Bildnachweis: © CB Insights , © Fiege Gruppe, © Seven Ventures, © Evonik Venture Capital.
In den letzten Jahren haben immer mehr große deutsche Unternehmen Tochtergesellschaften gegründet, die in Start-ups investieren. Von den Beteiligungen versprechen sie sich schnellen Zugang zu Innovationen und idealerweise eine hohe Rendite.
Anfangs machten die Gründer von Google noch alles selbst. Später rekrutierten sie die fähigsten Köpfe der Techbranche in Massen, um ihre Suchmaschine zur bald schon weltweit führenden auszubauen. Täglich arbeiteten die zahlreichen High Potentials im Headquarter im Silicon Valley an Verbesserungen, neuen Diensten, erweiterten Geschäftsmodellen und neuen Produkten. Die ganze Welt schaute gespannt zu, welche Innovationen sie wieder aushecken mochten, die dann schnell überall Verbreitung finden würden. Doch bereits nach kurzer Zeit war man in Mountain View nicht mehr schnell genug, fand nicht mehr genügend Talent, wie es in der Branche heißt. Ehemalige Mitarbeiter machten sich mit eigenen Ideen selbstständig und entwickelten vielversprechende Produkte; viele junge Leute gründeten gleich von der nahen Stanford Universität weg eigene Unternehmungen mit demselben Ziel. Die Google-Verantwortlichen standen vor der Wahl, sich entweder auf den technologischen Wettlauf einzulassen oder die neuen Firmen einfach zu kaufen. Sie entschieden sich für die zweite Option. Schon wenige Jahre nach der Gründung erwarben sie zum Beispiel die Firma Where2 und entwickelten mit deren Know-how ihr Feature Google Maps. Sie übernahmen die Firma Keyhole und entwickelten daraus Google Earth. 2009 gründeten sie mit Google Ventures ihren eigenen Wagniskapitalarm. Er ist einer der größten weltweit.
Disruption ist oft treibender Faktor
Google ist natürlich kein Einzelfall. Aber er wirft ein Schlaglicht auf eine Entwicklung, die im Zuge der Entwicklung von Internet, Smartphone und zunehmender Digitalisierung in nahezu allen Industrien und in nahezu allen Gegenden der Welt zu beobachten ist: Die neuen Technologien sind schnell und vielfach disruptiv, das heißt, sie greifen längst etablierte Geschäftsmodelle an. Viele große internationale Konzerne, aber auch immer mehr mittelständische Unternehmen von Amerika über Europa bis Asien stehen daher vor denselben Fragen, die sich auch die Google-Führung stellen musste: Schaffen wir es mit unserer eigenen Forschung und Entwicklung, bei diesem Tempo mitzuhalten – und was würde das kosten? Was würde geschehen, wenn wir uns aus alledem heraushielten? Zahlen belegen, dass sich immer mehr Unternehmen entscheiden, unter dem Motto „If you can´t beat them, buy them“ über ihren eigenen Tellerrand hinauszusehen. Längst interessieren sie dabei nicht mehr nur die Firmen, die schon etwas anbieten, das man selbst gut gebrauchen könnte. Die Unternehmen bauen zunehmend eigene Venture Capital-Tochtergesellschaften auf, die einigermaßen ergebnisoffen in eine Vielzahl von Start-ups investieren. Wenn eine Beteiligung dann einen Erfolg bringt, man diesen aber selbst nicht brauchen kann, erntet man immerhin eine gute Rendite, so das Kalkül.
2021 war neues Rekordjahr
Die Idee von Corporate Venture Capital (CVC) ist nicht neu; vor allem in den USA existiert es bereits seit Jahrzehnten, und es hat dort meist im Gleichschritt mit dem klassischen Wagniskapitalgeschäft seine Höhen und Tiefen erlebt. Aber in den letzten Jahren hat es weltweit stark anzogen, eben wegen der zunehmenden Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung. Der Branchendienst CB Insights liefert in seiner CVC-Studie über die Jahre 2014 bis 2019 einige Zahlen. Der Anstieg der CVC-Investments in Deutschland betrug in dieser Zeit 1.500%. Allein im Jahr 2019 investierten CVCs 7,5 Mrd. USD in europäische Start-ups. 2021 brach die Investitionstätigkeit schließlich alle Rekorde: Die CVC-gestützten Finanzierungen stiegen im Vergleich zum Vorjahr global um 142% und erreichten mit 169,3 Mrd. USD ein Allzeithoch. Deutschland gilt im internationalen Vergleich als besonders aktiver Standort für das CVC-Geschäft – nicht zuletzt auch dank der starken heimischen Industrie. Beim Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK) schätzt man, dass es mittlerweile rund 115 CVC-Gesellschaften gibt. Zu den großen Firmen, allen voran den DAX-Konzernen, die zumeist bereits eine ganze Weile am Markt tätig sind, kommen immer mehr Venture Capital-Investmentarme kleinerer und mittlerer Gesellschaften hinzu.
