Bildnachweis: © BVK.
Gut zwei Monate sind seit der Bundestagswahl vergangen, und SPD, Bündnis 90/Die Grünen sowie FDP haben ihren Koalitionsvertrag der Öffentlichkeit vorgestellt. Nach Jahren einer großen Koalition ist neue Tatkraft und echte Aufbruchstimmung bei allen Beteiligten festzustellen. Die überwiegend harmonischen Koalitionsverhandlungen verliefen gänzlich anders als in der Vergangenheit. Vertraulichkeit wurde nicht nur vereinbart, sondern auch gelebt. Die Herausforderungen jedenfalls, vor denen die Koalitionäre in den kommenden Jahren stehen, sind groß. Standen die Zeichen zu Beginn des Jahres 2021 noch auf Erholung und Wachstum, trübte sich die Stimmung in der Wirtschaft in den vergangenen Monaten wieder spürbar ein.
„Mehr Fortschritt wagen“ – so lautet das Motto der Ampelkoalitionäre, das den Aufbruch für unser Land formulieren soll. Und sie zeichnen große Bilder: Aufgabe dieser Koalition sei es, die dafür nötigen Neuerungen politisch anzuschieben und Orientierung zu geben. Doch ist dem so? Worauf hat sich die Ampel verständigt? Kann der Koalitionsvertrag helfen, den Finanzplatz Deutschland im globalen Wettbewerb um Talente, innovative Produkte und technologischen Fortschritt zu stärken? Schaut man sich die einzelnen Kapitel genauer an, dann lässt sich dem Koalitionsvertrag viel Positives abgewinnen. Positiv ist beispielsweise, dass der Koalitionsvertrag auf seinen 177 Seiten auf Steuererhöhungen und/oder neue Steuern verzichtet. Ein Erfolg, wenn man bedenkt, welche Forderungen im Wahlkampf insbesondere von SPD und Grünen erhoben wurden: Anhebung des Spitzensteuersatzes, Vermögensteuer, Finanztransaktionssteuer – alles Geschichte. Gleiches gilt leider auch für die FDP-Forderungen nach der vollständigen Abschaffung des Solidaritätszuschlags beziehungsweise zur Verminderung der kalten Progression. Ausschließen wollen die Koalitionäre Steuererhöhungen aber auch nicht gänzlich. Im Sondierungspapier noch ausdrücklich ausgeschlossen, vermisst man diese Selbstbindung nunmehr schmerzlich. Besonders hervorzuheben ist mit Blick auf das Steuerkapitel der Wille der Koalitionäre, die gewünschten Transformationsprozesse mithilfe marktwirtschaftlicher Instrumente zu erreichen. So ist es aus unserer Sicht sehr zu begrüßen, dass Investitionen in Klimaschutz und Digitales durch sogenannte Superabschreibungen und eine Verlängerung der erweiterten Verlustrechnung bis 2023 erreicht werden sollen. Die Eigenkapitalausstattung von Unternehmen soll durch die Weiterentwicklung von Optionsmodell und Thesaurierungsbesteuerung verbessert werden. Ebenso zu begrüßen ist die Selbstverpflichtung, digitale Start-ups in der Spätphasenfinanzierung stärker zu fördern und den Venture Capital-Standort zu stärken. Dazu gehört nach unserer Ansicht aber auch, das Fondsstandortgesetz nachzubessern. Doch leider finden sich hierzu im Koalitionsvertrag kaum Hinweise – lediglich eine allgemeine Absichtserklärung, die Mitarbeiterkapitalbeteiligung für Start-ups attraktiver zu gestalten, ist enthalten. Dass Bund und Länder sich seit sieben Monaten nicht einigen konnten, welche Fonds künftig von der Umsatzsteuer auf die Management Fee zu befreien sind, sollte Auftrag genug für die Koalition sein, hier für Klarheit zu sorgen.
Ausdrücklich begrüßen möchte ich an dieser Stelle die Vereinbarung, die Rente um kapitalgedeckte Elemente zu ergänzen. Die skandinavischen Länder zeigen uns seit Jahren, dass renditestarke Anlageformen in einem Niedrigzinsumfeld helfen, das Rentenniveau dauerhaft stabil und Lohnnebenkosten auf verträglichem Niveau zu halten. „Der stärkste Regen fängt mit Tropfen an.“, lautet ein Sprichwort. Es ist den Koalitionären zu wünschen, dass sie mit vielen kleinen Schritten die vor uns liegenden Herausforderungen bewältigen. Der Anfang ist jedenfalls gemacht.
Über die Autorin:
Ulrike Hinrichs ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften.