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VC Magazin: Hessen liegt im bundesweiten Vergleich bei den Investitionshöhen in der Regel im Mittelfeld. Werden die Investitionszahlen dem Standort gerecht? Wie würden Sie die Region einordnen?
Dr. Huth: Hessen liegt hier nicht nur im Mittelfeld, sondern im vorderen Mittelfeld! In den letzten Jahren hat das Bundesland im Bereich Start-up stark aufgeholt und ein aktives Ökosystem aufgebaut. Bei der spätphasigen Finanzierung gilt es allerdings aktuell noch, ein paar Herausforderungen zu bewältigen: Die Region hat zwar eine sehr aktive Business Angel-Landschaft, aber in Sachen Venture Capital und speziell Growth Capital besteht noch Nachholbedarf.
Schnell: Man muss auch bedenken, dass junge Gründer aufgrund der dauerhaft guten wirtschaftlichen Lage neben einer Unternehmensgründung stets attraktive Jobangebote hatten. Aber gerade in der Rhein-Main-Region hat sich – insbesondere durch Frankfurt und Darmstadt – ein aufstrebendes Start-up-Ökosystem entwickelt. Bei Betrachtung der Handelsregisterdaten sieht man, dass im Jahr 2020 allein in Frankfurt 70 Start-ups gegründet wurden. Das ist laut Startup Monitor der zweitbeste Wert unter den deutschen Städten mit weniger als einer Million Einwohnerinnen und Einwohnern. Im internationalen Vergleich sind die Investitionshöhen in Deutschland und auch Hessen noch eher geringer. Wichtig ist, dass höhere Fondsvolumina und damit größere Einzeltickets mehr Möglichkeiten in der Finanzierung durch lokale Fonds bieten. Hessen hat dabei als finanz- und wirtschaftsstarkes Bundesland viel Potenzial.
VC Magazin: Wie sieht es in den einzelnen Regionen konkret aus?
Dr. Huth: Etwas weniger aktiv ist aktuell das Gründungsgeschehen in Mittel- und Nordhessen, wobei es immer mehr aufholt – gerade in den Universitätsstädten Gießen, Marburg und Kassel ist reichlich Potenzial. Unabhängig davon wird das Ökosystem beständig weiterentwickelt, und aktuell entstehen vielerlei Initiativen in der Start-up-Szene. Im Vergleich zu Bayern und Berlin liegt Hessen zwar noch einige Jahre zurück, aber die aktuelle Gründergeneration wird nach erfolgreichen Exits in zwei bis drei Jahren zu einem „Beschleuniger“ für unser hiesiges Start-up-Umfeld werden.
VC Magazin: Frankfurt ist als Finanzstandort bekannt für seine Fintech. Welche weiteren Branchen und Regionen machen Sie im Bundesland aus?
Schnell: Die Frankfurter Fintechszene ist sicherlich sehr bedeutsam – was aber nicht heißt, dass es in Hessen nicht noch zahlreiche weitere spannende Branchen mit hoch motivierten Gründern gibt.
Dr. Huth: Dazu zählt besonders der Bereich Industrialtech beziehungsweise Industrie 4.0 und künstliche Intelligenz. Auch bei Software, Cybersecurity oder Informations- und Kommunikationstechnologie ist Hessen gut aufgestellt. Gerade Darmstadt – hier entstehen zahlreiche Ausgründungen aus der Technischen Universität – hat sich neben Frankfurt als Gründungszentrum etabliert.
VC Magazin: Welche Rolle spielt der hessische Mittelstand für die ansässigen Start-ups?
Dr. Huth: Der hessische Mittelstand unterstützt viele Start-ups im Rahmen von gemeinsamen Projekten und engagiert sich auch finanziell als strategischer Investor. Auch größere mittelständische Unternehmen haben in den letzten Jahren Venture Capital-ähnliche Teams etabliert und technologische Entwicklungen begleitet und unterstützt. Außerdem gibt es viele Kooperationen mit Hochschulen, die im Rahmen von Förderprogrammen wie Distr@l und Loewe an gemeinsamen Projekten arbeiten. Damit stellen sie den Wissens- und Technologietransfer aus den Forschungseinrichtungen des Landes Hessen sicher. Laut Startup Monitor kooperieren drei Viertel der hessischen Start-ups mit etablierten Unternehmen – das sind überdurchschnittlich viele. Der hessische Mittelstand ist damit ein zentraler Innovations- und Digitalisierungsmotor für die gesamte Region.
