Baden-Württemberg ist einer der Wirtschaftsmotoren Deutschlands. Der von vielen anderen Ländern bewunderte Mittelstand ist hier besonders stark vertreten – beinahe in jedem größeren Ort gibt es einen „Hidden Champion“. Seit einiger Zeit geht es nun an die Verknüpfung von Start-ups mit etablierten Unternehmen.
Der Grund: Baden-Württemberger Start-ups konnten im Boomjahr 2021 nur 3% der 17 Mio. EUR Wagniskapital einsammeln. 60% dieses Geldes landeten in Berlin und 26% in Bayern. Bei der Anzahl der Deals liegt „The Länd“ nach dem EY Startup-Barometer sogar nur auf dem fünften Platz, noch hinter Nordrhein-Westfalen und Hamburg – und das im dritten Jahr in Folge. Diese Warnzeichen wurden allerdings bereits vor einigen Jahren erkannt und man begann in Baden-Württemberg damit, aktiv gegenzusteuern. 2018 gab Ministerpräsident Manfred Kretschmann die Devise aus, dass in Baden-Württemberg ein neuer Gründergeist entfacht werden soll. Dabei sollte auf die regionalen Strukturen des südwestlichen Bundeslandes besonders Rücksicht genommen werden: Denn hier gibt es nicht große Metropolen, in denen sich die Gründerinnen und Gründer ballen – wie beispielsweise Berlin, München oder Hamburg. Vielmehr verfügt das Flächenland über viele Standorte und Initiativen mit verschiedenen Schwerpunkten.
Vernetzen und neue Impulse geben
Der Gedanke war dann, diese bereits vorhandenen Aktivitäten intelligent zu verknüpfen und zugleich neue Initiativen anzustoßen. „Ökosysteme benötigen immer eine kritische Dichte an Talent, Erfahrung und Geld“, so Prof. Dr. Alexander Brem vom Institut für Entrepreneurship und Innovationsforschung der Universität Stuttgart. An genau dieser notwendigen Dichte und der Vernetzung wurde seit dem Startschuss vor vier Jahren intensiv gearbeitet. Einer der treibenden Motoren ist Dr. Helmut Schelling, der in den 1980er-Jahren die Vector Informatik GmbH mitgründete. 2014 zog er sich aus der Geschäftsführung des mittlerweile sehr erfolgreichen Unternehmens zurück und hat es sich mit hohem persönlichem Einsatz zur Aufgabe gemacht, Forschungsvorhaben in Baden-Württemberg zu den Themen Klimaschutz im Verkehr und MINT-Innovationen zu unterstützen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt seit der Gründung im Jahr 2011 auf der Bildung für Schüler, Lehramtsstudierende und Lehrkräfte durch Förderung von MINT-Projekten. Insgesamt steht die Verbesserung der Bildung in den naturwissenschaftlichen und technischen Bereichen im Vordergrund – um damit auch entsprechende Innovationen und Gründungen zu fördern. Das Baden-Württembergische Wirtschaftsministerium verantwortet die übergreifende Kampagne „Start-up BW“. Darin integriert ist die vom Wissenschaftsministerium gestartete und finanzierte Initiative „Gründermotor“.
Ein „neuer Mittelstand“
Der baden-württembergische Ansatz bei der Landesinitiative Gründermotor legt Wert auf Langfristigkeit. „Wir legen es nicht darauf an, neue Einhörner zu schaffen, und wir sind in unseren Aktivitäten auch nicht rein exitgetrieben. Wir denken langfristig“, so Dr. Schelling. Vielmehr geht es den Macherinnen und Machern hinter dieser Initiative darum, eine Basis für eine Art „neue Generation Mittelstand“ zu legen. Im Prinzip soll das bisherige baden-württembergische Erfolgsmodell fortgeschrieben werden – angepasst an die neuen Anforderungen durch technologischen Fortschritt, veränderte Managementmethoden und die agile Denke von Start-up-Gründern. „Es geht uns um die Schaffung weiterer erfolgreiche Unternehmen und künftiger Hidden-Champions – mit Enkeltauglichkeit aufgrund eines langfristig angelegten Geschäftsmodells“, erklärt Prof. Dr. Nils Högsdal, Prorektor Innovation an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Die bereits bestehenden dezentralen Kraftzentren der Wirtschaft sollen weiter genutzt werden. „Wir haben viele Glutnester – kein einzelnes großes Feuer –, und das machen wir uns zunutze. Unsere Stärke liegt in der Vielfalt“, so Prof. Dr. Högsdal weiter. Er sieht die fragmentierten Strukturen als Vorteil und nicht als Bremse für den Erfolg.
