Marktüberblick von Dr. Peter Möllmann, PXR Rechtsanwaltsgesellschaft

Gastbeitrag von Dr. Peter Möllmann

Dr. Peter Möllmann
Dr. Peter Möllmann

Bildnachweis: (C) PXR.

Der Venture Capital-Markt hat sich in den vergangenen Monaten stark abgekühlt. Betroffen sind vor allem Late Stage- bzw. Growth-Finanzierungen, die im Vergleich zu 2020/21 signifikant zurückgegangen sind. Auch im Bereich der Frühphasen-finanzierung (Seed/Series A) ist eine Verlangsamung der Investmentaktivität zu verzeichnen. Dabei lässt jedoch die Präsenz US-amerikanischer Venture Capital-Gesellschaften nach. Für deutsche und europäische Venture Capital-Fonds eröffnen sich so Marktchancen, die klug genutzt werden wollen.

Der Venture Capital-Markt in Deutschland war in den vergangenen zwei bis drei Jahren durch die starke Präsenz US-amerikanischer Fonds geprägt. Vor allem im Late Stage- bzw. Growth-Bereich haben US-Fonds mit international bekannten Marken eine dominante Stellung im Venture Capital-Finanzierungsmarkt eingenommen. Mit aggressivem Pricing und besonders gründerfreundlichen Vertragskonditionen haben sie im Late Stage- bzw. Growth-Segment einen signifikanten Marktanteil in Deutschland erobert.

US-Fonds bislang Preistreiber im deutschen Markt

US-Fonds stiegen zuletzt auch häufiger in frühen Finanzierungsphasen bei deutschen und europäischen Start-up-Unternehmen ein. Dabei waren es oft nicht einmal die Start-ups, die bei den Venture Capital-Gesellschaften für neues Geld anklopften. Vielmehr kamen die Investoren selbst und proaktiv auf die Jungunternehmerinnen und -unternehmer zu, um ihnen attraktive Finanzierungsangebote zu unterbreiten und Finanzierungsrunden zu „pre-empten“.

Finanzierungsdeals wurden schneller abgeschlossen als je zuvor, die Bewertungen deutscher und europäischer Startups schossen in ungekannte Höhen. Die sonstigen Vertragskonditionen, die US-amerikanische Venture Capital-Gesellschaften auch in Deutschland zum Standard erhoben haben, waren zudem ausgesprochen gründerfreundlich. Durch „Index-VCs“ wie Tiger Global wurde die ohnehin schon in Gang gesetzte Preis- und Konditionsspirale noch beschleunigt.

Deutsche und europäische Fonds standen zurück

Während namhafte US-Fonds den hiesigen Finanzierungsmarkt buchstäblich mit ihren Angeboten überrollten, hatten deutsche und europäische Venture Capital-Gesellschaften teilweise Mühe, der finanziellen Überlegenheit der meist um ein Vielfaches größeren US-Investoren etwas entgegenzusetzen. Dies zeigte sich insbesondere im Bereich der Late Stage- bzw. Growth-Finanzierungen. Gewohnt an die Bewertungsmaßstäbe aus den USA, hatten Tiger Global und Co. in Europa leichtes Spiel jenseits ihres Heimatmarktes. Zudem war die internationale Reputation einiger US-Fonds von hiesigen Startups für Zwecke des „Signaling“ gern gesehen.

Zeitenwende

Das ist nun alles Vergangenheit. Der Venture Capital-Markt in Deutschland befindet sich in einem neuen Zyklus, der gerade vor allem durch allseitiges Abwarten geprägt ist, sowohl auf Investorenseite als auch seitens der Start-ups. Die hohen Bewertungen aus 2020/21 sind zu Fallhöhe geworden. Statt Wachstum um jeden Preis lautet die Vorgabe nun: Runway verlängern.

Venture Debt-Finanzierung als Überbrückungsmaßnahme

Die abwartende Haltung im Markt hat zu einem interessanten Sondereffekt geführt: Es lässt sich eine signifikant zunehmende Nachfrage nach alternativen Finanzierungsformen in den letzten Monaten im Late Stage- bzw. Growth-Bereich beobachten. Insbesondere die Nachfrage nach Venture Debt ist immens gestiegen.

In unserer Praxis haben wir in den letzten sechs Monaten mehr Venture Debt-Transaktionen begleitet als in den Jahren 2020/21 zusammengenommen. Viele Startups haben die Frage der eigenen (Anschluss-)Bewertung damit aufgeschoben und versuchen sich so lange mit Fremdkapital (Venture Debt) zu finanzieren, bis der Eigenkapitalmarkt wieder aufhellt. Ob diese Strategie aufgeht und die Bewertungen alsbald annähernd auf das Niveau von 2020/21 zurückkehren, bleibt abzuwarten. Wenn der Markt nicht „zurückdreht“, werden Bewertungs-korrekturen in einigen Fällen unvermeidbar sein. In der Folge wird es Flat- oder sogar Downrounds geben.

Zurückhaltung seitens der Venture Capitalisten

Bei dieser Aussicht verwundert es auf den ersten Blick nicht, dass Venture Capital-Fonds aktuell zurückhaltend sind. Jedenfalls verhalten sich alle Marktbeteiligten erst einmal rational, wenn sie sich im aktuellen Marktumfeld Zeit erkaufen, zumal Venture Debt-Anbieter zuletzt durchaus attraktive Konditionen aufgerufen haben.

