Bildnachweis: © torq.partners.
Der Businessplan und das Pitch Deck haben generelle Anforderungen, die es zu erfüllen gilt. Doch durch den Wandel des Markts und die Zurückhaltung der Investoren ist noch einiges mehr zu beachten.
Mit bis zu 18 Mrd. EUR, die letztes Jahr zum Teil in Start-ups flossen, stellen das Dealvolumen aus dem Jahr 2021 und die realisierten Bewertungen innerhalb kürzester Zeit nach Gründung eine Zeitenwende im deutschen Venture Capital-Markt dar. Die Summen beliefen sich auf mehr als das Dreifache im Vergleich zum Krisenjahr 2020, jedoch auch zu 2019, dem bisher stärksten Jahr im deutschen Wagniskapitalmarkt. Man konnte den meteorischen Aufstieg von Firmen wie Gorillas, Flink, Razor Group und der Berlin Brands Group beobachten. Gleichzeitig, stiegen mit sennder, Personio, Infarm, Enpal und vielen anderen zahlreiche Growth Stage-Firmen in die Ränge der Unicorns auf.
Gefühlter Markteinbruch
Der Natur der Sache entsprechend orientieren sich Start-ups an Superlativen – „Unicorn or die“. Während sich über die Sinnhaftigkeit dieser Prämisse streiten lässt, stellte aus dieser Sicht das erste Halbjahr 2022 einen gefühlten Markteinbruch dar, mit einem um 25% geringeren Dealvolumen im Vergleich zum zweiten Halbjahr 2021. Dass jedoch die ersten sechs Monate des Jahres das historisch gesehen drittstärkste Halbjahr im Dealvolumen darstellten und weit über allen Jahren seit 2015 lagen, bleibt leider oft unbeachtet.
An aktuellen Markt anpassen
Im Vergleich zum letzten Jahr zeigt sich, dass sich die Investitionszeiträume verlängern. Venture Capital-Investoren prüfen Unternehmen zudem wieder intensiver, und das Paradigma des Wachstums um jeden Preis wird nicht nur infrage gestellt, sondern erhält einen Malus in den Investitionsentscheidungen. In Hinblick auf die Erstellung eines Businessplans in dieser Zeit – also der quantifizierten Darstellung des Geschäftsmodells – sowie des Pitch Decks sollten Gründer daher auf die Logik der Jahre vor 2020 zurückkehren. Die Logiken des Jahres 2021 sind als historischer Ausreißer zu betrachten, deren Validität sich erst beweisen muss, sollte sich das Investitionsklima wieder ändern.
Attraktivitätsdreieck berücksichtigen
Drei Faktoren spielen bei der Attraktivität eines Start-ups für Investoren eine entscheidende Rolle: das Team, der Markt und die Traction. In Hinblick auf das Team ist die Logik identisch geblieben, und es ist auch nicht davon auszugehen, dass diese sich jemals signifikant ändern wird. In jedem Pitch Deck sollte die Frage proaktiv beantwortet werden: Was zeichnet das Gründungsteam aus? Welches Know-how bringt es mit und warum haben die Gründer einen einzigartigen Zugang zu dem Markt, den es zu erobern gedenkt? Warum ist es das Team, das einen Unfair Advantage darstellt und sich deshalb nicht nur gegen Mitwettbewerber, also etablierte Marktteilnehmer durchsetzt und von anderen Start-up-Teams abgrenzt? Warum ist es das richtige Team, um die Idee und den Markt durch seine Umsetzungskraft zum Erfolg zu tragen?
Problem greifbar machen
Da ein Team in Isolation noch keinen Investment Case auszeichnet, bedarf es einer klaren Quantifizierung des Markts und damit des Problems, das mit der Unternehmensidee gelöst werden soll. Zu sagen, dass der Markt eine gewisse Größe aufweist, die idealerweise in den hohen zwei- bis dreistelligen Milliarden anzusiedeln ist, ist die eine Sache. Zum Bau einer TAM/SAM/SOM Slide im Pitch Deck gibt es mehr als genug Ratgeber, jedoch ist es erst der erste Schritt. Es gilt, das Problem greifbar herunterbrechen. Wie definiert sich der Schmerz der Kundengruppe? Wie viel Zeit verwendet sie auf das jeweilige Problem und wie löst das Start-up dieses auf, ohne andere Formen der Mehrarbeit auszulösen? Wie definiert sich die Effizienzsteigerung, und ist diese den potenziellen Mehraufwand wert? Wie einfach ist das Produkt integrierbar in bestehende Abläufe und wie umgeht das Team die Hürden der Einführung bei den potenziellen Kunden? Auch im Bereich des Markts unterscheidet sich die Logik zu den Vorperioden kaum, jedoch bedarf es einer kontinuierlichen Anpassung an die Umstände. Dies war hervorragend zu beobachten im Aufstieg des Quick Commerce im Jahr 2020, der eine vermeintliche Marktlücke in kürzester Zeit besetzt hatte, die vor der Corona-Pandemie deutlich kleiner ausgefallen wäre.
Traction zur Stärkung der Argumente
Traction soll dabei die Argumente der Faktoren Team und Markt stützen. Da es vielen Start-ups der Frühphase noch an signifikanter Traction fehlt, sollten zumindest Indikatoren aufzuweisen sein für die Nachfrage nach dem Produkts. Wie viele Downloads konnten bereits erreicht werden oder stehen auf der Warteliste? Gibt es bereits erste namhafte Kunden, die begeistert sind oder die eine Intention gezeigt haben, sich bei fortgeschrittenem Entwicklungsstadium mit der Lösung auseinanderzusetzen? Konnten erste Umsätze erzielt werden – und zu welchem Preis? Traction im laufenden Geschäft sowie prognostizierte Traction im Businessplan definiert sich über die Financial Big Three: Profitabilität, Liquidität und Wachstum. Es ist genau dieser Faktor, in dem eine Rückkehr zur Investitionslogik vor 2020 zu sehen ist, da der Fokus nicht mehr auf Wachstum um jeden Preis liegt, sondern auf der Kapitaleffizienz, das heißt gesteigerte Aufmerksamkeit auf die relative Profitabilität und die Liquidität der Unternehmung.
Volle Aufmerksamkeit auf Ratios
Dass ein Start-up zumeist keine Gewinne einfahren wird, sollte selbstverständlich sein. Jedoch orientiert sich die relative Profitabilität an anderen Faktoren. Es sollte im Business Case und Pitch Deck volle Aufmerksamkeit gelegt werden auf Ratios wie den Burn Multiple und den Quick Ratio. Gewinnmargen nach variablen Kosten und auf Unit Economics-Ebene sollten ein nachhaltiges Geschäft porträtieren. CLTV/CAC muss auch ins Verhältnis zur Payback-Periode gesetzt werden, um den Turnaround von Umsatz zu Liquidität zu zeigen. Net- und Gross Revenue Retention sind ebenso relevant, also ein „gesundes“ Produkt, in dem Kunden langfristig einen Mehrwert sehen.
Fazit
Start-ups werden immer nach den Sternen greifen und verblüffendes Wachstum zeigen müssen, aber nachhaltiges Unternehmertum ist wieder in den Fokus der Venture Capital-Investoren gerückt. Dies fordert vielen Gründern ein Umdenken weg vom Paradigma „Wachstum um jeden Preis“.
Über den Autor:
Kolja Heskamp ist Managing Partner von torq.partners, einer Unternehmensberatung mit Schwerpunkt Finance & HR in Start-ups mit über 300 Kunden. „Stability in motion“ steht im Zentrum der Dienstleistung, um die rapide Skalierung partnerschaftlich zu meistern.