Sonderrecht für Start-ups bei Scheitern der Folgefinanzierung?

Geschäftsleiterhaftung

Dr. Thomas Zwissler
Dr. Thomas Zwissler

Bildnachweis: (C) Zirngibl Rechtsanwälte .

Start-ups können – wie jedes andere Unternehmen – scheitern. Die Gründe sind vielfältig, und häufig sind es noch nicht einmal Fehler oder Fehleinschätzungen der Gründer, die das Ende eines einst hoffnungsvollen Start-ups einläuten. Umso wichtiger ist es, dass sich Gründer beziehungsweise Geschäftsleiter vor den Risiken einer Insolvenz und dem damit einhergehenden Risiko einer Inanspruchnahme durch den Insolvenzverwalter wegen Zahlungen nach Insolvenzreife schützen.

Das Erkennen des Eintritts beziehungsweise des unmittelbaren Bevorstehens der Insolvenzreife kann im Einzelfall schwierig sein. Die Maßstäbe sind selbst unter Juristen umstritten. Was also ist zu tun, um „auf der sicheren Seite“ zu bleiben?

Inanspruchnahme wegen Zahlungen nach Insolvenzreife

§ 15b Abs. 1 der Insolvenzordnung bestimmt, dass nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung einer juristischen Person grundsätzlich keine Zahlungen mehr geleistet werden dürfen. Ausnahmen von diesem Grundsatz gelten für sogenannte Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang. Der Kreis der noch zulässigen Zahlungen ist allerdings sehr eng gefasst. Werden entgegen den genannten Grundsätzen Zahlungen geleistet, sind diese nach der Regelung in § 15b Abs. 4 InsO von jenen Personen zu erstatten, die für den (rechtzeitigen) Insolvenzantrag zuständig gewesen wären, namentlich also von den Geschäftsführern einer GmbH beziehungsweise von den Vorständen einer AG. Die besondere Brisanz des Anspruchs ergibt sich daraus, dass der Zeitraum der (gegebenenfalls unerkannten) Insolvenzreife schnell mehrere Monate oder sogar Jahre umfassen kann und das Gesamtvolumen der zu erstattenden Zahlungen dementsprechend hoch ausfällt. Hinzu kommt, dass die Beweislast für das Nichtbestehen der Insolvenzreife weitestgehend beim Vertretungsorgan liegt.

Früherkennungssystem für bestandsgefährdende Entwicklungen

Seit dem 1. Januar 2021 sind die Geschäftsleiter von juristischen Personen
einschließlich GmbH und GmbH & Co. KG verpflichtet, ein Früherkennungssystem für bestandsgefährdende Entwicklungen einzurichten und zu unterhalten. Diese Verpflichtung gilt auch für Start-ups. Die Früherkennungssysteme sind jedoch nicht primär darauf
ausgerichtet, das unmittelbare Bevorstehen der Insolvenzreife zu erkennen. Insoweit mag das Früherkennungssystem ein Instrument sein, das den Geschäftsleitern anzeigt, wann detaillierte Prüfungen der Insolvenzreife notwendig werden. Ein ausreichendes Maß an
Sicherheit bieten sie aber nicht. Bei Start-ups kommt hinzu, dass die Geschäftsmodelle in aller Regel auf Geschäftsentwicklung und Wachstum ausgerichtet sind. Die dabei entstehenden (Anlauf-)Verluste sind einkalkuliert, und der Fortbestand der Gesellschaft hängt im Wesentlichen davon ab, dass es der Gesellschaft gelingt, Folgefinanzierungen abzuschließen, mit denen der nächste Entwicklungs- und / oder Wachstumsschritt finanziert werden kann.

Rechtsprechung zum Thema „Folgefinanzierung“

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat sich zuletzt gleich zweimal mit der Frage beschäftigt, ob die Insolvenzreife eines Start-ups bereits dann entfällt, wenn eine die Überschuldung und die Zahlungsunfähigkeit ausschließende Folgefinanzierung noch nicht rechtsverbindlich zugesagt, sondern lediglich in Aussicht gestellt war (und dann scheiterte). Aufgrund der intensiven Auseinandersetzung des Gerichts mit den Besonderheiten von Start-ups wurde teilweise behauptet, das Gericht habe ein Sonderrecht für Start-ups begründet. Bei näherer Betrachtung ist das aber nicht der Fall. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat lediglich die Grundsätze aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf den konkreten Fall angewendet.
Dabei hat es wie folgt differenziert:

  • Die Ertragsfähigkeit (Profitabilität) der Gesellschaft ist kein notwendiges Kriterium für die Lebensfähigkeit eines Unternehmens.
  • Ein rechtlich gesicherter und damit einklagbarer Anspruch auf eine (der Höhe nach angemessene) Folgefinanzierung ist ausreichend, aber nicht zwingend erforderlich, um eine positive Fortführungsprognose zu begründen.
  • Allein aufgrund der Tatsache, dass es bei der Gesellschaft einen Investor gibt, der früher schon einmal Finanzmittel zur Verfügung gestellt hat, kann die Geschäftsleitung nicht die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Folgefinanzierung und dementsprechend auch
    keine positive Fortführungsprognose ableiten.
  • Für ausreichend hat das Gericht hingegen eine schriftliche Finanzierungszusage angesehen, die unter dem Vorbehalt der Vorlage nachvollziehbarer und realistischer Planungen der Gesellschaft stand. Auf diese könnten sich die Geschäftsleiter stützen, wenn solche Planungen auch tatsächlich vorlägen.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass rechtlich unverbindliche Finanzierungszusagen
nur ganz ausnahmsweise eine positive Fortführungsprognose begründen und damit für die Geschäftsleiter entlastend wirken können.

Testfrage: Reicht das Geld für eine insolvenzfreie Liquidation?

Bei Start-ups in der Frühphase mit noch wenigen Mitarbeitern und Dauerschuldverhältnissen kann es ein probates Mittel sein, sich für den Fall der Fälle auf ein Liquidationsszenario vorzubereiten und dieses in Gang zu setzen, wenn die im Vorfeld errechnete Mindestliquiditätsschwelle erreicht wurde. Verfügt die Gesellschaft (noch) über ausreichende Liquidität, um die Geschäfte geordnet abzuwickeln und dabei alle Gläubiger zu befriedigen, ist das Risiko einer doch noch eintretenden Insolvenz und einer Inanspruchnahme durch einen Insolvenzverwalter entsprechend gering. Größeren Start-ups beziehungsweise Start-ups in einer späteren Entwicklungsphase steht dieser Weg häufig nicht mehr offen, da dort die laufenden Kosten bereits erheblich sind und nicht mehr schnell genug abgebaut werden können.

Mitverantwortung der Investoren

Als Fazit kann festgehalten werden, dass die Wahrnehmung der Geschäftsleiterverantwortung eines auf Folgefinanzierungen angewiesenen Start-ups einem „Ritt auf der Rasierklinge“ gleicht, dessen Ende ruinös sein kann. Es stellt sich daher die Frage, welche Verantwortung
den Investoren zukommen kann oder zukommen sollte. Rechtsschutz und D&O-Versicherungen für das Management, die im Ernstfall zumindest eine qualifizierte Rechtsverteidigung finanzieren, sollten selbstverständlich sein. Von Investoren installierte Beiräte, die regelmäßig über mehr Erfahrung im Berufsleben verfügen als junge Start-ups, sollten das Thema ebenfalls verantwortungsvoll handhaben und die Geschäftsleiter davor bewahren, ihre persönlichen Risiken falsch einzuschätzen.