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Nach anderthalb Jahren Coronapandemie hat sich vieles verändert: Neue Trends sind entstanden, Branchen stärker in den Fokus gerückt, die Arbeitswelt ist digitaler geworden. Es ist Zeit für ein erstes Fazit und einen Blick nach vorn. In den Sommerinterviews erzählen Persönlichkeiten aus der Private Equity- und Venture Capital-Branche von Fundraising- und Investmenterfahrungen, schätzen den aktuellen Markt ein und berichten von ihren Erwartungen für 2022.
VC Magazin: Wie beurteilen Sie die geschäftliche Situation der Beteiligungsbranche?
Hinrichs: Für die Beteiligungsbranche hat das erste Halbjahr 2021 einen sehr erfreulichen Verlauf genommen. Vertrauen und Sicherheit sind auf dem Markt zurückgekehrt. Die im Großen und Ganzen erfolgreiche Impfkampagne und die damit einhergehend sinkenden Inzidenzzahlen haben den Trend sicherlich beeinflusst. Der Stimmungsaufschwung schlägt sich auch in unserem quartalsweise erhobenen Stimmungsbarometer nieder – dem Private Equity- und Venture Capital-Barometer. Beide Barometer haben sich von ihren historischen Tiefstwerten aus dem Vorjahr nicht nur erholt, sondern der Venture Capital-Bereich erreicht sogar einen historischen Höchstwert. Auch auf der Investitionsseite sehen wir rege Aktivitäten. Im Venture Capital-Markt war das erste Halbjahr das investitionsstärkste in der Geschichte. Gleiches gilt für den Buyout-Bereich, wo im Vergleich zum Vorjahr die Zahl der Deals ebenso wie das Gesamtvolumen deutlich angestiegen sind.
VC Magazin: Wie hat sich das Beteiligungskapitalgeschäft durch Corona verändert?
Hinrichs: Die Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung hatten natürlich weitreichende Auswirkungen auf das Beteiligungskapitalgeschäft. Das Geschäft lebt in hohem Maße von persönlichem Vertrauen und Begegnungen. Es war eine große Umstellung, dass Teams aus dem Homeoffice und einzig über Videokonferenzen Transaktionen vollzogen haben oder Portfoliounternehmen sicher durch die Krise manövriert haben. Corona hat auch in unserer Branche die Digitalisierungsanstrengungen beschleunigt. Dabei hat sich gezeigt, dass Beteiligungskapital gerade auch in schwierigen Zeiten ein Stabilitätsanker für Start-ups und Mittelständler ist.
VC Magazin: Werden diese Veränderungen auch in Zukunft anhalten?
Hinrichs: Das viel diskutierte „New Normal“ wird auch in unserer Branche anhalten. Ich sehe, dass hier in vielerlei Hinsicht ein Umdenken stattgefunden hat. Die persönlichen Begegnungen werden hoffentlich wieder zunehmen, wenn es Corona erlaubt. Dennoch gehe ich davon aus, dass man versuchen wird, auch künftig die Vorteile der Digitalisierung zu nutzen. Es hat sich gezeigt, dass man diese Herausforderungen bewerkstelligen kann. Ein Mitglied hat mir beispielsweise ganz begeistert davon erzählt, wie es in ein Unternehmen in Indien investiert hat, ohne das Management auch nur einmal persönlich getroffen zu haben. Der Markt hat sich jedenfalls als sehr robust erwiesen. Trotz Corona gab es auch große Finanzierungsrunden wie bei Celonis, Trade Republic oder wefox.
VC Magazin: Welchen Einfluss hat die Pandemie auf die Verbandsarbeit?
Hinrichs: Auch die Verbandsarbeit lebt natürlich vom direkten Austausch und der direkten Begegnung. All das war bis in den Mai hinein nur eingeschränkt möglich. Wir standen hier auch vor der Herausforderung, neue Formate zu entwickeln, um mit unseren Mitgliedern, der Politik, den Medien sowie anderen Verbänden im Dialog zu bleiben. Onlinekonferenzen allein können dies nicht auffangen – deshalb haben wir jetzt einen Bus gemietet und besuchen mit unserem Videoformat „Die Chancenmacher“ unsere Mitglieder und führende Frauen und Männer aus Politik und Gesellschaft, um mit ihnen über Herausforderungen und Chancen zu sprechen. Nichtsdestoweniger freue ich mich darauf, dass wir zu unserem jährlichen Highlight, dem Deutschen Eigenkapitaltag am 25. November, endlich wieder Gäste begrüßen dürfen: Dann können sich unsere Mitglieder und Gäste endlich auch wieder unmittelbar austauschen.
VC Magazin: Wir befinden uns im Schlusssport für die aktuelle Legislaturperiode. Wie fällt Ihr Fazit für die Beteiligungsbranche aus?
Hinrichs: Die Legislatur ist geprägt von Licht und Schatten. Ein Meilenstein war sicher die Einführung des Zukunftsfonds, für den wir uns jahrelang bei der Politik eingesetzt haben. Einige Module wurden bereits in Angriff genommen, hier erwarten wir uns einen spürbaren Schub für die Start-up-Finanzierung in Deutschland. Sehr positiv war auch, dass die Politik den Start-ups und den mittelständischen Betrieben mit Hilfsprogrammen schnell und konsequent durch die Krise geholfen hat. Dies hat sicherlich sehr dazu beigetragen, dass sich vielzählige Unternehmen und der Kapitalmarkt vergleichsweise schnell erholt haben. Dennoch hätte ich mir beim Fondsstandortgesetz eine praxisorientiertere und mutigere Ausgestaltung gewünscht. Hier wurde keine Rechtssicherheit für die Fonds geschaffen. Auch zunehmende protektionistische Maßnahmen wie die Außenwirtschaftsnovelle sehe ich sehr kritisch.
VC Magazin: Ein Blick in die Glaskugel – wie schätzen Sie das geschäftliche Umfeld für Beteiligungsgesellschaften im Sommer 2022 ein?
Hinrichs: Fortschreitende Digitalisierung, Ausrichtung der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit oder der verschärfte internationale Wettbewerb. Hier müssen Antworten gefunden werden – und diese dürfen nicht weiter hinausgeschoben werden, wenn wir nicht den Anschluss verlieren wollen. Hierfür brauchen wir auch das unternehmerische Wissen und das Kapital der Beteiligungsgesellschaften. Die Unternehmer in Deutschland haben erkannt: Beteiligungskapital ist eine gute Option für Wachstum, Wandel und Stärke. Ich blicke optimistisch in den Sommer 2022.
Ulrike Hinrichs ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK).