Mit der Start-up-Strategie hat die Bundesregierung im Sommer einen Plan vorgelegt, wie das hiesige Gründerökosystem angekurbelt werden soll. Wie die Start-up-Beauftragte Dr. Anna Christmann auf die Szene blickt, berichtet sie im Interview.
VC Magazin: Sie sind seit Januar 2022 Beauftragte für digitale Wirtschaft und Start-ups im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, sind viel in der Start-up-Szene unterwegs. Wie geht es den Start-ups zwischen Flensburg und Berchtesgaden in diesen wirtschaftlich nicht einfachen Zeiten?
Christmann: Die aktuelle geopolitische und wirtschaftliche Situation hinterlässt auch bei Start-ups Spuren. Die Unsicherheit belastet auch ihre weitere wirtschaftliche Entwicklung. Dies schränkt viele Unternehmen in ihrer Geschäftstätigkeit ein. Allerdings hat sich die deutsche Start-up-Landschaft in den letzten Jahren gut weiterentwickelt; davon profitieren wir jetzt. Zudem sind Start-ups oft flexibler und gerade im digitalen Sektor weniger abhängig von klassischen Lieferketten – das macht sie in der Krise robuster. Knapp 70% der Start-ups sind mit ihrem Standort zufrieden, das zeigt der aktuelle Startup Monitor 2022. Das motiviert mich, hier noch besser zu werden.
VC Magazin: Wo drückt die Start-ups der Schuh am meisten?
Christmann: Die Finanzierung wird in diesen Zeiten schwieriger, die Zinswende macht den Start-ups zu schaffen. Trotz der insgesamt stabilen Lage klagen Wagniskapitalinvestoren über Unsicherheit im Markt und werden zurückhaltender. Auch die Gewinnung von Talenten bereitet den Start-ups Probleme. Sie verfügen häufig nicht über die finanziellen Mittel, um wettbewerbsfähige Gehälter zu zahlen. Der zunehmende allgemeine Fachkräftemangel verschärft dieses Problem. Deshalb ist es gut, dass die Bundesregierung jetzt die neue Fachkräftestrategie verabschiedet hat.
VC Magazin: Sie haben im Juli eine umfassende Start-up-Strategie beschlossen. Von welchen Punkten profitieren Start-ups in Ihren Augen am stärksten?
Christmann: Die Start-up-Strategie umfasst erstmals alle wesentlichen Handlungsfelder, die für ein starkes Start-up Ökosystem wichtig sind. Die staatlich unterstützen Finanzierungsinstrumente beispielsweise ermöglichen den Kapitalzugang auch in schwierigen Zeiten. Gerade dann erweisen sich die öffentlichen Kapitalgeber als wichtige Stabilitätsanker und spielen eine bedeutende Rolle. Der Zukunftsfonds wird mit seinen verschiedenen neuen Modulen bis 2030 bis zu 10 Mrd. EUR an öffentlichen Mitteln bereitstellen und kann zusammen mit privaten Akteuren Wagniskapitalinvestitionen in Höhe von insgesamt bis zu 30 Mrd. EUR hebeln. Mit dem neuen DeepTech & Climate Fonds unterstützen wir dabei besonders Start-ups, die mit ihren Technologieentwicklungen zur Transformation der Wirtschaft beitragen. Außerdem streben wir mit der Start-up-Strategie Verbesserungen bei der Mitarbeiterkapitalbeteiligung an. Eine attraktivere Gestaltung von Mitarbeiterbeteiligungen am „eigenen“ Unternehmen hilft Start-ups, qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen, zu halten und zu motivieren. Entscheidend wird eine praxistauglichere Regelung der Besteuerung sein, auch wenn Mitarbeiter den Arbeitgeber wechseln. Ich bin zuversichtlich, dass das geplante Zukunftsfinanzierungsgesetz spürbare Verbesserungen für die Mitarbeiterkapitalbeteiligung enthält. Mit den Entrepreneurship-Zentren an Hochschulen werden wir zudem Ausgründungen aus wissenschaftlichen Institutionen stärker anreizen. Viele gute Ideen sind bereits in den Laboren. Gründungen sind ein gutes Instrument, sie in die Praxis zu bringen.
