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Aus dem Sektor der Fintechs und Insurtechs sind derzeit kaum gute Nachrichten zu vernehmen. Rund um den Globus purzeln die Bewertungen, es kommt zu Entlassungen, und auch die ersten Pleiten sind zu beklagen.
In den vergangenen Wochen hat der Standort Deutschland gleich drei Unternehmen aus dem Fintechsektor verloren. Die spektakulärste Nachricht dabei war sicher die Insolvenz des Berliner Fintechs Nuri (vormals Bitwala), die in einem direkten Zusammenhang mit der Pleite der US-Kryptobank Celsius Network zu sehen ist. Im Juli wurde das Berliner Banking-Start-up Penta vom französischen Mitbewerber Qonto übernommen. Das gleiche Schicksal ereilte wenige Tage später auch Kontist, ebenfalls aus Berlin. Hier war der Übernehmer die dänische Ageras Group. Bei den Beschäftigtenzahlen machen sich inzwischen Krisensignale bemerkbar. So kündigte der US-Onlinebroker Robinhood an, sich von rund einem Viertel seiner Mitarbeiter zu trennen. Das Portal layoffs.fyi beobachtet seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie die weltweiten Entlassungen in Start-ups. In diesem Jahr haben 554 Unternehmen insgesamt mehr als 70.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen. Rund ein Drittel dieser Summe entfällt auf die Sektoren Crypto, Finance und Data – ein stolzer Anteil.
„Bei den Hypethemen ist die Luft raus“
Wie im gesamten Techsektor ging es auch bei den Fintechs mit den Kursen bergab. Die Bewertungen von börsennotierten Fintechunternehmen, wie PayPal, Robinhood oder Adyen, sind in den letzten zwölf Monaten um 50% bis 90% eingebrochen. Das schwedische Unternehmen Klarna musste einen Bewertungsverlust von 85% hinnehmen – konnte aber trotzdem im Sommer eine neue Finanzierungsrunde von 800 Mio. USD abschließen. Diese Nachricht zeigt zugleich eine interessante Ambivalenz: Ein Unternehmen, das eine knappe Milliarde von Investoren erhält, dürfte nicht von der Pleite bedroht sein. „Gute Unternehmen bekommen immer noch gute Runden zusammen. Wer solide arbeitete, der hat jetzt keine großen Probleme. Vorher lief alles auf Turbo – jetzt gibt es eine gesunde Korrektur“, berichtet Bettine Schmitz, eine
der beiden Geschäfts- führerinnen des Wagniskapitalfonds Auxxo. Ähnlich äußert sich auch Jan Beckers, Gründer von Bit Capital: „So eine Marktphase sorgt dafür, dass sich die Spreu vom Weizen trennt. Das ist eine positive Entwicklung: Tragfähige Konzept werden sich durchsetzen. Bei Hypethemen ist dagegen die Luft raus.“
Günstige Gelegenheit zum Einstieg
Nach Ansicht von Beckers ließen verringerte Bewertungsmultiplikatoren nicht zwangsläufig auf die operative Performance der Unternehmen wie sinkende Umsätze oder Gewinne
schließen. Vielmehr biete sich dadurch für Investoren die Möglichkeit für einen günstigen Einstieg. Dieses antizyklische Verhalten führte auch Noel Zeh von Alstin Capital durch: „Die Bewertungen waren in der Vergangenheit zu hoch. Das haben wir für Exits genutzt. Nun, bei den fallenden Werten, nutzen wir die Chance für günstigere Einstiege.“ Kleinere Deals und dafür eine stabile Zahl zeigen auch die Statistiken des Informationsdienstleisters Dealroom.co. Die Anzahl von Finanzierungsrunden mit einem Volumen von mehr als 100 Mio. USD sank seit dem Höchststand im dritten Quartal 2021 von 104 auf nunmehr 62 im zweiten Quartal 2022; es seien aber immer noch rund doppelt so viele wie im Durchschnitt der vergangenen Jahre zu verzeichnen. Runden mit einem Volumen von mehr als 1 Mio. USD wurden seit 2021 laut Dealroom.co stets über 700 pro Quartal abgeschlossen – auch hier wird der langjährige Durchschnitt übertroffen.
