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Die Hochphase der Start-up-Investitionen hat bedingt durch die aktuellen Herausforderungen einen Dämpfer erhalten. Es ist Zeit für ein Fazit zum ersten Halbjahr und einen Blick nach vorn. In den Sommerinterviews erzählen Persönlichkeiten aus der Private Equity- und Venture Capital-Branche von Fundraising- und Investmenterfahrungen, schätzen den aktuellen Markt ein und berichten von ihren Erwartungen für das zweite Quartal.
VC Magazin: In der aktuellen Studie, die der Startup-Verband gemeinsam mit Startupdetector erstellt hat, zeigt sich, dass die Gründungen seit Jahresbeginn rückläufig sind. Welche Gründe sehen Sie dafür?
Stresing: Ja, das stimmt. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, dem 1. Halbjahr 2021, verzeichnen wir einen Rückgang bei den Startup-Neugründungen um 7 %. Dennoch liegt das Gründungsniveau im 1. Halbjahr 2022 sehr deutlich über den Vergleichswerten des 1. Halbjahres 2019. Die Gründe für den Rückgang liegen auf der Hand: Der Ukraine-Krieg und daraus folgende Implikationen wie die steigende Inflation und auch die Turbulenzen an den Börsen führen zu einer allgemeinen Unsicherheit, die die Gründungsdynamik dämpft. Dennoch zeigt sich das deutsche Start-up-Ökosystem in seiner Gesamtheit bisher recht robust.
VC Magazin: Gerade in der Gründerhochburg Berlin ist das Engagement laut Ihrer Studie rückläufig. Woran liegt das? Welche Regionen sind Ihrer Meinung nach aktuell im Trend als Gründerstandort?
Stresing: Wir beobachten aktuell starke Gründungsaktivitäten an klassischen Hochschulstandorten, wie z.B. Karlsruhe, Heidelberg oder Aachen. Gerade im Bereich der Ausgründungen nutzen wir in Deutschland das große Potenzial der herausragenden Forschungslandschaft bisher nur unzureichend. Insofern sind das erfreuliche Entwicklungen. Berlin verzeichnet trotz des Rückgangs deutschlandweit immer noch mit weitem Abstand die stärksten Gründungsaktivitäten – und liegt beim Rückgang der Gründungsquote in etwa im Bundesschnitt. Daher wiegt das nicht allzu schwer. Interessant wird zu beobachten sein, ob sich dieser Trend fortsetzt.
VC Magazin: Bundesfinanzminister Christian Lindner hat zu Beginn seiner Amtszeit von Verbesserungen für die Mitarbeiterbeteiligungsregelung gesprochen. Wie ist der Status quo und welchen Fortschritt nehmen Sie wahr?
Stresing: Das Thema Mitarbeiterkapitalbeteiligungen wird im angekündigten Zukunftsfinanzierungsgesetz aufgegriffen. Die Bundesminister Lindner und Buschmann haben dazu bereits Eckpunkte vorgelegt. Die Initiative zum verhältnismäßig frühen Zeitpunkt in der Legislaturperiode begrüßen wir sehr. Entscheidend wird sein, ob das Kernproblem der aktuellen Regelungen, die Dry income-Besteuerung, d.h. eine Besteuerung ohne vorherigen Liquiditätszufluss, im Falle eines Arbeitgeberwechsels angegangen wird. Hier gilt es noch ein gutes Stück Weg zu gehen. Klar ist: Wird das Problem nicht entschieden angepackt, wäre das erneut nicht nur eine vertane Chance, sondern ein fatales Zeichen für den Start-up-Standort Deutschland. Das können wir uns nach dem zwar gut gemeinten, aber unzureichend ausgestalteten Fondsstandortgesetz im letzten Jahr nicht leisten. Für das weitere Verfahren sehen wir daher an entscheidenden Stellen noch dringenden Bedarf für Nachschärfungen.
VC Magazin: Auf die deutsche Wirtschaft kommt mit den in Rente gehenden Babyboomern ein riesiger Fachkräftemangel zu. Wie sehr sind deutsche Start-ups hiervon betroffen und welche Lösungen sehen Sie?
Stresing: Schon jetzt ist der Fachkräftemangel eine riesige Herausforderung für Start-ups und Scale-ups. In etwa 20 Prozent der offenen Stellen im Startup-Bereich sind unbesetzt. Das ist eine gravierende Wachstums- und Innovationbremse, die anders als geschlossene Restaurants oder Warteschlangen am Flughafen nicht jedem ins Auge fallen. Die Folgen sind dennoch verheerend. Es bedarf daher größter und breit angelegter Anstrengungen, um den Fachkräftemangel zu begegnen. Ein Ansatzpunkt dafür ist etwa die Einführung eines Tech-Visums, um insbesondere den Zuzug aus Drittstaaten zu erleichtern und zu beschleunigen. Länder wie z.B. Frankreich sind hier bereits weiter – und verschaffen sich damit einen Wettbewerbsvorteil.
VC Magazin: Die Venture Capitalisten zeigen sich bedingt durch die aktuellen Herausforderungen weniger investitionsfreudig, es muss mit Downrounds gerechnet werden. Welche Stimmung nehmen Sie unter den Gründern wahr?
Stresing: Es ist richtig, dass die Investitionsbedingungen aktuell andere sind als noch im vergangenen Jahr. Darauf müssen sich Gründerinnen und Gründer einstellen. Wir sollten aber nicht vergessen, dass 2021 eine absolutes Rekordjahr gewesen ist. Insofern bedeutet die Abkühlung des Investitionsklimas auch eine gewisse Normalisierung. Und große Finanzierungsrunden, wie z.B. kürzlich die von Celonis, zeigen, dass grundsätzlich weiterhin viel Kapital im Markt verfügbar ist. Für Gründerinnen und Gründer bedeutet die Situation, dass sie schneller in die Profitabilität kommen müssen. Dazu gehört auch, Kosten einzusparen. Im Zweifel müssen sie sich auf einen längeren Runway vorbereiten. Das wird teilweise zu schmerzhaften Einschnitten führen.
VC Magazin: Ein Blick auf die einzelnen Branchen: Wer kann aus Ihrer Sicht positiv ins zweite Halbjahr blicken und für wen wird das Finanzierungsumfeld schwierig werden?
Stresing: Wir beobachten aktuell einen signifikanten Anstieg bei Startup-Gründungen etwa im Medizinbereich. Im Bereich Software, E-Commerce und FinTech verzeichnen wir hingegen Rückgänge. Es spricht vieles dafür, dass sich diese Entwicklungen auch im 2. Halbjahr 2022 fortsetzen. Auch werden Geschäftsmodelle im Energiebereich angesichts der aktuellen Versorgungssituation sicher im Fokus von Investoren stehen. Unabhängig von der Branchenzugehörigkeit wird es in nächster Zeit insgesamt stärker darum gehen schneller profitabel zu werden. Geschäftsmodelle mit extrem hoher burn rate werden daher tendenziell unter Druck geraten.
VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.
Zum Interviewpartner:
Christoph J. Stresing ist Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutsche Start-ups.