Rund 160 Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft
Die Plattform Gründermotor wurde 2018 von der Universität Stuttgart, der Vector Informatik und der Pioniergeist GmbH aus der Taufe gehoben. Unterstützung erfährt sie unter anderem auch von der Baden-Württembergischen Landesregierung. In der Folge hat sich das Netzwerk stark erweitert. Große Firmen, wie Vector Informatik, Festo, Stihl, Trumpf, Mahle, Bosch und die EnBW beteiligen sich an Projekten. Insgesamt hat das Netzwerk mehr als 160 Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft gewinnen können. Mehr als zwei Drittel aller Hochschulen in Baden-Württemberg sind zwischenzeitlich Teil der Initiative. Die landesweite Vernetzung soll bald durch eine Vernetzung verschiedener Hubs in den Regionen Stuttgart, Rhein-Neckar, Baden, Bodensee und Donau-Alb erfolgen. Dabei können auch Themencluster eingerichtet werden, um Synergieeffekte zu schaffen und das Wissensmanagement zu verbessern.
Ungewöhnlich, aber erfolgreich
Das wesentliche Ziel von Gründermotor besteht darin, Wissenschaft, Gründer und Mittelstand zusammenzubringen. Diese Idee an sich ist nicht neu. Der Weg in Baden-Württemberg ist allerdings ungewöhnlich und erfolgreich zugleich: Die „Meisterklasse“. Hier treffen Start-ups auf erfahrene Gründer, Fachexperten sowie Unternehmensvertreter aus dem Partnernetzwerk. „Wir wussten früh, dass die besten Antreiber für Gründer andere Gründer sind“, sagt Dr. Eric Heintze, Gründermotor Plattform Lead und Head of Scouting. Auf dem Programm stehen Einzelcoachings, Gruppen-Trainings und der Austausch mit Unternehmern. Dabei sollen die Gründer lernen ihr Start-up zur Investmentreife zu bringen und auch gemeinsam mit Unternehmen neue Lösungen zu entwickeln. Start-ups und Unternehmer arbeiten in der „Meisterklasse“ über vier Monate bei zwei Teilprogrammen intensiv zusammen.
Erfolgsquote von 90%
„Je nach ihren Erfahrungen und Zielsetzungen begleiten wir die Teams vorrangig bei einer investitions- oder projektorientierten Entwicklung. Unser Ziel ist es, die Start-ups für Präsentationen vor potenziellen Investoren vorzubereiten und ihr Geschäftsmodell zu stärken“, fährt Adrian Thoma, CEO & Co-Founder der Pioniergeist GmbH und Mit-Initiator von Gründermotor, fort. Es ginge auch darum, Lücken im Geschäftsmodell zu schließen. Weiterhin sollen erste Kontakte zu Investoren und Kunden aus Industrie und Mittelstand geknüpft werden. Der Erfolg gibt dem Konzept recht: Seit 2019 haben über 70 Teams in sieben Durchläufen die Meisterklasse durchlaufen und rund 90% davon haben eine Anschlussfinanzierung erhalten. Dabei hilft auch das eigene Investorennetzwerk.
Datengetriebenes Matchmaking
In der Datenbank von Gründermotor befinden sich inzwischen mehr als 3.500 Start-up aus Baden-Württemberg. Mit einem sehr datengetriebenen Ansatz sorgt die Initiative dafür, dass die richtigen Start-ups und etablierten Unternehmer oder Mittelständler zusammenkommen. Dieses Matchmaking auf der Basis von ausführlichen Unternehmens- und Anforderungsprofilen sei eine wichtige Vorarbeit, um die möglichst besten und erfolgversprechendsten Kooperationen zu erreichen. Es geht darum, für einen nachhaltigen Erfolg Brücken zu bauen und das jeweils Beste aus beiden Welten zusammenzubringen. Aus den Kooperationen zwischen Start-ups und Unternehmen könnten sich auch Lösungen für spätere Unternehmensnachfolgen entwickeln: Denn wenn man in Projekten bereits zusammengearbeitet hat, dann besteht eine Vertrauensbasis.
Konzept geht auf
In den wenigen Jahren seit dem Start des Programms ist bereits einigen Start-ups der Durchbruch gelungen. Dazu gehört unter anderem Alpha-Protein aus Bruchsal bei Karlsruhe. Mit einer neuartigen Technologie können Mehlwürmer leichter gezüchtet und anschließend als nachhaltige Eiweißquelle verwendet werden. Zudem werden ungenutzte Produkte der Lebensmittelindustrie genutzt, sodass Ressourcen geschont werden können. Das Unternehmen Markt-Pilot hat eine Software entwickelt, die Maschinenbauer vollumfängliche Transparenz für alle Ersatzteile verschafft. Auf diese Weise können bisher unerkannte Preispotenziale genutzt werden. Im April sicherte sich Markt-Pilot eine Seed-Finanzierung im Volumen von 6,2 Mio. EUR.