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Was haben Unternehmenslenker und Raucher gemeinsam? Beide werden verstärkt zum Objekt staatlicher Nudging-Bemühungen. Auf Unternehmensseite trifft das unter anderem im Hinblick auf die verstärkte Berücksichtigung von ESG-Belangen zu.
Nudging bezeichnet den Versuch, das Verhalten der Menschen nicht durch konkrete Verbote oder Gebote zu steuern, sondern sie durch einen mehr oder weniger sanften „Stups“ dazu zu bringen, etwas Bestimmtes zu tun oder zu lassen. Diesem Zweck dienen etwa Warnhinweise wie „Rauchen tötet“ und abschreckende Krankheitsfotos auf Zigarettenschachteln. Rauchen wird aber nicht verboten.
Ähnlich arbeitet auch der Gesetzgeber, wenn es um das Ziel einer Berücksichtigung von ESG-Themen in der Realwirtschaft und auf dem Kapitalmarkt geht, etwa durch ESG-bezogene Berichts- und Transparenzpflichten. Auch hier wird eine Art Nudging-Approach verfolgt. Nachhaltiges Wirtschaften wird dadurch zwar nicht vorgeschrieben, aber nicht nachhaltiges Wirtschaften ist begründungsbedürftig. Derart transparent gemacht, bekommen Nachhaltigkeitsfaktoren etwa Einfluss auf die Kosten der Unternehmensfinanzierung. Vor allem drohen aufgrund der Nichtberücksichtigung von ESG-Themen Reputationsrisiken. Nicht nachhaltiges Verhalten wird damit zu einem im Rahmen von unternehmerischen Entscheidungen mittelbar relevanten Faktor.
Es ist insoweit allerdings wie bei den Rauchern: Zwar ist klar, was der Gesetzgeber gerne hätte, aber man darf sich darüber hinwegsetzen. So wie Raucher trotz Warnhinweisen noch rauchen dürfen, blieb bislang Unternehmenslenkern im Rahmen der Business Judgement Rule überlassen, ob und inwieweit sie Nachhaltigkeitsthemen tatsächlich berücksichtigen. Jenseits der Legalitätspflicht besteht nach deutschem Gesellschaftsrecht keine allgemeine Pflicht zu ethischem Verhalten.
Diese Zeiten könnten vorbei sein: Die nächste Stufe der EU-Regulierung wird nämlich voraussichtlich eine Richtlinie zu Corporate Sustainable Governance bringen. Bereits im Dezember 2020 war die Kommission vom EU-Parlament aufgefordert worden, legislativ sicherzustellen, dass auch die gesellschaftlichen Interessen im weiteren Sinne von den Unternehmenslenkern berücksichtigt werden. Auch die Konsultation der EU-Kommission zu diesem Thema hatte unter anderem bereits eine entsprechende Ausweitung der gesellschaftsrechtlichen Duty of Care zum Gegenstand.
Sollte damit seitens der EU tatsächlich eine gesellschaftsrechtliche Pflicht zur Berücksichtigung von ESG-Belangen kommen, würde dies für das deutsche Gesellschaftsrecht bei aller grundsätzlich bereits heute gebotenen Berücksichtigung von Stakeholder-Interessen einen radikalen Wandel bedeuten. Bislang ist nämlich allein das Unternehmensinteresse die oberste Richtschnur des Handelns – Gemeinwohlinteressen müssen nur insoweit berücksichtigt werden, als dies spezialgesetzlich vorgeschrieben ist oder sie im nachhaltigen (das heißt langfristigen) Interesse des Unternehmens liegen.
Das wird zwar häufig der Fall sein, zwingend ist es aber nicht. Auch die Externalisierung der Kosten und Risiken unternehmerischen Handels zulasten von Umwelt, Gesundheit und der Zukunft war – im Rahmen der Grenzen des Legalitätsprinzips – in der Vergangenheit durchaus zulässig oder sogar geboten, solange es dem Unternehmen nutzte. Aus europäischer Sicht sind diese Zeiten, darauf deutet alles hin, vorbei.
Statt sanftem Nudging kommt jetzt möglicherweise eine harte gesellschaftsrechtliche Pflicht zum Handeln im Sinne von mehr gesamtgesellschaftlicher Verantwortung durch Berücksichtigung von ESG-Themen, auch wenn das nicht unbedingt im Unternehmensinteresse liegen sollte.
Über den Autor:
Dr. Matthias Birkholz ist Gründungspartner und Co-Managing Partner der Berliner Rechtsanwaltssozietät lindenpartners. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind Gesellschaftsrecht/M&A und Litigation. Besonders am Herzen liegt ihm das Thema „Law Firm for Future“.