Fokus der Wagniskapitalgesellschaften verändert sich

Bestandsaufnahme der Venture Capital-Landschaft in Deutschland

Ulrike Hinrichs, BVK
Ulrike Hinrichs, BVK

Bildnachweis: (c) BVK.

Das Finanzierungs- und Gründungsgeschehen in Deutschland hat sich in den letzten Jahren erfreulich entwickelt und stellt sich robust und widerstandsfähig dar. Der Wirtschafts- und Technologiestandort Deutschland profitiert von dem gewachsenen Kapitalangebot für Start-ups. 

Mehr Investoren bedeuten auch mehr Investitionen; Kapital, das in Innovationen, Digitalisierung, Zukunftstechnologien, neue Geschäftsmodelle und Transformationsprozesse fließt. 2020 und 2021 waren Rekordjahre bei den Venture Capital-Investitionen. 2021 investierten Beteiligungsgesellschaften rund 4 Mrd. EUR in deutsche Start-ups und damit so viel wie in beiden Vorjahren zusammen.

Umdenken bei den Venture Capitalisten

Die positive Entwicklung der Venture Capital-Landschaft in Deutschland befindet sich allerdings in einer Umbruchphase. Die aktuellen Marktbedingungen – Zinslage, Konjunktur, der Krieg in der Ukraine und die unmittelbaren Auswirkungen auf Lieferketten und die damit verbundene Energiekrise – haben auch Wagnisinvestoren zum Umdenken gezwungen. Schnelles Wachstum um jeden Preis, unabhängig vom Kapitalverzehr, steht nicht mehr an erster Stelle. Stattdessen sind Wirtschaftlichkeit und Resilienz der Start-ups in den Fokus gerückt. 

Finanzierungsrunden werden seltener

Auf die Cash Burn Rate, also die Geschwindigkeit, mit der Start-ups das bereitgestellte Kapital verbrauchen, achten Investoren besonders. Auch ein solides Geschäftsmodell, der anstehende Kapitalbedarf und der bereits generierte Cashflow gewinnen im schwierigeren Finanzierungsumfeld besonders stark an Bedeutung. Die Gründer selbst, die auf besonders wachstumsorientierte Geschäftsmodelle gesetzt haben, halten sich mit Finanzierungsanfragen eher zurück und passen ihre Businesspläne an die Gegebenheiten an. Generell dürften im aktuellen Marktumfeld eher jene Start-ups in die Kapitalakquise gehen, die neues Kapital brauchen, weil sie das noch vorhandene Kapital nicht weiter strecken können. Finanzierungsrunden zum weiteren Ausbau des bereits vorhandenen Liquiditätspuffers dürften dagegen selten geworden sein. Hervorzuheben ist allerdings, dass die Qualität des verbliebenden Dealflows nach wie vor hoch zu sein scheint. 

Junge, digitale und weibliche Gründerlandschaft

Dass das Start-up-Ökosystem, besonders im Bereich der Digitaltechnologien, sehr männlich dominiert ist, ist keine Neuigkeit. Dies trifft aber auch auf die Venture Capital-Szene zu. Bei der Unterstützung von Gründerinnen in Deutschland muss viel früher als bei der Finanzierung angesetzt werden. Es herrscht noch immer ein Kaskadeneffekt zwischen den Geschlechtern: Da Frauen häufig schlechter bezahlt werden, bleiben Männer bei der Familiengründung seltener zu Hause und Frauen übernehmen die Care-Arbeit. Das muss aufgebrochen werden. 

Zahl der Venture Capital-Gesellschaften verdoppelt

Heute sind in Deutschland gut 300 Wagniskapitalgesellschaften unterschiedlichster Größe, Herkunft oder Ausrichtung aktiv. Damit hat sich ihre Zahl in den letzten zehn Jahren praktisch verdoppelt. Natürlich wird die Landschaft weiterhin von Gesellschaften dominiert, die auf digitale Geschäftsmodelle aus dem IT-, Software- und Internetbereich setzen. Aber es haben sich zunehmend Spezialisten herausgebildet, die sich auf bestimmte Sektoren und Nischen oder auch digitale Querschnittsbereiche fokussieren. Heute finden sich etwa Spezialisten für Fintech, Medtech, Greentech, Foodtech oder Digital Health. Einen Schritt weiter geht die zunehmende Zahl von Impact-Fonds, die neben dem finanziellen Return mit ihren Investitionen auch positive soziale oder ökologische Veränderung unterstützen wollen. Allerdings rücken nachhaltiges und verantwortungsbewusstes Investieren und die Berücksichtigung von ESG (Environmental, Social, Governance) in den Fokus aller Beteiligungsgesellschaften. 

