Man braucht nur fünf Minuten mit dem Taxi zu fahren, um von einem Universum ins andere zu springen. An jedem dieser Orte gibt es verschiedene Arten von Menschen, mit verschiedenen Hintergründen, die aufeinandertreffen. In London, so scheint es, ist jeder darauf aus, ein Geschäft zu machen. Deutschland ist ganz anders. Im Vergleich zu Großbritannien ist Deutschland völlig dezentralisiert. Das ist ein großer Vorteil. Dadurch ist das Leben im ganzen Land für die meisten sehr komfortabel. Es gibt 16 verschiedene Hauptstädte, alle mit eigenem Geist, eigener Finanzierungsinfrastruktur, eigener Wirtschaftslandschaft. Jedes Land hat seine eigene Persönlichkeit, seine eigenen Familiennetzwerke und seine eigenen Arbeitsgewohnheiten, was bedeutet, dass sich das Geschäft für Außenstehende wie mich langsamer entwickelt, weil es ein intimerer Prozess ist. Es läuft auf einer anderen, sehr menschlichen Ebene ab.
VC Magazin: Wenn wir über die britische Start-up-Szene sprechen, konzentrieren wir uns zunächst auf den Großraum London. Gibt es noch andere Hotspot-Regionen?
Story: London dominiert – und das nicht nur in der Start-up-Szene. Das ist teilweise der Grund für den Brexit. Der Norden Englands ist im Grunde ein interner Wachstumsmarkt. In den letzten Jahren haben sich Risikokapitalfonds wie Maven, Albion und Catapult an Orten wie Manchester, Newcastle, Leeds und Liverpool vervielfacht. Obwohl, wenn wir ehrlich sind, wird die Wiederbelebung von Liverpool viel mehr mit Jürgen Klopp zu tun haben als mit irgendjemand anderem. Sein Einfluss auf Liverpool war so groß, dass man Liverpool genauso gut als deutsches Territorium betrachten könnte. Wir haben Liverpool verloren – aber an einen besseren Mann. Darüber hinaus arbeitet die britische Regierung an Dutzenden von Freihäfen im ganzen Land, einschließlich Schottland. Dies werden Gebiete sein, die mit vielen geschäftlichen Vorteilen im Hinterkopf entworfen werden. Das ist ein wirklich interessanter Bereich, den man beobachten sollte. Und schließlich ist Großbritannien dabei, seine eigene Version der deutschen KfW zu starten. Unternehmen außerhalb Londons werden damit Zugang zu ähnlichen Finanzierungskonditionen haben, wie sie deutsche Unternehmen seit Jahrzehnten durch die Infrastruktur der Volksbanken, Sparkassen und Landesbanken haben.
VC Magazin: Bitte charakterisieren Sie den typischen Londoner Start-up-Gründer.
Story: Der Londoner Start-up-Gründer kommt typischerweise von einer öffentlichen Schule (Privatschule), wie Eton, Westminster oder Ampleforth. Unser Archetyp hat gute Verbindungen, einen guten Universitätsabschluss und vielleicht einen MBA von einer anerkannten Universität. Er ist relativ jung, mag PowerPoint-Präsentationen und nimmt das Telefon nicht ab, wenn es klingelt. Er liest The Economist und die Financial Times und mag die Idee einer grenzenlosen Welt aus der Enge seines bewachten Anwesens in Pimlico. Sein Businessplan zeigt in der Regel einen Verlust für die ersten drei Jahre, gefolgt von einem hockeystickartigen Wachstum. Das Risiko aus Sicht der Investoren ist, dass der Plan, der auf dem Papier so toll aussieht, sich nicht in etwas Substanzielleres übersetzt. Der Start-up-Gründer aus Yorkshire hingegen verließ mit 16 die Schule, liest die Daily Mail, liebt sein Land und gründet am Montag sein Unternehmen. Am Dienstag verschickt er seine ersten Rechnungen. Am Mittwoch kassiert er seine erste Zahlung. Am Freitag hat er seinen ersten Gewinn gemacht. Doch dann wächst sein Geschäft aufgrund fehlender Finanzierungsmöglichkeiten nur noch organisch. Erfolgreich, geldbringend, wahrscheinlich skalierbar – aber angesichts der Tatsache, dass nur wenige Investoren außerhalb Londons unterwegs sind, nicht in der Lage, in der nationalen Liga mitzuspielen. Er ist talentiert, hungrig und erfinderisch. Beides macht auf seine Art meist großen Spaß.