Auch für Mittelständler interessant
Das Familienunternehmen Fiege ist ein solcher Mittelständler. Die Gruppe, die ihr Kerngeschäft in der Kontraktlogistik, also der stationären Logistik und nicht im Transportgeschäft hat, ist seit etwa fünf Jahren im CVC-Geschäft unterwegs. Anfangs noch wenig strukturiert: Man ging vereinzelt Beteiligungen an vielversprechenden Start-ups ein, ohne dafür ein festes Budget zu haben. Im vorigen Jahr hat die Firmenleitung dieses Geschäft aber mit der Etablierung eines eigenen Venture Capital-Fonds institutionalisiert, der mit einem mittleren zweistelligen Millionenbetrag ausgestattet ist. F-Log Ventures investiert seither in Unternehmen, die sich in der Frühphase ihrer Entwicklung befinden. Der Fokus liegt auf Technologien wie Big Data, künstliche Intelligenz oder auch Software. Voraussetzung ist aber, dass alle Beteiligungen einen Bezug zur Logistik haben, also sogenannte Logtechs sind. „In der Logistikbranche ist vieles in Bewegung.
Es entstehen neue Geschäftsmodelle, neue Technologien verändern Abläufe. Wir haben in vielen Bereichen großes Potenzial gesehen“, erklärt Geschäftsführer Felix Fiege das steigende Interesse am CVC-Geschäft. Der Logistikbezug ist ihm aus zwei Gründen wichtig. „Mit unserer Branchenfachkenntnis können wir sehr gut einschätzen, welche Idee Potenzial hat und wofür es einen Markt gibt“, sagt Fiege. Der zweite Grund liegt in der Unterstützung des eigenen Geschäfts. Wie allen in der Branche fehlt es bei Fiege an Personal. Automatisierungslösungen könnten hier Entlastung bringen. Neben solchen strategischen Aspekten steht aber immer auch das Ziel, eine gute Rendite für eine Beteiligung zu erzielen.
Gemeinsam mit klassischen Venture Capitalisten
Die Branchenfachkenntnis ist es, die CVCs für viele klassische Wagniskapitalgeber zu einem wünschenswerten Co-Investor macht, zumal sie häufig Minderheitsbeteiligungen an Start-ups eingehen.
Das ist auch beim CVC-Arm der Sendergruppe ProSiebenSat.1 Media so. SevenVentures investiert sowohl in frühphasige als auch in reifere Wachstumsunternehmen – meist jedoch nicht mit Geld, sondern mit Reichweite. Gegen Anteile wird den Firmen im Portfolio Werbezeit zur Verfügung gestellt. „Unsere Portfoliounternehmen konnten dadurch auch in der Corona-Zeit ihr Brand Building fortsetzen und mussten nicht am Werbeetat sparen, um ihre Liquidität zu schonen“, sagt SevenVentures-CEO Florian Hirschberger. Auch SevenVentures will einen Return sehen, aber wie viele CVCs ist man auch stark daran interessiert, die Start-ups langfristig nach vorn zu bringen. Strategische Ziele und finanzielle Rendite – diese zwei Motive treiben die meisten CVCs an. Allerdings unterscheiden sie sich oft in ihren strategischen Ansätzen. „Einige investieren in Start-ups, um deren Akquisition vorzubereiten, sie betreiben eine Art Pre-M&A-Strategie“, sagt Markus Solibieda vom BVK-Vorstand. Ein anderer Beweggrund sei es, in Innovationen zu investieren, um später selbst davon im Unternehmen profitieren zu können. „Das sieht man ganz häufig, wenn es um das Thema Digitalisierung geht“, sagt Solibieda. Zahlreiche Unternehmen sähen ihr Beteiligungsgeschäft auch unter dem Aspekt einer frühzeitigen Radarfunktion. Man bekommt rasch mit, wenn junge Unternehmen an etwas dran sind, was das eigene Geschäftsmodell unter Umständen angreifen könnte. Nur wenn man das weiß, kann man gegensteuern.
