Gute Ausgangslage braucht noch mehr Mut

Standpunkt: Start-up-Standort Deutschland

Magdalena Oehl, Start-up-Verband
Magdalena Oehl, Start-up-Verband

Bildnachweis: © Start-up-Verband.

Start-ups sind die Wirtschaftsmacht der Zukunft. Mit ihren Innovationen sind junge Unternehmen nicht nur Problemlöser, sondern gewinnen auch immer mehr volkswirtschaftliche Relevanz. Ein Blick auf die Zahlen unterstreicht die kraftvolle Start-up-Dynamik in Deutschland. 

Bereits heute arbeiten mehr als 415.000 Menschen in Start-ups und Scale-ups. Die Zahl der neu gegründeten Start-ups ist 2021 abermals gestiegen. Laut der Analysefirma startupdetector wurden im vergangenen Jahr 3.348 Start-ups in Deutschland gegründet. In den vergangenen Monaten ist in Deutschland die Zahl der Unicorns, also der nicht-börsengelisteten Start-ups mit einer Bewertung von mindestens 1 Mrd. USD, auf 32 gewachsen; allein 2022 kamen sechs hinzu. 

Mehr Unterstützung für Gründerinnen

Wir haben das Potenzial allerdings noch nicht in der Breite erkannt und lassen es zu oft ungenutzt. Das gilt etwa mit Blick auf den geringen Anteil von Gründerinnen. Aufgrund struktureller Hindernisse für Frauen im Start-up-Bereich, beispielsweise zu geringer Mittel bei der Start-up-Finanzierung, fehlender Zugänge zu Netzwerken sowie festgefahrener gesellschaftlicher Rollenbilder, gibt es weniger Gründerinnen. Angesichts des stetig wachsenden Fachkräftemangels ist dies ein Problem – hier wird viel Talent nicht genutzt. Auch bei Ausgründungen aus Universitäten oder Forschungsinstituten bleibt Deutschland hinter seinen Möglichkeiten. Trotz einer herausragenden Forschungslandschaft fällt der Transfer der Forschungsergebnisse zu marktreifen Produkten zu oft zu schwer und man steht sich damit selbst im Weg.

Mittelfeld im internationalen Vergleich

Für Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit ist es unerlässlich, zügig an den Problemen arbeiten. Trotz der positiven Entwicklung findet sich der Standort im internationalen Vergleich im Mittelfeld. Beispiel Start-up-Investments:  Deutschland liegt bei den Investments pro Kopf deutlich hinter den USA, UK und auch Schweden. In den USA kommen auf eine Million Einwohner 1,8 Unicorns, in Deutschland lediglich 0,4. Selbst im kleinen Schweden sind es doppelt so viele wie hierzulande. Das zeigt sich folglich auch bei den geschaffenen Arbeitsplätzen. Wenn es gelingt, in Deutschland den Anteil der Mitarbeitenden von Start-ups und Scale-ups an der Gesamtbevölkerung auf das Niveau von Schweden zu bringen, würde sich die Zahl der von Start-ups und Scale-ups geschaffenen Arbeitsplätze hierzulande mehr als verdoppeln; wird das Niveau von den USA erreicht, bedeutete das die Schaffung von mehr als 3 Mio. neuen Arbeitsplätzen.

Vielzahl regionaler Ökosysteme

Es liegt an uns, diese Zahlen Realität werden zu lassen. Die Ausgangslage ist gut: Deutschland ist ein attraktiver Wirtschaftsstandort mit ausgeprägter Industrie und einer international sehr anerkannten Forschungs- und Universitätslandschaft. Im Gegensatz zum zentralistischen Frankreich, wo sich die Start-up-Aktivitäten fast ausschließlich auf Paris konzentrieren, gibt es in Deutschland vielerlei regionale Ökosysteme. Neben den Hotspots München und Berlin, wo Gründer auf große Netzwerke, gute Kapitalflüsse, wissenschaftliches Know-how und die Unterstützung von Corporates bauen können, haben wir zum Beispiel auch in den Universitätsstädten Aachen, Karlsruhe oder Potsdam spannende Dynamiken. Unter dem Strich ergeben sich gerade für Gründer viele Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten. Aber: Deutschland braucht eine ausgeprägte Start-up-Kultur! In puncto Mentalität ist hierzulande noch einiges zu tun. Insgesamt überwiegt eher der Blick auf die Risiken, statt auf die Chancen. Zu oft wird Scheitern stigmatisiert. Das bremst in vielen Bereichen. 

Fazit

Neben Fragen der Mentalität sind die rechtlichen Rahmenbedingungen ein wichtiger Faktor. Hier geht es unter anderem um bessere Rahmenbedingungen für Mitarbeiterkapitalbeteiligungen, vereinfachte Visaregeln für Fachkräfte, die Stärkung der Finanzierungsmöglichkeiten in der Wachstumsphase und um die Frage, wie Start-ups von der Vergabe der öffentlichen Hand stärker profitieren können. Insofern wird mit einer gewissen Erwartung auf die „umfassende Start-up-Strategie“ geblickt, die die Ampelkoalition für den Sommer angekündigt hat. Mit den richtigen Weichenstellungen kann hierzulande Großes entstehen. 

Über die Autorin:
Magdalena Oehl ist stellvertretende Vorsitzende beim Start-up-Verband sowie CEO und Gründerin der Münchner SaaS-Company TalentRocket, einer intelligenten Jobplattform im Bereich HR-Tech.