Bildnachweis: Signa Sports United N.V..
Das E-Commerce-Segment erlebt aktuell nach wie vor viel Aufschwung, aber im Sportbereich auch eine Marktkonsolidierung. Welche Entwicklungen der Branche bevorstehen, berichtet Dr. Stephan Zoll, CEO von Signa Sports United, und blickt dabei auch auf seine eigenen Zukäufe und Exits.
VC Magazin: Mit welchen Gefühlen blicken Sie angesichts der angespannten wirtschaftlichen Situation auf die E-Commerce-Branche?
Zoll: Das Wachstum in der E-Commerce-Branche ist weiterhin sehr hoch. Die Corona-Pandemie hat sich unerwartet stark als zusätzlicher Treiber erwiesen und das Wachstum der Branche in den vergangenen zwei Jahren immens beschleunigt. Inzwischen hat es sich relativiert; allerdings liegt die Wachstumskurve auf sehr hohem Vor-Corona-Niveau bei weitaus größerem Marktvolumen – und die Penetration des E-Commerce wird sich weiter steigern. Gleichzeitig wird ein Großteil der E-Commerce-Unternehmen verstärkt auf profitables Wachstum setzen, was nicht zuletzt durch die kurzfristigen Herausforderungen, wie wir sie bei den Themen Lieferketten, Nachfrage et cetera sehen, forciert wird. Auch die Kapitalmärkte werden zukünftig verstärkt profitables Wachstum im E-Commerce honorieren.
VC Magazin: Wie entwickelt sich der Markt vor allem im Sportbereich?
Zoll: Im Sport-E-Commerce-Bereich profitieren wir nicht nur vom E-Commerce-Boom, sondern auch vom steigenden Bedürfnis nach beziehungsweise Interesse an Sport. So belegt eine BCG-Studie, dass der demografische Wandel und das steigende Gesundheitsbewusstsein der Menschen in den nächsten Jahren die Anzahl der sportlich Aktiven in der Welt um circa eine Milliarde erhöhen werden. Und denken Sie an die kürzlich statt gefundenen European Championships in München, die so viel Medien- als auch Besucherinteresse generiert haben, dass die Sportler sowie Organisatoren selbst völlig überrascht waren. Für zahlreiche Kommentatoren wurde der Trend der allgemein gestiegenen Sportbegeisterung bestätigt, und es gibt inzwischen sogar neue Überlegungen hinsichtlich einer zukünftigen Olympiade im eigenen Land.
VC Magazin: Sehen Sie Konsolidierungstendenzen?
Zoll: Noch ist unser Markt sehr fragmentiert, doch erste Konsolidierungstendenzen zeichnen sich ab. So ist im Retail bereits eine Verringerung der Anzahl an Händlern und Distributoren zu erkennen; zudem reduziert sich die Markenvielfalt. Im Bike-Bereich beispielsweise gibt es derzeit über 1.600 Marken, eine Zahl, die sich kurz- und mittelfristig aufgrund der beginnenden Konsolidierung verringern wird. Skalierte Marktteilnehmer werden dadurch klare Größenvorteile haben.
VC Magazin: Sie kaufen Unternehmen im E-Commerce-Bereich, betreiben Marktplätze und über 100 Webshops. Wie hat sich das Bewertungsniveau in den letzten Monaten entwickelt?
Zoll: An den Börsen hat sich im E-Commerce der Aktienwert der Unternehmen in Europa seit Dezember 2021 mindestens halbiert, teilweise sogar noch deutlich stärker reduziert. Trotzdem wird für die Bewertung häufig noch ein Sales-Multiple verwendet. Der private Finanzierungsmarkt orientiert sich in der Regel an den Börsenbewertungsniveaus, jedoch leicht zeitversetzt. Die Vermutung liegt nahe, dass sich die Bewertungslogik peu à peu verändern wird und der Fokus mehr auf Profitabilität und weniger allein auf Umsatz und/oder Wachstum gelegt wird – wie es derzeit bereits in einigen Bereichen zu erkennen ist. Dies würde dann auch für den E-Commerce zutreffen, der allmählich wie „normaler Handel“ betrachtet wird. Das heißt, es wird auch hier der Ertrag eines Unternehmens stärker bei der Bewertung einfließen und profitables Wachstum honoriert werden.
VC Magazin: Was muss eine E-Commerce Company bieten, um für Sie als Kaufobjekt interessant zu sein?