VC Magazin: Wie können sich Start-ups auf dem umkämpften Londoner Arbeitsmarkt hochtalentierte Mitarbeiter sichern?
Story: Durch die Pandemie ist der Jobmarkt viel flexibler geworden. Wie Sie wissen, passiert jetzt sehr viel online. Zoom-Meetings sind allgegenwärtig geworden. Es ist also möglich, auf Talentpools aus dem ganzen Land zuzugreifen, ohne nach London ziehen zu müssen. Das wird sicherlich einen echten Einfluss auf die Neuausrichtung des Vereinigten Königreichs haben. Im Gegenzug könnte die Londoner Start-up-Szene von einer echten Senkung der tatsächlichen Lohnkosten profitieren, während sie gleichzeitig einen besseren Zugang zu mehr Talenten hat.
VC Magazin: Welche Auswirkungen hat der Brexit auf Start-ups, wenn es um die Internationalisierung geht?
Story: Der Brexit war notwendig. Er war eine Erinnerung daran, dass London zwar in der Finanzwelt die Oberhand hat, nicht aber in der Politik. Ein Land kann nur dann friedlich seinen Weg gehen, wenn es einen breiten Konsens herstellt, den die meisten akzeptieren können. London und Großbritannien sind im Großen und Ganzen sehr einladende Orte für Menschen und für die Wirtschaft. Großbritannien hat sich durch den Brexit nicht verändert. Es wird bleiben, was es immer war: ein großartiger Ort, um Geschäfte zu machen, französisches Essen zu genießen, mit dem neuesten deutschen Auto nach Hause zu fahren und einen amerikanischen Film auf japanischer Hardware zu sehen.
VC Magazin: Was sind die neuesten Technologien und Geschäftsmodelle, die derzeit in London im Trend liegen?
Story: Es gibt eine ganze Reihe interessanter und vielfältiger Unternehmen in den Bereichen medizinisches Cannabis, Wellness, Pharma, Lebensmittel und Fintech. Auffallend sind Unternehmen wie Gousto. Das Unternehmen liefert hochwertige Lebensmittel nach einem von Ihnen gewählten Rezept zu Ihnen nach Hause und Sie können die Mahlzeit so zubereiten, als wären Sie der beste Koch Frankreichs. Es ist ein außergewöhnlicher Erfolg. Das Start-up ist kaum fünf Jahre alt, hat aber bereits eine Bewertung von einer Milliarde Pfund. Der Laden wird von einem tollen Typen namens Timo Boldt geführt. Er ist tatsächlich Deutscher und ein super lustiger Typ – eine Kombination, die mir schon oft begegnet ist. Wenn Sie nach Großbritannien kommen, lohnt es sich wirklich, die App auszuprobieren und Ihre Pläne zur Gewichtsreduktion für ein paar Tage fallen zu lassen. Im Bereich der Pharmazie hat die Regierung eine sehr aggressive Task Force ins Leben gerufen, die zusammen mit Universitäts-Inkubatoren und Pharmakonzernen versucht, die Lieferketten für medizinische Produkte zu verkürzen und die Produktion zurück auf die Inseln zu bringen. Die Pandemie hat uns in ganz Europa gezeigt, wie unverantwortlich es war, dass unsere Unternehmens- und Politikführung zugelassen hat, dass unsere Lieferketten so abhängig von China geworden sind – über 90 % unserer Medikamente werden in demselben Land hergestellt, das uns das Virus beschert hat. Die Pandemie hat viele Schwachstellen in der Infrastruktur unserer jeweiligen Länder aufgedeckt. Sie hat uns allen aber auch einen klaren Fokus gegeben.
VC Magazin: Wir danken Ihnen für das Gespräch!
Zum Interviewpartner:
Alex Story ist Senior Manager bei einem City Brokerage, wo er eng mit Vermögensverwaltern und Finanzinstituten zusammenarbeitet. Er vertrat Großbritannien bei den Olympischen Spielen und gewann zweimal das Boat Race für Cambridge. Sein Team hält immer noch den Streckenrekord. Er schreibt auch Meinungsartikel in der britischen Presse.