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Molekularbiologe und Biochemiker Dr. Matthias Kromayer leitet den Investmentbereich Life Sciences beim Münchner Venture Capital-Fondsmanager MIG Capital. Im Gespräch erklärt er, warum die Kombination verschiedener Disziplinen speziell im Gesundheitsbereich aussichtsreich ist.
VC Magazin: Immer häufiger fällt in Ihrer Branche das Schlagwort „Konvergenz“. Was genau ist damit gemeint?
Dr. Kromayer: Seit 2004 unterstützen wir Gründer in den Bereichen Deeptech und Life Sciences. Indem wir nicht nur Unternehmer und Investor, sondern gleichzeitig Ingenieur, Chemiker, Physiker oder Biologe sind, haben wir tiefen Einblick in die verschiedenen Segmente – schon früh konnten wir hier beobachten, dass insbesondere aus ihrer Verbindung immense Chancen erwachsen. Dieses mehrschichtige Phänomen bezeichnen wir als Konvergenz. So hat sich die Biotechnologie zu einer Querschnittstechnologie entwickelt, die mittlerweile in zahlreichen industriellen Prozessen Anwendung findet und wichtige Fortschritte ermöglicht. Beispiele sind die Nukleinsäuretechnologie, Bionik oder Werkstofftechnik. Umgekehrt erlauben künstliche Intelligenz, Supercomputing und Quantentechnologie, Internet der Dinge und Robotik speziell der medizinischen Forschung regelrechte Entwicklungssprünge. Auch ganz neue Geschäftsmodelle sind so möglich. Nach unserer Einschätzung wird insbesondere das Thema künstliche Intelligenz, verbunden mit den verwandten Bereichen Big Data-Analytik und maschinelles Lernen, alle Sektoren nachhaltig beeinflussen, in der Dimension vergleichbar mit der Erfindung des Internets.
VC Magazin: Welche Praxisbeispiele stehen für den Trend?
Dr. Kromayer: Das Portfolio von MIG umfasst bereits knapp ein Dutzend Beispiele für erfolgreiche Konvergenz. Das prominenteste ist sicher BioNTech, deren Potenzial wir früh antizipiert haben und die wir seit 2008 als Gründungsinvestor begleiten: Der Mainzer Entwickler von Immuntherapien war schon damals kein reines Biotechunternehmen, sondern hat von Anfang an auf Big Data gesetzt bei seiner Mission, für jeden schwer erkrankten Krebspatienten ein individualisiertes Medikament maßzuschneidern. Dafür sind DNA-Sequenzen von kranken und gesunden Zellen zu vergleichen, was ungeheure Datenmengen bedeutet, da es für Millionen Zellen gleichzeitig zu erfolgen hat. Hierfür wurden Supercomputer eingesetzt. Dazu kam Hilfe aus der Robotik – ein Fernziel von jährlich 50.000 individualisierten Dosen Wirkstoff ist ohne Automatisierung nicht erreichbar. Ohne technische Unterstützung funktioniert auch die komplexe Organisation spezieller Lieferketten nicht. Erst das Zusammenspiel dieser Disziplinen hat den großen Erfolg gebracht. Ein anderes vielversprechendes Beispiel in unserem Portfolio ist Temedica: Das Münchner Health-Start-up stellt Patienten mit komplexen chronischen Erkrankungen moderne digitale Begleiter zur Seite, die mit personalisierten Empfehlungen helfen. Die per App gesammelten echten Patientendaten werden mit Daten aus anderen Quellen wie zum Beispiel dem Pharmavertrieb oder webbasiertem Social Scraping ergänzt. Mithilfe einer Reihe von firmeneigenen und Open Source-Algorithmen generiert Temedica dann Erkenntnisse von der klinischen Entwicklung bis zur Kommerzialisierung. Das alles lässt sich mit „Digitalisierung“ längst nicht mehr bezeichnen. Hier geht es um künstliche Intelligenz, die medizinische Forschung schneller ans Ziel kommen lässt und lebensrettende Resultate zum Patienten bringt. Für Gründer bieten sich immense Chancen!
VC Magazin: Der MIG-Unternehmensslogan lautet „Aus Visionen Werte schaffen“ – wie sind Ihre Visionen für die nähere Zukunft?
Dr. Kromayer: Wir erwarten, dass sich die Konvergenzthemen weiter stark entwickeln werden, wovon insbesondere der Gesundheitsbereich profitieren wird. Aus der Schnittmenge von Deeptech und Life Sciences rechnen wir beispielsweise mit bahnbrechenden Erkenntnissen im Thema Mikrobiom: 70% unserer Immunzellen befinden sich im Darm – nur mit der Unterstützung von Big Data lassen sich hier Korrelationen und Kausalitäten aufklären, die eine Arzneimittelentwicklung für dysfunktionale Mikrobiome überhaupt ermöglichen. Auch die Gentherapie wird sich weiterentwickeln. Hier ist das Arsenal gezielt einsetzbarer Technologien bereits stark gewachsen, sodass der Eingriff ins Genom bei schweren Erkrankungen vertretbar wird. Den Trend der Longevity sehen wir eher kritisch: Zwar werden die Einflussfaktoren für ein langes und gesundes Leben allmählich klar, doch ist Langlebigkeit insofern multifaktoriell, als das eigene Verhalten einen großen Einfluss hat und die Suche nach anderen Ursachen erschwert. Vielversprechend ist dagegen der Bereich digitale Gesundheit mit verschiedenen Segmenten digitaler Therapeutika: Das reicht von appbasierter Unterstützung in bestimmten Therapiesituationen bis hin zu appbasierten Datenmodellen wie bei Temedica, die Pharmaforschung aus dem Labor in die echte Welt hineintragen.
VC Magazin: Können Sie uns ein Update zu den MIG-Fonds geben?
Dr. Kromayer: Aktuell ist der 17. MIG-Fonds im Fundraising. MIG Capital hat bisher über 650 Mio. EUR in rund 50 Unternehmen investiert. Die Ausschüttungen seit Gründung des ersten MIG-Fonds belaufen sich auf rund 1,1 Mrd. EUR. Das MIG-Beteiligungsportfolio besteht zurzeit aus 30 Unternehmen, die 2021 von den MIG-Fonds und ihren Co-Investoren Mittel mit einem Gesamtvolumen von rund 275 Mio. EUR Venture Capital erhielten (Vorjahr: 170 Mio. EUR).
VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch!
Zum Interviewpartner:
Dr. Matthias Kromayer ist Managing Partner der MIG Capital AG. Der promovierte Molekularbiologe leitet den Life Sciences-Bereich und hat unter anderem das Engagement der MIG bei BioNTech initiiert.