Investmentmanager mehr gefordert als je zuvor

Studie: Venture Capital während der Corona-Krise

Social distance between people waiting in line and standing inside circles isolated on white background

Die Corona-Krise hat sich massiv auf unser aller Alltag ausgewirkt und zahlreiche Berufstätige zur Arbeit vom heimischen Schreibtisch gezwungen. Auch im Venture Capital-Bereich sind die Auswirkungen der Pandemie spürbar. Der Wagniskapitalmarkt ist zwar durch die Dotcom-Blase oder die Finanzkrise gewissermaßen krisenerfahren – die Verhängung von Lockdowns und Social Distancing stellten Start-ups und Investoren aber vor völlig neue Herausforderungen. Ein aktuelles Forschungsprojekt an der Technischen Universität Dresden untersucht die Auswirkungen der Corona-Krise auf den Prozess einer Venture Capital-Beteiligung aus der Perspektive von Early Stage-Wagniskapital-Investmentmanagern. Im zweiten Quartal 2021 wurden eingehende Interviews mit privaten und öffentlichen Venture Capitalisten durchgeführt, um die Veränderungen in deren Alltag, Aufgaben­spektrum und im Beteiligungsprozess zu analysieren.

Während der Krise wurde das Homeoffice zum Dreh- und Angelpunkt des beruflichen Alltags für Investmentmanager. Die Aufgabeninhalte und deren zeitlicher Aufwand verlagerten sich; demzufolge wurden weggefallene Reisezeiten teilweise für höher frequentierte, digitale Absprachen mit den Portfoliounternehmen genutzt, um diese bestmöglich zu unterstützen. Der Konsens unter den Befragten ist die katalysierende Wirkung der Pandemie – Portfoliounternehmen zählen entweder zu den klaren Gewinnern oder Verlierern der Krise. In jedem Fall scheint der Investmentmanager stärker gefordert als zuvor: entweder um der Krisensituation gegenzusteuern oder um bei dem rasanten Wachstum zu unterstützen.

People-Business ohne persönliche Kontakte

Wirklich schwierig scheint die Situation für die Akquise neuer Investments zu sein. Obwohl zahlreiche junge Hochtechnologie­unternehmen mit interessanten Geschäftsmodellen und anschei­nend mehr Kapital als je zuvor am Markt verfügbar sind, war die Herausforderung, ein vertrauensvolles Verhältnis ohne persönliche Kontakte zu schaffen. Besonders in der Frühphasenfinanzierung sind Vertrauen und persönliche Beziehungen sowie die Intuition der Investoren bedeutsam. Die Interviewpartner haben die Beziehung zu den von ihnen betreuten Start-ups häufig mit einer Ehe verglichen. Analog dazu ist der zentrale Gedanke, wie eine „Ehe“ eingegangen werden kann, ohne sich zuvor persönlich getroffen zu haben. Digitale Meetings und virtuelle Pitch-Events können zwar den Informationsfluss gewährleisten und den Prozess weitestgehend abbilden; zwischenmenschliche Bezie­hungen, ausschweifende Gespräche bei einem ersten Kennen­lernen und spontane Reaktionen entfallen aber weitestgehend. Die Mehrheit der Interviewten bestätigt: Das gemeinsame Biertrinken fehlt.

Uneinigkeit bei Interviewpartnern

Alle betreuten Start-ups scheinen sich durch ihre agile Arbeitsweise den neuen Umständen zügig angepasst zu haben. Die Anga­ben zu den Themen Vertragsgestaltung, Unternehmensbewertung und Exit-Perspektive fielen hingegen differenzierter aus. Während einige Interviewte in diesen Bereichen keine Änderungen feststellten, deuteten andere eine veränderte Verhandlungs­position für die Start-ups an. Vereinzelt wurde die Situation um die Unternehmensbewertung mit einer lang ersehnten Stagna­tion beschrieben. Betont wurde ebenso die Bedeutung einer ­fairen Bewertung, auch in Krisenzeiten, für eine langfristig erfolg­reiche Zusammenarbeit. Zu der Festlegung von Meilensteinen gibt es auch unabhängig von Corona verschiedene Ansichten. Während einige Venture Capitalisten gänzlich auf Meilensteine verzichteten, achteten andere während der Krise verstärkt auf deren Gestaltung.

Helene Müller
Helene Müller

Helene Müller und Julia Wöhler sind wissenschaftliche Mit­arbeiterinnen an der Tech­nischen Universität Dresden, Lehrstuhl für Entrepreneurship & Innovation. Müller promoviert im Themenbereich „Entrepre­neur­ship in Krisenzeiten“ und Wöhler zum Thema „Venture Capital“.

 

Julia Wöhler
Julia Wöhler