Bildnachweis: CUSP Capital.
Winter: Mit Cusp Capital investieren wir auf Basis von Hypothesen über disruptive, globale Entwicklungen. Dazu analysieren wir kontinuierlich gesellschaftliche und technologische Entwicklungen mit globaler Relevanz. Zurzeit beschäftigen wir uns mit rund einem Dutzend verschiedenster Hypothesen. Eine These: Nachhaltigkeit wird die Wirtschaft ähnlich fundamental verändern wie die Digitalisierung in den vergangenen 20 Jahren, und Start-ups werden Pioniere dieser Entwicklung sein. Eine andere These: Für jede Branche wird es ein eigenes spezialisiertes Softwaresystem geben, also branchenspezifische SaaS-Lösungen, die wiederum viele Insellösungen konsolidieren.
VC Magazin: Was genau stellen Sie sich unter Ihrer These zur digitalen Leistung für die breite Bevölkerung vor?
Winter: Provokant formuliert: Das Internet ist von Eliten für Eliten gemacht und wird von den Top 20% der Einkommensgruppen genutzt. Breitere Bevölkerungsschichten mit einem geringeren Einkommen finden in der Onlinewelt in vielen Bereichen aus unserer Sicht noch keine passenden Produkte und Dienstleistungen. Hier setzen wir an.
VC Magazin: Dann wären Sie bei Unicorns wie Gorillas nicht dabei, weil diese sich nach Ihrer Theorie nicht an die breite Bevölkerung wenden?
Winter: Als alter E-Commerce-Hase hätte ich sicher in der frühen Phase investiert. Hier ist nun eher die Frage: Wie skaliert das Start-up jetzt? Wir feiern Unternehmen mit hohen Finanzierungsrunden als Gewinner, aber gleichzeitig kommt ein riesiger Wettbewerb auf. Hochinteressant wird das Thema sein, ob die große Anzahl der benötigten Fahrer bei Gorillas zur Wachstumsbarriere wird. Nach Corona gibt es ja wieder wesentlich besser bezahlte Jobs in vielzähligen Bereichen.
VC Magazin: Wie schwierig gestaltete sich das Fundraising mit dem neuen Fokus?
Winter: Unser Fundraising für den ersten Cusp Capital Fonds war sehr erfolgreich. Die Herausforderung im Fundraising war eher die Corona-Pandemie. Dennoch haben wir unser Zielvolumen von 300 Mio. EUR fest vor Augen; 230 Mio. EUR sind bereits zugesagt, unter anderem von EIF, KfW, NRW.Bank. Auch das Family Office von Tengelmann hat sich mit einem zweistelligen Millionenbetrag beteiligt. Wir planen, insgesamt 25 bis 30 Beteiligungen einzugehen. Die erste haben wir abgeschlossen: SimplyDelivery digitalisiert mit ihrer Software die gesamte Gastro-Branche.
VC Magazin: Als Standorte haben Sie sich Essen und Berlin ausgesucht. Warum diese Kombination?
Winter: Zum einen kommen wir aus der Region und sind ein eingespieltes Team. Ein Büro in Berlin ist heute ein Muss, um Teil des dortigen Ökosystems zu sein. Geografisch decken wir die DACH-Region, die nordischen Länder, Niederlande und Frankreich ab. Hier haben wir von Essen eine gute Anbindung. Es ist die Mitte des Ruhrgebiets und als drittgrößter Ballungsraum in Europa mit einer hohen Universitätsdichte ideal für Gründer.
VC Magazin: Ihre Investments richten Sie auf junge Start-ups in der Series A-Phase aus. Welche Trends sehen Sie am Markt?
Winter: Ich habe das Gefühl, es passiert zurzeit unglaublich viel. 2019 wurde als goldener Herbst gepriesen, aber mittlerweile fließt noch viel mehr Geld in den Markt mit sehr schnellen und sehr hohen Finanzierungsrunden. Das spricht für die Qualität des Ökosystems. Im Fintechbereich zum Beispiel sind die Player mittlerweile so relevant, dass es nun spürbar für die Banken wird. Viele Branchen haben zudem durch Corona einen Boost bekommen; E-Commerce galt eine Zeit lang bis Anfang 2020 noch als unsexy und wird jetzt stark befeuert.
VC Magazin: Also können wir bei den aktuellen Finanzierungsrunden vom Corona-Effekt sprechen?
Winter: Es hat in jedem Fall geholfen. Ganze Branchen erstarrten im März 2020, also am Anfang der Krise, wie das Kaninchen vor der Schlange; keiner wusste, was passiert. Zum Glück ist die Entwicklung genau in die andere Richtung gegangen. Technologie- und Digitalunternehmen haben bewiesen, wie stark man auf einmal wachsen kann und wie robust diese Geschäftsmodelle auch in Krisenzeiten sind.
VC Magazin: Sie waren über Jahre hinweg für Tengelmann Ventures verantwortlich. Wie sehen Sie Corporates als Akteure am Markt?
Winter: Die Corporates sind alle sehr aktiv und haben die Relevanz des Themas erkannt. Dennoch sitzen sie zwischen den Stühlen. Oftmals wird thematisch sehr unternehmensnah investiert. Mit diesem Ansatz bekommt man manche Gründer und Projekte nicht an einen Tisch – schließlich will keiner eine Frühphasenbeteiligung mit einem potenziellen späteren Käufer eingehen.
VC Magazin: Was ist aus Ihrer Sicht dann am sinnvollsten für einen Corporate?
Winter: Wenn ich mir als Unternehmen vollkommen neue Geschäftsfelder erschließen will, ist eine Beteiligung ratsam. Über Fund of Fund-Investments erreichen sie auch qualitativ gute Portfolios. Solche Investments sind für Corporates aus meiner Sicht effizienter, um einen wertvollen Überblick über viele Start-ups zu erhalten. In unserem Fund haben unsere Investoren auch immer die Möglichkeit, gemeinsam mit uns zu investieren. Wer als Corporate wirklich Direktinvestments in Start-ups machen möchte, muss eine eigene Expertise und ein separates Team aufbauen, das weitestgehend unabhängig investieren darf, um Erfolge einzufahren.
VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.
Christian Winter ist Gründer und Geschäftsführer von Cusp Capital. Zuvor zeichnete er sich eine Dekade für Tengelmann Ventures verantwortlich und investierte unter anderem in Zalando, Delivery Hero, Klarna und Scalable Capital.