VC Magazin: Am 31. August wurde zudem eine Digitalstrategie beschlossen. Was sind die für Start-ups relevanten Eckpunkte?
Christmann: Digitalpolitik und Start-up-Politik haben eine große Schnittmenge. Künstliche Intelligenz (KI) spielt für knapp die Hälfte aller Start-ups eine wichtige Rolle, Industrie 4.0 und das Internet der Dinge sind jeweils für rund 30% relevant. Die Digitalstrategie zielt sogar explizit auf die Stärkung des Start-up-Ökosystems. Dazu gehört zum Beispiel, dass Behördengeschäfte im Kontext von Gründungen künftig noch besser digital abgewickelt werden können und damit weniger Ressourcen binden. Außerdem will die Digitalstrategie Start-ups bei KI-Anwendungen unterstützen und datengetriebenen Geschäftsmodellen den Rücken stärken. Ein neues Dateninstitut wird die Datenverfügbarkeit verbessern und Datentreuhandmodelle erproben.
VC Magazin: Befürchten Sie trotz der zahlreichen Hilfen eine erhöhte Insolvenzrate bei Start-ups?
Christmann: Insgesamt bin ich optimistisch, dass sich das deutsche Start-up-Ökosystem an das schwierigere neue Marktumfeld anpassen wird. Die Start-ups hierzulande sind in einer passablen Ausgangsposition. Die Fundraising-Bedingungen der letzten Jahre waren sehr gut und es sind viele Fonds am Markt, die gerade erst am Beginn ihrer Investitionsphase stehen. Hinzu kommen die Maßnahmen aus dem Zukunftsfonds, mit denen wir größtenteils jetzt erst mit den Investitionen starten. Das stärkt das Start-up-Ökosystem.
VC Magazin: Investoren sind aktuell zurückhaltender, obwohl die Kassen gut gefüllt sind. Ihr Appell an die deutsche Investorenszene lautet?
Christmann: Start-ups sind ein wichtiger Treiber der digitalen und ökologischen Transformation. Sie sind dabei nicht nur ökonomisch betrachtet sehr wichtig, sondern haben sehr oft auch eine positive gesellschaftliche oder ökologische Wirkung. Knapp die Hälfte der Start-ups ordnet ihre Produkte und Dienstleistungen der Green Economy zu. Damit sind Investitionen in Start-ups Zukunftsinvestitionen, die unsere Gesellschaft als Ganzes weiterbringen.
VC Magazin: Wie divers ist die deutsche Start-up-Szene im Vergleich zur Gesamtwirtschaft aufgestellt?
Christmann: Der Anteil an Gründerinnen ist laut Startup Monitor 2022 zuletzt von 18% auf über 20% gestiegen. Das ist erfreulich, aber natürlich noch nicht genug. Diverse Teams haben zum Beispiel Vorteile bei der Einschätzung der Bedürfnisse unterschiedlicher Zielgruppen. Zudem gewinnen aufgrund des Fachkräftemangels bislang weniger beachtete Gruppen als Talente an Bedeutung, etwa Migrantinnen und Migranten oder Seniorinnen und Senioren. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz fördert deshalb mit dem Exist-Programm zum Beispiel divers aufgestellte Gründerteams an Hochschulen und wird mit einem neuen Programm Exist-Women speziell Female Founders unterstützen.
VC Magazin: Sie stammen aus einer Unternehmerfamilie. In welcher Branche würden Sie gerne gründen?
Christmann: Ich weiß von zu Hause, dass eine Gründung volle Leidenschaft und hohen Einsatz bedeutet. Deshalb habe ich großen Respekt vor dem Mut der Gründerinnen und Gründer, die diesen Schritt wagen. Ich konzentriere mich derzeit darauf, sie dabei bestmöglich zu unterstützen.
VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.
Über die Interviewpartnerin:
Dr. Anna Christmann ist Koordinatorin der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt und Beauftragte des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klima für Start-ups und digitale Wirtschaft. Seit 2017 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages.