Bildnachweis: Keller Schneider.
Patente spielen für Start-ups wie auch Investoren eine wichtige Rolle und sichern das Geschäftsmodell. Was dabei zu beachten ist und welche Risiken zu klären sind, berichtet Mirko Schade, Gründer und Geschäftsführer von Integrate-IP. Auch gibt er Gründern Tipps zum Umgang mit dem Patentrecht.
VC Magazin: Herr Schade, Sie sind Patentanwalt und leiten gleichzeitig ein Unternehmen, welches sich auf Patentrecherchen spezialisiert hat. Warum sollte man eine Patentrecherche durchführen?
Schade: Insbesondere vor der Markteinführung von neuen Produkten müssen blockierende
Schutzrechte geklärt sein. Hierzu empfiehlt sich sowohl für den Erfinder, etwa ein Start-up, als auch für Investoren eine rechtliche Absicherung im Vorfeld, eben durch eine Patentrecherche.
VC Magazin: Welche Arten von Patentrecherchen gibt es?
Schade: Die drei Wesentlichen: Die Freedom to operate (FTO) sichert die Ausübungsfreiheit. Mit ihr sucht man nach Schutzrechten Dritter, also nach Patentregistrierungen, die unmittelbar ein Risiko darstellen. Die FTO ist eindeutig die umfassendste und wichtigste Patentrecherche. Dann gibt es die Standardrecherche zum Stand der Technik, die sogenannte Neuheitsrecherche. Mit ihr werden bereits bestehende Patentrechte auf die technische Neuheit hin überprüft. Als Drittes ist die Rechtsbeständigkeitsrecherche zu nennen. Mit ihr wird die Beständigkeit eines bestehenden Patents überprüft. Gibt es hier berechtigte Zweifel, kann das Patent mit einer sogenannten Einspruchs- oder Nichtigkeitsrecherche angefochten werden.
VC Magazin: Sie sagten, eine FTO ist die wichtigste Recherche. Warum?
Schade: Wenn Sie ein Patent anmelden, wollen Sie mit der Registrierung ein Verbietungsrecht ausüben. Das heißt, Sie als Inhaber des Patents haben das Recht, andere vom selben Recht auf ein Produkt beziehungsweise auf eine technische Ausführung Ihres Produkts auszuschließen. Für eine Produktneueinführung ist eine FTO essenziell, um auszuschließen, dass Ihr Produkt nicht gegen bereits bestehende Patentrechte verstößt. Eine FTO ist also eine reine Risikomanagementmaßnahme im Vorfeld.
VC Magazin: Was beinhaltet eine FTO genau?
Schade: Eine FTO besteht aus zwei Teilen: In der FTO-Recherche werden bestehende Schutzrechte, die dem eigenen Produkt nahekommen oder gefährlich werden können, gesucht und aufgelistet. In der FTO-Analyse überprüft ein Patentanwalt die Ergebnisse der Recherche auf ein ernst zu nehmendes Risiko für Entwicklung, Produktion und Vertrieb des Produkts. So lassen sich Handlungsempfehlungen und eine Risikobewertung ableiten.
VC Magazin: Welche Rolle spielt die FTO für Start-ups und Investoren?
Schade: Eine sehr wichtige! Wenn ein Investor überlegt, in ein Start-up zu investieren, ist das immer eine reine Risikoabschätzung. Zwei Fragen sind für ihn relevant: Hat das Start-up schon eigene Schutzrechte, die das Produkt schützen, und wurde eine FTO durchgeführt? Es gibt Investoren, die darauf bestehen, dass eine FTO vorgewiesen werden kann und/oder dass eine Patentanmeldung in petto ist. Das halte ich persönlich auch für richtig.
VC Magazin: Was empfehlen Sie Gründern, die noch überlegen, eine FTO durchzuführen?
Schade: Eine FTO ist wichtig und sollte standardmäßig durchgeführt werden. Sie gilt gewissermaßen als rechtliche Grundvoraussetzung für die eigene Produktvermarktung beziehungsweise die Patentanmeldung. Mit ihr weiß man, wo man mit seinem Produkt steht und wo man mit seinem Business hinwill beziehungsweise hindarf. Eine FTO bewirkt immer eine rechtliche Handlungssicherheit!
VC Magazin: Welche Risiken ergeben sich, wenn keine FTO durchgeführt wird?
Schade: Gibt es ein identisches oder ähnliches Patent, hat man ein ernst zu nehmendes Problem und muss seine Businessideen neu überdenken. Begeht man eine Patentverletzung, ist die Gefahr groß, ein gerichtliches Verbot zum Vertrieb des eigenen Produkts zu bekommen (per einstweiliger Verfügung). Folgt noch ein Anspruch auf finanzielle Wiedergutmachung – sprich Schadensersatz –, kann man schnell in eine existenzielle Schieflage geraten.
VC Magazin: Apropos Finanzen – was kostet eine FTO?
Schade: Die Gesamtkosten für eine FTO hängen von der Größe der Branche und dem Produktumfang ab. Deshalb lassen sich Kosten nicht pauschal beziffern, sie bespricht man immer im Einzelfall. Die Analyse ist hierbei das eigentlich Teure. Deshalb empfehle ich stets zumindest eine Recherche; die Analyse lässt sich auch im zweiten Schritt nachholen.
VC Magazin: Gibt es auch Risiken bei einer FTO?
Schade: Wie bei allen IP-Recherchen besteht leider auch bei der FTO ein gewisses Restrisiko auf Vollständigkeit. Das ist eine rechtliche Grundsatzproblematik: Per Gesetz werden Patente erst 18 Monate nach Anmeldung publiziert. Das ist ein langer Zeitraum, in dem eine Innovation bereits angemeldet sein kann, sie aber bei der Recherche nicht auffällt, weil sie noch nicht veröffentlicht wurde.
VC Magazin: Können Sie hier Risikominimierungsstrategien oder Alternativen empfehlen?
Schade: Ja, die Integrate-IP bietet zusätzliche Wettbewerbsanalysen und Market Intelligence an. Mithilfe von Big Data und AI können wir auf Risiken hinweisen, die im Rahmen einer klassischen FTO nicht analysierbar sind. Dadurch erhalten unsere Mandanten außerdem zusätzliche wertvolle Marktinfos, wie:
• Wer sind die anderen Player am Markt?
• Was sind die technologischen Trends in unserem Segment?
• Welche Wachstumsraten sind zu erwarten?
Diese Informationen über das Marktverhalten sind auch für einen Investor wichtig – weil wir die Marktgebiete identifizieren, in denen man sich erfolgversprechend (neu) positionieren kann.
VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.
Über den Interviewpartner:
Mirko Schade, Gründer und Geschäftsführer der Integrate-IP, Patentanwalt und MP der Keller Schneider Patent- und Markenanwälte, ist fasziniert von den Möglichkeiten, die sich durch eine FTO auf das wirtschaftliche Leben ergeben können. Er ist Brückenbauer zwischen Recht und Wirtschaft.