Bildnachweis: © istock.com/Vadym Ilchenko / Bundesverband Deutsche Startups .
Nach anderthalb Jahren Coronapandemie hat sich vieles verändert: Neue Trends sind entstanden, Branchen stärker in den Fokus gerückt, die Arbeitswelt ist digitaler geworden. Es ist Zeit für ein erstes Fazit und einen Blick nach vorn. In den Sommerinterviews erzählen Persönlichkeiten aus der Private Equity- und Venture Capital-Branche von Fundraising- und Investmenterfahrungen, schätzen den aktuellen Markt ein und berichten von ihren Erwartungen für 2022.
VC Magazin: Wie hat sich die Start-up-Landschaft durch Corona verändert?
Miczaika: Wir haben im letzten Frühjahr ein „Start-up-Sterben“ befürchtet: Nach einer Umfrage sahen im März 2020 rund 70 % der Start-ups ihre Existenz innerhalb der nächsten sechs Monate gefährdet. Es gab sicher verschiedene Gründe, warum die Befürchtungen letztlich nicht eingetreten sind. Auch das 2 Milliarden-Programm der Bundesregierung hat geholfen. Zwar lässt sich kein ganz einheitliches Bild für alle Start-ups zeichnen, weil die Betroffenheit der Corona-Pandemie stark von der jeweiligen Branchenzugehörigkeit abhängt, allerdings sehen wir nach einem starken Einbruch in puncto Gründungszahlen und Venture Capital-Investitionen im 2. Quartal 2020 jetzt wieder einen deutlichen Anstieg: Im ersten Halbjahr 2021 wurden mehr als 7,5 Mrd. EUR Wagniskapital in Deutschland investiert. So viel wie nie zuvor in einem Vergleichszeitraum. Auch führt die durch die Corona-Pandemie ausgelöste Digitalisierungswelle dazu, dass viele digitale Geschäftsmodelle von Start-ups besonders nachgefragt sind. Insofern stellen wir fest, dass das deutsche Start-up-Ökosystem den Auswirkungen der Pandemie erfolgreich getrotzt hat und sich wieder auf Wachstumskurs befindet.
VC Magazin: Werden diese Veränderungen auch in Zukunft anhalten?
Miczaika: Die positiven Trends sind Ausdruck eines insgesamt reifenden Start-up-Ökosystems. Deswegen werden sich diese Entwicklungen auch fortsetzen. Wichtig ist aber, dass Start-ups die bestmöglichen Rahmenbedingungen vorfinden: Wir müssen Magnet für internationale Talente werden. Dazu gehört u.a. bessere Rahmenbedingungen für Mitarbeiterbeteiligungen zu schaffen und ein Start-up-Visum einzuführen. Auch die Exit-Bedingungen müssen attraktiver und mehr Kapital institutioneller Investoren für die Wachstumsphase von Start-ups mobilisiert werden.
VC Magazin: Wie bewerten Sie den aktuellen Unicorn-Trend?
Miczaika: Die erfreuliche Zunahme an Unicorns in Deutschland ist Ergebnis einer langjährigen erfolgreichen Entwicklung, die sicher zum Teil von dem andauernden Niedrigzinsumfeld profitiert. Der Trend zeigt: Das deutsche Start-up-Ökosystem wächst und reift. Aus einem internationalen Blickwinkel ergibt sich jedoch ein differenzierteres Bild: Etwas mehr als die Hälfte aller weltweit bestehenden Unicorns haben ihren Sitz in den USA, während nur 2,1 % dieser Wachstumsunternehmen aus Deutschland kommen – bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt sind das etwas mehr als viermal so viele. Wenn wir im internationalen Wettbewerb nicht den Kürzeren ziehen wollen, müssen wir weiter daran arbeiten, besser zu werden.
VC Magazin: Ein Blick in die Glaskugel: Wie schätzen Sie das geschäftliche Umfeld der Jungunternehmen im Sommer 2022 ein?
Miczaika: Ich gehe davon aus, dass sich die positive Entwicklung des Start-up-Ökoystems auch im kommenden Jahr fortsetzen wird. Denn wir haben in Deutschland viele Potenziale, die noch nicht oder nicht ausreichend genutzt werden. Das beginnt beispielsweise bei wissensbasierten Ausgründungen von Hochschulen bzw. Forschungsinstituten und reicht bis zur geringen Anzahl von Gründerinnen. Wenn es gelingt diese Potenziale besser zu heben, wird sich die positive Entwicklung in Zukunft verstetigen und wir schaffen ein nachhaltiges Start-up-Ökosystem in Deutschland.
Dr. Gesa Miczaika ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied beim Startup-Verband und Gründerin von Auxxo Beteiligungen, wo sie als Investorin vor allem Gründerinnen unterstützt.