Schnell: In Nordhessen hat sich jüngst mit North Hessen Accelerate (NHA) ein Programm etabliert, das mittelständische Unternehmen mit Start-ups zusammenbringt. Aber auch einige andere Inkubatoren und Acceleratoren übernehmen die Rolle des „Verkupplers“: TechQuartier aus Frankfurt am Main und Hub31 aus Darmstadt sind die besten Beispiele für einen erfolgreichen Austausch.
VC Magazin: Die BMH feierte gerade ihr 20-jähriges Bestehen. Wie hat sich der Beteiligungsmarkt in Hessen auch mit Blick auf privates Venture Capital in dieser Zeit entwickelt?
Schnell: Das Beteiligungsgeschäft hat sich konstant weiterentwickelt – das investierte Kapital ist auf 125 Mio. EUR angestiegen und die Finanzierungsrunden auf rund 75 pro Jahr. Für öffentliche Beteiligungsfinanzierungen ist die BMH dabei der zentrale Ansprechpartner in Hessen. Wir bieten mittlerweile ein breites Spektrum von Beteiligungsfonds an, die Investitionen in allen Unternehmensphasen ermöglichen. Seit Ende 2021 können wir auch hessische Jungunternehmen in der Pre-Seed-/Seed-Phase unterstützen und somit den gesamten Lebenszyklus von Unternehmen bis zu einer Nachfolgeregelung mit Beteiligungskapital unterstützen.
Dr. Huth: Insbesondere in den letzten sechs bis sieben Jahren sehen wir einen starken Anstieg im Venture Capital-Geschäft, was im letzten Jahr nahezu die Hälfte des Neugeschäfts ausgemacht hat. Insgesamt hat sich die BMH in den letzten fünf Jahren mit öffentlichem Beteiligungskapital mit einem Volumen von rund 100 Mio. EUR an Finanzierungen in der Frühphase beteiligt.
VC Magazin: Welche neuen Player sehen Sie heute in Hessen und welche Rolle spielen dabei ausländische Investoren?
Schnell: Bei den großen Finanzierungsrunden sind bereits seit Jahren die großen deutschen Venture Capital-Fonds in Hessen aktiv. Teilweise sehen wir aber auch große ausländische Fonds mit jedoch relativ kleinen Tickets.
Dr. Huth: Wobei auch erwähnt werden muss, dass die Größe der Finanzierungsrunden im Vergleich zum US-Markt deutlich verhaltener ist und es deutsche und hessische Start-ups im internationalen Vergleich deutlich schwerer haben. Trotzdem wird die Zahl der Unicorns und der großen Finanzierungsrunden auch in Deutschland und Hessen weiter zunehmen.
VC Magazin: Die Transaktionspreise sind in den letzten Jahren stetig gestiegen. Manch einer spricht bereits von einer Blase, auch mit Blick auf die aktuellen Krisen. Wie bewerten Sie das Preisniveau am Markt?
Dr. Huth: Das Preisniveau ist aktuell tatsächlich auf einem sehr hohen Niveau, und man beobachtet seit ein paar Jahren einen Anstieg der Unternehmensbewertungen bei Frühphaseninvestments. Es existiert – wie übrigens auch in anderen Assetklassen – ein hoher Anlagedruck, der steigende Preise nach sich zieht. Außerdem entdecken immer mehr Investoren die Assetklasse Venture Capital für sich, was für den Technologiestandort Deutschland sehr zu begrüßen ist. Das ist bei der nach wie vor herrschenden Unterfinanzierung der deutschen und europäischen Start-up-Landschaft eine gute Entwicklung. Weiterhin ist aktuell viel Kapital im Markt, sodass Start-ups auch weiterhin Zugang zu Kapital erhalten werden.
Schnell: Allgemein kann von einer sehr start-up-freundlichen Atmosphäre gesprochen werden, die Funding-Möglichkeiten sind – vor allem in der Frühphase – so gut wie noch nie. Im Vergleich zu anderen Assetklassen gibt es im Wagniskapitalmarkt deutlich weniger Kapital und somit auch ein geringeres volkswirtschaftliches Risiko. Trotz seiner geringeren Größe ist der Venture Capital-Markt ein sehr professionelles Umfeld mit großartigen Unternehmen und Gründerinnen und Gründern.
VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.
Zu den Interviewpartnern:
Dr. Steffen Huth ist Diplom-Kaufmann und seit 2021 Geschäftsführer der BMH Beteiligungs-Managementgesellschaft Hessen mbH.
Sebastian Schnell ist seit 2020 Investmentmanager der BMH Beteiligungs-Managementgesellschaft Hessen mbH.