Zoll: E-Commerce-Firmen, die bei uns auf dem Radar landen, weisen eine starke Kategoriespezialisierung auf, sind also Online-Fachhändler oder Markenhersteller, beispielsweise in der Fahrrad- oder Tenniskategorie. Zudem müssen sie unser bestehendes Portfolio entweder geografisch oder thematisch ergänzen. Daneben fokussieren wir uns auf Unternehmen, die historisch profitables Wachstum generiert haben und deren Unternehmensstrategie uns sinnvoll, realistisch und weiter profitabel umsetzbar erscheint. Wichtig ist uns, dass der Gründer sowie die Führungsmannschaft kulturell zu uns passen, da wir mit ihnen das Unternehmen gemeinsam weiterentwickeln wollen – denn wir sind der festen Überzeugung, dass wir vor allem gemeinsam die Integration gestalten, Synergien entwickeln und so für beide Seiten das bestmögliche Potenzial heben können.
VC Magazin: Wie gestaltet sich der M&A-Prozess, worauf müssen sich potenzielle Verkäufer einstellen?
Zoll: Wir führen standardmäßig eine detaillierte Due Diligence in den Bereichen Financial, Business/Operations, Legal und Culture/People durch. Dann investieren wir viel Zeit in eine Integrationsplanung, um die Synergiefelder auszuloten. So gibt es beispielsweise im Marketing, bei der IT, Logistik, im Finance-Bereich, bei Legal und auch bei der Unternehmenskultur vieles im Vorfeld zu verstehen, zu analysieren und im Prozess, bei der Bewertung sowie der abschließenden Entscheidung zu berücksichtigen. Letztendlich streben wir an, den Gründer beziehungsweise das Management in der Regel mit dem Einbehalt von einem signifikanten Minderheitsanteil weiter incentiviert zu halten. Auf Basis von Put-/Call-Ausstiegsklauseln kann er dann nach ein paar Jahren von der gemeinsamen Wertsteigerung noch einmal profitieren.
VC Magazin: Was sind Ihre Ratschläge an Unternehmen im Exit-Prozess?
Zoll: Die Werttreiber und Wettbewerbsvorteile des Unternehmens müssen in der Präsentation klar herausgearbeitet sein – mit Blick in die Vergangenheit ab Gründung sowie mit Blick in die Zukunft. Es muss erkennbar sein, wo die Reise hingehen soll, was und wen man dafür braucht, wie die Meilensteine erreicht werden können und wie man die dafür notwendigen Personen an das Unternehmen bindet. Im Geiste, in der Präsentation sowie in den Vereinbarungen sollte nicht nur der Exit optimiert werden, sondern die Steigerung des Unternehmenswerts zu einem Zeitpunkt circa zwei bis drei Jahre nach dem Exit; denn nur so kann das vorhandene Potenzial für alle Beteiligten nachhaltig gehoben werden.
VC Magazin: Wenn Sie heute eine E-Commerce-Plattform gründen sollten – in welchem Bereich und mit welchem Geschäftsmodell würden Sie an den Start gehen?
Zoll: Ich würde mir diverse Frage stellen. Zuallererst: Wo gibt es ein echtes Problem, das ich lösen kann beziehungsweise möchte? Dann: Was könnte mein Beitrag zur Problemlösung sein, was wäre der USP für die Konsumenten? Dabei ist in unserer sich rasant ändernden Welt mit einem immer stärker werdendem Individualisierungsdrang der Konsumenten auch die Frage wichtig, für welche Zielgruppe ich einen USP schaffen will und welche Kundensegmente ich nicht fokussiere. Und natürlich essenziell im E-Commerce-Bereich: Wo kann ich technologisch besser sein als der Markt? Ganz grundsätzlich gehört viel Selbstreflexion zum erfolgreichen Gründen beziehungsweise Entwickeln eines Geschäftsmodells und Führen eines Unternehmens. In den diversen Lebenszyklen einer Firma mit ihren phasenbedingt unterschiedlichen Anforderungen gilt es, immer wieder sich selbst sowie das Geschäftsmodell, das Führungsteam und alle Leistungsträger infrage zu stellen. Die ständige Frage lautet: Habe ich die richtige und bestmögliche strategische, operative sowie auch persönliche Kompetenz in Bezug auf die jeweilige Unternehmensphase und die externen Chancen und Anforderungen (Megatrends, Krisenherde et cetera), um das Unternehmen erfolgreich weiterentwickeln zu können?
VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.
Über den Interviewpartner:
Dr. Stephan Zoll ist CEO der Signa Sports United N.V., einer Sport-E-Commerce- und Technologieplattform mit Sitz in Berlin, die über 100 Webshops betreibt und an der NYSE gelistet ist. Zuvor war er Deutschlandchef von eBay und President Online der Sears Holdings, USA.