Das Geld ist vorhanden
Im Fintechsektor halten die Investoren nach wie vor eine große Menge „Dry Powder“. Das
Volumen der neu gegründeten Fonds hat sich seit 2017 fast verdreifacht auf einen Wert von 10,6 Bio. USD. Dabei wurden in der Analyse von Dealroom die höchsten Werte in den beiden ersten Quartalen des Jahres 2022 erreicht. Von Krise also keine Spur? „Die Party ist nicht vorbei – keinesfalls“, meint Chris Heyer, Chief Investment Officer der Hypoport SE. „Es ist schon so, dass die Investoren nun besser hinschauen. Es wird nicht mehr einfach jede Idee finanziert – die Teams arbeiten wieder systematischer und nachhaltiger. Das ist aber auch gut so.“ Nur mit Buzzwords wie KI, Fintech, Krypto oder NFT bekomme man heute keine Finanzierung mehr. Die Marktkonsolidierung hat für Heyer aber auch ganz praktische Vorteile: „Es sind wieder mehr gute Talente auf dem Arbeitsmarkt.“ In der Vergangenheit sei es schwierig gewesen, gute Entwickler zu bekommen. Hier hofft er nun auf eine Besserung der Bedingungen – auch für das eigene Unternehmen und die Beteiligungen.
Klassische Venture Capitalisten als Partner
Als Corporate Venture Capital-Arm von Hypoport ist Heyer nicht zwingend auf der Suche nach „dem neuen Einhorn“. „Wir verstehen uns als Smart Money Investor mit strategischem Angle, indem wir den Start-ups unser breites Netzwerk aus Investoren und Corporates, unser sehr tiefes Branchen-Know-how in den komplexen Immobilien- sowie Finanzdienstleistungsindustrien und unsere einzigartigen Assets mit über 25 Portfoliounternehmen mit mehr als 20-jährigem Marktzugang zur Verfügung zu stellen versuchen.“ Daher sieht er klassische Venture Capital-Investoren auch nicht als seine Mitbewerber, sondern als Partner. Inzwischen scannt sein Team zwischen 750 und 1.000 Start-ups europaweit im Jahr; für 2023 plant er eine Verdoppelung dieser Zahl. Nach eigener Aussage profitiert Hypoport Ventures von der Bekanntheit des Mutterkonzerns: „Man kennt uns und schätzt unsere tiefe Expertise in den Märkten.“ Man müsse als Unternehmer und Investor authentisch sein, dann baue sich ein entsprechender Ruf auf. Heyer ist auch auf der Suche nach Partnerschaften mit jungen und etablierten Start-ups, denen er dann Zugang zu Kunden oder bestimmten Marktsegmenten ermöglicht oder entlang der vielfältigen Wertschöpfungsketten in der Hypoport Gruppe Anknüpfungspunkte findet. Eine Beteiligung ist nicht immer das oberste Ziel. „Wir streben den Zugang zu neuen Technologien an, zu Talenten und zu Innovationen“, beschreibt er die Strategie.
Fokussierung auf Europa
Ähnlich wie Heyer fokussiert sich auch Zeh von Alstin Capital auf Europa als Zielmarkt: „Wir haben einen Fokus auf Europa und beschäftigen uns am liebsten mit europäischen Themen“, erklärt der Partner des Münchner Wagnisinvestors, zu dessen Team auch der DHDL-Juror Carsten Maschmeyer gehört. Durch das aktuell steigende Zinsniveau werde zwar das Fundraising erschwert und vielleicht auch das eine oder andere Geschäftsmodell schwieriger umzusetzen – aber, so Zeh weiter: „Die hohen Zinsen führen auch zu einem Innovationsdruck bei den Start-ups – und davon können wir als Investoren nur profitieren.“ Er sieht in der frühen Finanzierungsphase immer noch reichlich Geld im Markt. Bei späteren Runden im Later Stage-Bereich sehe es aber schlechter aus. „Aktuell gibt es in der EU wenige Tech-Player, die als Käufer auftreten können. An diesem Problem wollen wir auch selbst arbeiten und einen entsprechenden Leader mit aufbauen“, kündigt er an. Start-ups könnten auch in der EU anorganisch wachsen, ein Markteintritt in den USA sei nicht immer die beste Lösung: „Für die Bewertung ist es besser, wenn man in Europa die Nummer eins ist. Platz 25 in den USA und Platz 13 in Singapur beeindrucken mich weniger.“ Zeh hat auch schon einen Kandidaten im Auge: das Münchner Start-up Usercentrics, das sich mit einer sicheren Lösung für die Nutzereinwilligung und eine datenschutzkonforme Datenverarbeitung einen Namen gemacht hat. „Datenschutz ist ein deutscher Exportschlager“, kommentiert Zeh augenzwinkernd. Inzwischen ist das Unternehmen nach der Übernahme von Cookiebot im Jahr 2021 europäischer Marktführer.
