Bildnachweis: © istock.com/Vadym Ilchenko / IBB Ventures.
Nach anderthalb Jahren Coronapandemie hat sich vieles verändert: Neue Trends sind entstanden, Branchen stärker in den Fokus gerückt, die Arbeitswelt ist digitaler geworden. Es ist Zeit für ein erstes Fazit und einen Blick nach vorn. In den Sommerinterviews erzählen Persönlichkeiten aus der Private Equity- und Venture Capital-Branche von Fundraising- und Investmenterfahrungen, schätzen den aktuellen Markt ein und berichten von ihren Erwartungen für 2022.
VC Magazin: Wie sieht ihr Zwischenfazit nach anderthalb Jahren Coronapandemie für die Venture Capital-Branche aus?
Zeller: Für ein echtes Fazit ist es sicher noch etwas verfrüht. Wir hoffen aber, dass wir das Tal der Tränen schon durchschritten haben und es wieder aufwärts in Richtung Normalität geht. Nach dem ersten Lockdown im März 2020 haben sich Startups sowie private und öffentliche Investoren sehr schnell an die neuen Gegebenheiten angepasst; das war schon beeindruckend. Das große Startup-Sterben ist zum Glück ausgeblieben. Die aktuelle Stimmung, auch in Anbetracht attraktiver Exits und fulminanter Börsengänge ist derzeit wieder sehr positiv.
VC Magazin: Welche Learnings nehmen Sie aus dieser Zeit mit?
Zeller: Es gab eine Reihe von Entwicklungen, die ich so nicht erwartet hätte. Technisch wurden die Voraussetzungen für Videokonferenzen, mobiles Arbeiten und Homeoffice extrem schnell geschaffen. Das war sicher keine Raketenwissenschaft, aber eine sehr wichtige Voraussetzung für Veränderungen. Die viel größeren Sprünge erfolgten aber bei der Umstellung gewohnter Arbeitsweisen und Prozesse. Ohne Effizienzeinbußen wurden Homeoffice-Quoten von bis zu 100% realisiert; Ersttermine mit Startups, Management- und Boardmeetings, auch Einstellungsgespräche und ganze Due-Diligence-Prozesse wurden bei uns weitgehend, z.T. sogar vollständig digitalisiert. Damit einhergehend hat sich eine neue Qualität von Vertrauenskultur entwickelt. Vieles was vorher nicht für möglich gehalten wurde ist heute das neue Normal.
VC Magazin: Die IBB Ventures hat Jungunternehmen in dieser schwierigen Phase auch mit Coronahilfen unterstützt. Welche Erfahrungen haben Sie hier gemacht?
Zeller: Insgesamt durchweg positive Erfahrungen. Die Startups haben sich den neuen Bedingungen und Herausforderungen sehr schnell angepasst, wobei die Folgen der Pandemie sehr unterschiedlich wirkten. Einige Startups waren sehr hart getroffen und mussten drastische Umsatzeinbrüche verkraften, andere waren weniger betroffen und konnten sogar Lösungen zur Bewältigung der Krise entwickeln. Bei den betroffenen Unternehmen haben wir zum weit überwiegenden Teil eine sehr intensive und fruchtbare Zusammenarbeit aller Gesellschafter gesehen, die erforderliche Anpassungen auf der Kostenseite und notwendige Finanzierung des entstandenen zusätzlichen Kapitalbedarfes zum Ziel hatten. Wir konnten unsere Finanzierungsaktivitäten mit einer großen Kraftanstrengung kurzfristig verdoppeln, parallel wurde in Berlin ein spezielles Programm für Intermediäre ins Leben gerufen, um durch die Einbindung von Investoren wie Business Angels und VC-Geber eine noch größere Anzahl von Startups zu erreichen. Hier war Geschwindigkeit gefragt und dies bei gleichzeitig komplexen Abstimmungen mit vielen Akteuren; das war beeindruckend und sollte uns auch bei der Bewältigung künftiger Herausforderungen zuversichtlich stimmen.
VC Magazin: In welche Branchen und Geschäftsmodelle würden Sie derzeit persönlich investieren?
Zeller: Mich persönlich begeistern Themen, bei denen es gelingt, den vermeintlichen Konflikt zwischen Wirtschaftlichkeit und Impact aufzulösen. Also Startups, die Wachstum und Wertsteigerung anstreben und dabei eine gesellschaftliche Herausforderung anpacken bzw. sich der Lösung der großen Themen im Bereich Klima, Umwelt, Nachhaltigkeit verschreiben. Damit treten sie den Beweis an, dass es kein Widerspruch sein muss, Geld zu verdienen oder etwas Gutes zu tun. Künftig wird es vielmehr genau darum gehen, diese beiden Ziele miteinander zu verbinden.
VC Magazin: Seit Jahresanfang gibt es Corona zum Trotz viele hohe Finanzierungsrunden und immer mehr Unicorns. Wie stufen Sie das derzeitige Preisniveau am Markt ein?
Zeller: Von einem generellen Preisniveau würde ich derzeit nicht sprechen. Es gibt jedoch einige Bereiche und Themen, die derzeit recht gefragt sind, bei denen auch Bewertungen und Finanzierungsrunden in ungeahnte Dimensionen vordringen. Für die Start-ups und das gesamte Ökosystem sind das große Erfolge. Gerade die Unicorns zeigen die erfolgreiche Entwicklung von kleinen Unternehmen zu international relevanten Playern. Daneben gibt es aber noch immer eine Vielzahl von aussichtsreichen Startups, die herausragende Chancen haben, bei denen die VC-Geber aber noch nicht Schlange stehen. Hier sehen wir uns selbst gefordert, Finanzierungsrunden mit starken Partnern zu realisieren. Die Konditionen bewegen sich hier in einem angemessenen Bereich.
VC Magazin: In Berlin siedeln sich immer mehr Venture Capital-Geber aus dem europäischen Umfeld, aber auch den USA an. Wie bewerten Sie diesen Trend?
Zeller: Das ist eine sehr positive Entwicklung, zeigt sie doch, dass sich Berlin als einer der interessantesten Hotspots für Startups etabliert hat; die Stadt zieht Talente, Gründer und Investoren an. Das war ein weiter Weg und es bedarf weiterer Anstrengungen, sich hier langfristig zu behaupten. Corona hat den Mut, neue Unternehmen zu gründen, etwas gedämpft. Im internationalen Vergleich ist es für deutsche Start-ups nicht so leicht, zu gründen und schon in frühen Phasen an ausreichend Kapital zu kommen. Hier bestehen noch große Herausforderungen. Als Stichworte seien hier nur Gründungskultur, Diversität, auch Digitalisierung der Verwaltung und Finanzierungsmöglichkeiten genannt.
VC Magazin: Ein Blick in die Glaskugel: Wie schätzen Sie Ihr geschäftliches Umfeld im Sommer 2022 ein?
Zeller: Die Pandemie sollte zum großen Teil hinter uns liegen und wir agieren im neuen „Post-Corona-Normal“. Das sollte für das gesamte Wirtschaftsleben heißen: Wir agieren flexibler, digitaler, agiler mit neuen Arbeitsmodellen und einer gewachsenen Vertrauenskultur. Im VC Bereich sollten die Themen Diversity und Impact einen größeren Stellenwert einnehmen; hier werden wir mit unserer Arbeit und unseren Finanzierungsangeboten einen aktiven Beitrag leisten.
Marco Zeller ist Managing Director der IBB Ventures, Berlin. Zuvor war er viele Jahre bei der Investitionsbank Berlin tätig und hat dort unter anderem die Wirtschaftsförderung verantwortet.