Chancen bei der Frühphasenfinanzierung

Die Frage ist, ob es richtig ist, dass die allgemein abwartende Haltung – die im Late Stage- bzw. Growth-Bereich erklär- und nachvollziehbar ist – auch auf den Bereich der Frühphasen-finanzierung durchschlagen sollte. Dies ist derzeit überwiegend nicht der Fall. Es zeigt sich jedoch, dass sich einige Venture Capital-Fonds auch im Frühphasenbereich „eingraben“ und auf die veränderte Marktlage mit kräftigen Bewertungsabschlägen und auch sonst mit weniger attraktiven Konditionen reagieren.

Das ist zunächst einmal überraschend, denn Frühphaseninvestitionen sind (anders als Investments im Late Stage- bzw. Growth-Bereich) an sich unabhängig von der aktuellen Verfassung der Kapitalmärkte zu sehen. Exit-Märkte befinden sich für frühphasige Startups im einem Zeithorizont von fünf bis (eher) zehn Jahren und niemand kann vorhersagen, wie die Kapitalmärkte bis dahin aussehen.

Fundraising nach wie vor hoch

Zudem ballt sich gerade für Frühphasenfinanzierungen sehr viel Venture-Kapitalmittel zusammen. So hat EQT Ventures vor kurzem erst das Closing eines 1,1 Mrd. EUR schweren Fonds für Frühphaseninvestments bekannt gegeben. Index Ventures schließt sich mit einem Fonds in Höhe von 300 Mio. EUR an. Und das sind nur einzelne Beispiele. Sobald sich die Marktlage beruhigt, werden zudem namhafte US-Fonds mit großvolumigen Vehikeln auch im Bereich der Frühphasenfinanzierung zurückkehren. Der Konkurrenzdruck wird also zunehmen.

Hiesige Fonds sollten Lücke nutzen

Eine allzu defensive Haltung sollten deutsche und europäische Wagniskapitalfonds also nicht an den Tag legen. Im Gegenteil: Jetzt ist die Gelegenheit für deutsche und europäische Venture Capitalisten, die Lücke auszufüllen, die US-Fonds gerade eröffnet haben. Bei zu großer Zurückhaltung droht sonst mittelfristig im Frühphasenbereich das gleiche Szenario, was seit einigen Jahren im Bereich der Late Stage- bzw. Growth-Finanzierungen zu beobachten war: Deutsche und europäische Venture Capital-Fonds werden mit deutlich höheren Bewertungen und attraktiveren, gründerfreundlicheren Vertragsbedingungen von US-Fonds mit internationaler Reputation und vollen Taschen überrollt.

Finanzierungskonditionen nicht überdrehen

Gründerinnen und Gründern werden im Frühphasenbereich aktuell teilweise sehr niedrige Bewertungen vorgelegt. Darüber hinaus ist zu sehen, dass neben deutlich niedrigeren Bewertungen vereinzelt auch ungünstigere Konditionen Einzug halten. Das betrifft etwa Meilensteinzahlungen, Downround- bzw. Verwässerungsschutzregeln, Liquidationspräfenzen und Fragen der Corporate Governance.

Verwässerung verbaut Zukunft

Hier werden die Weichen für die Zukunft falsch gesetzt. Nicht alles, was US-Fonds in den vergangenen Jahren an gründerfreundlichen Terms in den deutschen Markt mitgebracht haben, war per se falsch. Und auch bezüglich des allgemein niedrigeren Bewertungsniveaus sollten sich Venture Capital-Gesellschaften einer Sache bewusst sein: Die hieraus oftmals resultierende Gesellschafterstruktur macht spätere Anschlussfinanzierungen für Start-ups möglicherweise schwieriger, im schlimmsten Fall unmöglich. Sehen Investoren bei einer Pre-Seed-Finanzierung bereits eine Verwässerung des Gründerteams weit jenseits der 20% vor – wie aktuell in Einzelfällen zu beobachten – werden in späteren Runden nicht mehr genügend Anteile bei den Gründerinnen und Gründern liegen, die für weitere Investitionen erforderlich wären. Dem Startup-Ökosystem werden so auf lange Sicht Steine in den Weg gelegt. Profitieren könnten am Ende wieder US-amerikanische Venture Capital-Fonds, die sich dann zum präferierten Partner aufschwingen können, sobald der Markt wieder zur Ruhe gekommen ist.

Miteinander statt gegeneinander

Was heißt das im Ergebnis? Statt abzuwarten und allzu zurückhaltende Finanzierungskonditionen aufzurufen, sollten deutsche und europäische Venture Capital-Gesellschaften die aktuelle Marktlage als Chance begreifen. Sie sollten die Gelegenheit nutzen, um weiter ein international wettbewerbsfähiges Startup-Umfeld aufzubauen und Marktanteile im Frühphasenbereich zurückzugewinnen. Wer heute in ambitionierte Gründerinnen und Gründer investiert und sie mit vernünftigen Bewertungen und gründerfreundlichen Bedingungen bei ihrer unternehmerischen Reise unterstützt, wird langfristig auf der Gewinnerseite stehen.

Über den Autor:

Dr. Peter Möllmann ist Gründer und Geschäftsführer von PXR, einer Full-Service-Kanzlei für Startups in der Technologiebranche mit Sitz in Berlin. Möllmann berät seit über zehn Jahren Startups in gesellschafts- und steuerrechtlichen Fragen und hat sich dabei insbesondere auf Venture Capital- und M&A-Transaktionen spezialisiert.