E-Commerce im Versicherungsvertrieb
Dirk Weipert und Jan Louis Schmidt vom Insurtech-Start-up Helden.de sind aktuell zufrieden mit der Entwicklung: „Wir haben einen hohen Zulauf von Kunden. Das liegt vielleicht auch an den unsicheren Zeiten.“ Das Unternehmen wurde 2015 unter anderem von Schmidt gegründet. Er kannte aufgrund früherer Tätigkeiten die IT-Landschaft von Versicherungsunternehmen und entwickelte die Idee, die Prinzipien des E-Commerce auf den Vertrieb von Versicherungen zu übertragen. Inzwischen betreut Helden.de mit 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nach eigenen Angaben 100.000 Versicherte und rechnet für 2022 mit Beitragseinnahmen in Höhe von 10 Mio. EUR. „Wir arbeiten bewusst ohne Makler, da wir auf den direkten Kundenkontakt Wert legen“, erklärt Schmidt. Die Versicherungsprodukte entwickelt das Unternehmen selbst und sucht dabei immer wieder nach aktuellen Markttrends. Dazu gehören laut Weipert zum Beispiel teure E-Bikes, aber auch Haftpflichtversicherungen für Drohnen. Erfolgreich ist Helden.de auch bei den Versicherungen für Tierarztkosten. Der Vertrieb erfolgt – wenig verwunderlich – über Onlinekanäle, aber auch über Werbepartnerschaften, etwa mit dem FC St. Pauli oder dem Ausdauersportler Jonas Deichmann. Darüber versucht das Start-up die Integration seiner eigenen Angebote und den Verkaufsprozess bei anderen Unternehmern, beispielsweise Fahrradhändlern. Gerade wird an einer neuen Finanzierungsrunde gearbeitet. Schmidt und Weipert sind dabei optimistisch, dass ihre Erwartungen erfüllt werden.
„Ich vertraue mein Geld lieber Frauen an“
In den Gesprächen zeigten sich die Expertinnen und Experten optimistisch für den Sektor der Insurtechs und Fintechs. „Der Zinssatz ist für uns kein wichtiges Kriterium bei Investments. Zinsen sind etwas für Sparer“, meint Auxxo-Co-Chefin Schmitz selbstbewusst. Sie ist der Meinung, dass der Fintechsektor unverändert sehr spannend ist für Gründerinnen. Mit einem Augenzwinkern ergänzt sie, dass auch sie selbst ihr Geld lieber einer Frau anvertrauen würde. Auxxo selbst hält unter anderem Beteiligungen an anybill, Pile.Capital und einwert. Auxxo knüpft seine Investments an die Bedingung, dass das Start-up von Frauen- oder gemischten Teams gegründet wurde und dass die Gründerinnen mindestens 20% der Anteile halten. Den breiten Stamm an Investorinnen im Netzwerk sieht Schmitz als ein wichtiges Asset für den eigenen Erfolg: „Wir sind oft die ersten, die von einem möglichen Deal mit Gründerinnen erfahren, und holen dann andere mit dazu.“ Dass für Frauen noch Nachholbedarf besteht, zeigt auch der aktuelle FinTech Startup Monitor. Der Anteil der Frauen in der Gründerlandschaft liegt demnach für Fintechs bei nur 7%; im Start-up-Ökosystem insgesamt sind es zumindest 16%.
Optimistischer Blick in die Zukunft
Alstin-Partner Zeh blickt ebenfalls optimistisch in die Zukunft. Er sieht gute Business-Chancen in den Bereichen für die Überprüfung der Identität von neuen Kunden – im Fachjargon „Know your Customer“ (KYC). Er sieht voraus, dass es in regulierten Sektoren immer Innovation geben wird. Etwa auch bei der digitalen und zuverlässigen Verfolgung von Lieferketten – beispielsweise zum Herkunftsnachweis – gebe es viel zu tun und damit auch viel Business. Hypoport Ventures-Partner und Hypoport-CIO Heyer setzt auf weitere Kooperationen von etablierten Unternehmen und Start-ups. Er sieht außerdem im Bereich der Wissensvermittlung rund um das Thema Wertanlage am Aktienmarkt, Vorsorge und Versicherungen vielerlei Möglichkeiten. Die jüngere Generation investiert anders und hat daher auch ein höheres Informationsbedürfnis. Schmidt sieht weitere Optimierungsmöglichkeiten bei Prozessoptimierung und Kostensenkung. „Es wird weiter darum gehen, einzelne Schritte profitabler zu machen.“ Fondsgründer Beckers ist überzeugt: „Die Branche wird sich konsolidieren. Die Champions werden weitere Funktionen anbieten und von ihrer Marktmacht und Kundenbasis profitieren. Ein starkes Beispiel ist die Nubank. Über ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung Brasiliens kann Nubank bereits zu seinen aktiven Kunden zählen. Das digitale Kundenerlebnis begeistert Kunden und senkt Akquisitionskosten auf unter 5 EUR pro Kunden.“ Die Party ist also nicht vorbei.