CVC wächst weiter

Ein weiterer Wachstumstreiber für die deutsche Venture Capital-Landschaft waren Corporate Venture Capital (CVC)-Gesellschaften. Von den aktuell etwa 100 CVC-Einheiten deutscher Unternehmen wurde allein in den Jahren 2015 bis 2018 gut die Hälfte gestartet. Nicht nur Großkonzerne setzen inzwischen auf eigene Venture-Aktivitäten und haben ihre Zusammenarbeit mit Start-ups intensiviert. Die Gründungswelle der letzten Jahre wurde maßgeblich von mittelständischen, nicht börsennotierten Unternehmen getragen. Knapp zwei Drittel der aktuellen deutschen CVC-Gesellschaften haben eine nicht börsennotierte Muttergesellschaft. Heute gehört Deutschland weltweit zu den Ländern mit der zahlenmäßig stärksten und auch aktivsten CVC-Szene. 

Die verschiedenen Arten von Wagnisinvestoren und das Unternehmen müssen zusammenpassen und das gleiche Branchenverständnis aufbringen. Sind mehrere Investoren an einem jungen Unternehmen gleichzeitig beteiligt, so muss auch der Investorenkreis möglichst homogen sein. So wird der strategische Ausblick des Start-ups nicht von Unstimmigkeiten unter den Investoren behindert. 

Top-Städte ziehen Start-ups an

Deutschlands Venture Capital-Landschaft ist robust und stark wachsend. Das Investitionsvolumen ist bislang stets gestiegen. Berlin, Hamburg und München sind die größten Standorte für Wagniskapital im Land und ziehen aufstrebende Unternehmen an. Die internationalen Ausrichtungen deutscher Start-ups sind sicherlich ein Erfolgsfaktor für das gute Start-up Ökosystem in Deutschland. Aber es ist eben auch nur „gut“ – die Venture Capital-Märkte in Frankreich und Großbritannien sind knapp zwei Mal so groß wie der hiesige. 

Wachstumsfinanzierungen als Hemmschuh

Innerhalb der Venture Capital-Finanzierung ist der Markt auf die früheren Phasen gut eingestellt. Hierzulande dringend notwendig ist ein erhöhtes Investitionsvolumen in den späteren Phasen eines wachsenden Start-ups. Es ist essenziell, dass eine angemessene Finanzierung den Unternehmen in der Wachstumsphase nicht den Atem nimmt. Dabei muss es der Anspruch von Deutschland sein, dass große Finanzierungsrunden und Unicorn-Finanzierungen nicht nur mit ausländischem Venture Capital umgesetzt werden. Gerade im Bereich großer Fonds, die substanziell in Wachstumsunternehmen investieren, hat der hiesige Markt noch erheblichen Nachholbedarf. Deutsche Fonds sind in der großen Mehrzahl auf die Frühphase konzentriert und zu klein, um mit langem Atem und über mehrere Finanzierungsrunden zu investieren. Ambitionierte Start-ups und Unicorns werden nahezu ausschließlich von ausländischen Kapitalgebern finanziert, was die Unternehmen dann auch eher an ausländischen Börsenplätze gehen lässt. Das starke Interesse ausländischer Investoren an deutschen Start-ups ist als Indiz dafür zu werten, dass der Wagniskapitalmarkt hierzulande noch nicht fertig geformt ist.  

Fazit

Aber: In Deutschland hat sich eine Entwicklung etabliert, die vor Jahrzehnten schon die US-amerikanische Venture Capital-Szene angetrieben hat. Gründer und ehemalige Unternehmen wechseln – oft nach einem erfolgreichen Exit – die Seiten und werden zu Investoren. Sie investieren aber nicht nur als Business Angels privates Kapital, sondern gründen Wagniskapitalgesellschaften, um ihr Know-how und ihre Erfahrung zusammen mit institutionellem Kapital an die nächste Gründergeneration weiterzugeben. Dieser innere Erneuerungs- und Wachstumsprozess illustriert die zunehmende Reife der deutschen Venture Capital-Szene und dürfte auch zukünftig ein wichtiger Treiber für den Markt sein.

Über die Autorin:
Ulrike Hinrichs ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Beteiligungskapital und Vorsitzende des Beirats Junge Digitale Wirtschaft.