Druck auf Bewertungen wächst
„Mit unseren Venture Capital-Aktivitäten investieren wir nicht nur finanziell, wir sehen auch sehr viel, was in der Zukunft passieren wird. Das ist für uns strategisch sehr interessant“, bestätigt Dr. Jens Busse, Investmentdirektor bei Evonik Venture Capital.
Der Wagniskapitalarm des Chemiekonzerns ist seit zehn Jahren am Markt und mittlerweile in der dritten Fondsgeneration. Er zielt nicht primär auf die Übernahme eines Portfoliounternehmens, sondern auf einen Exit. „Wenn wir kaufen wollen, müssen wir einen fairen Bieterprozess aufsetzen, sonst wird es für unsere Co-Investoren uninteressant“, sagt Busse. Dennoch: Die Zeiten für einen Unternehmenskauf sind besser als seit Jahren, denn die Bewertungen der Start-ups sind heute so niedrig wie lange nicht mehr. Das hat mehrere Gründe. Einer der wichtigsten dürfte die Zinswende in den USA sein, der sich die EZB wohl schrittweise anschließen wird. Eine erste Erhöhung hat sie bereits für Juli angekündigt. Damit verringert sich die Menge des Geldes, die Anleger mangels Alternativen für Venture-Fonds bereitgestellt haben. Infolgedessen sind die Fonds zurückhaltender bei Investitionen geworden, was wiederum die Kaufpreise drückt. „Die teilweise sinkenden Multiples werden dazu führen, dass wieder zielgerichteter investiert wird“, meint Hirschberger von SevenVentures. Wie stark die Bewertungen unter Druck geraten, hängt nach seiner Beobachtung neben unternehmensspezifischen Faktoren auch stark von der jeweiligen Branche ab. Während Start-ups etwa im Umfeld von Nachhaltigkeitsthemen noch viel Geld bekämen, seien die Korrekturen in anderen Bereichen schon deutlich spürbarer. Insgesamt herrscht aber noch keine große Unruhe im Markt. Die aktuelle Situation wird zumeist als eine durchaus gesunde Bereinigung gewertet. Wie es weitergeht, wagt angesichts der aktuell unsicheren Lage, hervorgerufen durch Zinswende, Inflation, Ukrainekrieg und eine Vielzahl weiterer Faktoren, keiner wirklich zu sagen.
Aussichten getrübt
Nach einem Rekordjahr 2021 verharrte das CVC-Geschäft im ersten Quartal noch auf einem hohen Niveau. Experten rechnen aber damit, dass sich die Geschäftsaktivitäten im weiteren Jahresverlauf abschwächen werden. Wird sich im CVC-Geschäft nun wiederholen, was man zuletzt Anfang des Jahrtausends beim Platzen der Dotcomblase erlebt hat? Damals hatten zahlreiche Unternehmen ihre Investmentarme aufgegeben, die sie in der Euphorie des Neuen Markts gegründet hatten. Dass es wieder so kommen wird, glaubt in der Szene kaum jemand. Das liegt zum einen daran, dass das CVC-Geschäft inzwischen fest in Deutschland etabliert ist und es deutlich mehr CVCs gibt als vor 20 Jahren. Es gibt zum anderen auch wesentlich mehr Start-ups, die in den unterschiedlichsten Branchen Innovationen bringen, auf die keiner verzichten will. Zudem ist die Vernetzung zwischen Unternehmen und Start-ups größer geworden. Dennoch: Im Falle eines wirtschaftlichen Abschwungs denken die Unternehmen doch zuerst daran, sich selbst und die Mitarbeiter über Wasser zu halten, oder? Busse von Evonik Ventures sieht es so: „Wenn es hart auf hart kommt, müssen wir uns natürlich um die eigenen Mitarbeiter kümmern, aber wir müssen uns auch um die Mitarbeiter unserer Start-ups kümmern. Wir sehen das ganzheitlich.“