„ESG ist kein Modethema“

Sommerinterview Teil 5: Mit Marc Göbbels, Tauw Group

Marc Göbbels, Tauw Group
"ESG ist kein Modethema" - Sommerinterview mit Marc Göbbels, Tauw Group

Bildnachweis: © istock.com/Vadym Ilchenko / Tauw Group.

Nach anderthalb Jahren Coronapandemie hat sich vieles verändert: Neue Trends sind entstanden, Branchen stärker in den Fokus gerückt, die Arbeitswelt ist digitaler geworden. Es ist Zeit für ein erstes Fazit und einen Blick nach vorn. In den Sommerinterviews erzählen Persönlichkeiten aus der Private Equity- und Venture Capital-Branche von Fundraising- und Investmenterfahrungen, schätzen den aktuellen Markt ein und berichten von ihren Erwartungen für 2022.

VC Magazin: Ihr Fokus liegt bei Tauw auf Nachhaltigkeit – auf einem Bereich, der in der Corona-Krise einen deutlichen Boost erfahren hat. Wie sieht Ihr Fazit nach anderthalb Jahren Pandemie dazu aus?
Göbbels: Unseren Kundenansprüchen folgend haben wir bereits in den letzten fünf Jahren einen besonderen Fokus darauf gelegt, ein Expertenteam aufzubauen, welches sich ausschließlich um die ESG-bezogenen Bedürfnisse von Investoren im Markt der alternativen Investments kümmert. Und Sie haben absolut recht: In den letzten anderthalb Jahren hat sich die Nachfrage nach diesen Leistungen besonders stark entwickelt.

Welcher Anteil an dieser Entwicklung sich genau auf die Pandemie zurückführen lässt, ist aktuell nur schwer einzuschätzen, da sich sowohl die Wahrnehmung in Bezug auf den Klimawandel im gleichen Zeitraum noch einmal verstärkt hat als auch die Sustainable Finance-Regulierung aktuell eine große Rolle spielt. Fest steht für uns aber in jedem Fall, dass die Pandemie bei dieser Entwicklung keinen hemmenden Faktor darstellt, sondern eher einen Katalysatoreffekt auslöst. Wir beobachten, dass sich bei unseren Klienten die Wahrnehmung in Bezug auf den möglichen Einfluss von ESG-Faktoren und die damit einhergehende potenzielle Verwundbarkeit der Wertschöpfung durch die Pandemie generell geändert hat.

VC Magazin: Zu Ihren Kunden zählen Investoren, die ESG bei den Investments berücksichtigen möchten. Wie hat sich Ihr persönliches Geschäft durch Corona verändert?
Göbbels: Neben der stark gestiegenen Nachfrage nach ESG-Expertise sehen wir auch inhaltlich einige Entwicklungen. So sind innerhalb des allgemein gängigen Spektrums von ESG-Aspekten bestimmte Felder noch einmal deutlich prominenter in den Fokus gerückt. Insbesondere sind hier Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie das Management von Lieferketten und Lieferantenbeziehungen zu nennen. Des Weiteren spielt zum Beispiel auch Datenschutz eine große Rolle in der Schnittmenge Corona-Pandemie und ESG.

Daneben erfahren diejenigen ESG-Aspekte, die auch vor der Pandemie schon Fokusthema waren, insbesondere Klimaschutz und Klimaanpassung, aber auch Diversity weiterhin stetig steigende Bedeutung.

Rein operativ gesehen geht es uns wie der Mehrheit der (Beratungs-)Unternehmen auch – die Kommunikation mit unseren Kunden verläuft fast ausschließlich virtuell.

VC Magazin: Seit März gibt es im Rahmen der EU-Transparenzverordnung in Deutschland neue ESG-Richtlinien. Inwiefern haben sich diese bereits auf die Branche ausgewirkt? Welche Erfahrungen haben Sie seither in der Zusammenarbeit mit Investoren gemacht?
Göbbels: Die EU-Transparenzverordnung nimmt Investoren nun in die Pflicht, den Umgang mit ESG- beziehungsweise Nachhaltigkeitsthemen in den Investmentaktivitäten offenzulegen. Dementsprechend war das erste Halbjahr bei uns stark davon geprägt, unsere Kunden bei der Vorbereitung hierauf zu unterstützen. Da die Regulierung zwar schon angewendet werden muss, in der konkreten Ausgestaltung jedoch noch nicht abgeschlossen ist, besteht im Markt aktuell noch relativ viel Unsicherheit und Klärungsbedarf. Grundsätzlich lässt sich aber beobachten, dass diejenigen Akteure, welche schon zuvor systematisch Elemente des ESG-Managements in ihre Aktivitäten integriert haben, etwas einfacher mit den Regulierungsanforderungen fertig werden. Hier spielt auch das individuelle Bewusstsein für die Relevanz dieser Themen eine große Rolle.

Die zunehmende Regulierung bleibt auch spannend, wenn es nun darum geht, konkrete ESG-Datensets (sogenannte Principal Adverse Impacts, kurz: PAIs) durch die Investmentkette hinweg zu erfassen und zu aggregieren. Darüber hinaus kommt mit der EU-Taxonomie sehr bald eine weitere Regulierung zur Anwendung, auf die sich Investoren einstellen müssen.

VC Magazin: Ein Blick in die Glaskugel: Wie schätzen Sie das geschäftliche Umfeld für ESG-Themen im Sommer 2022 ein?
Göbbels: Es ist klar, dass ESG kein Modethema ist, sondern immer weiter in die Kernaktivitäten von Investoren rückt. Sowohl die Markt- als auch die Regulierungsansprüche werden kurzfristig weiter steigen. Dementsprechend ist die weitere Professionalisierung des ESG-Managements und dessen Einbettung in die bestehenden Geschäftsaktivitäten auch für die kommenden Monate und Jahre ein spannendes Thema. Hierbei sehen wir insbesondere die Verbesserung der Datenerfassung und -qualität als Aufgabe für das nächste Jahr.

Darüber hinaus sehen wir auch eine in unseren Augen willkommene Entwicklung der Betrachtung von ESG-Aspekten im Sinne des Risikomanagements hin zum vermehrten Nutzen der ESG-Perspektive als Werthebel und Differenzierungsmerkmal. Dies sehen wir sowohl im Fundraising als auch in Bezug auf die Investments. Nicht zuletzt bedeutet dies, dass Investoren immer stärker ihrer Rolle im Sinne des globalen Leitziels einer nachhaltigen Entwicklung nachkommen, indem das Kapital vermehrt in Assets investiert wird, die hierzu einen Beitrag leisten.

 

Marc Göbbels ist Director Responsible Investment Services bei der Tauw Group. Er verfügt über langjährige Expertise in der Beratung von Private Equity- und Venture Capital-Investoren zu strategischen und operativen Themen im Bereich Responsible Investment, ESG Management und Klimawandel.