Bildnachweis: CVC Center of Excellence PwC Deutschland.
Innovation sichern auf der einen, Reputation und Branchenwissen gewinnen auf der anderen Seite: Vielerlei gute Gründe sprechen dafür, dass etablierte Konzerne und Start-ups häufiger als bisher zusammenfinden sollten. Derzeit allerdings nutzen Start-ups die Chancen, die strategische Investoren bieten, noch vergleichsweise selten.
In Deutschland sind derzeit deutlich mehr als 10.000 Start-ups angesiedelt, also Unternehmen, die weniger als zehn Jahre am Markt und/oder noch von den Gründern geführt sind. Sie schaffen innovative Produkte, Dienstleistungen, Geschäftsmodelle und/oder Technologien – und Arbeitsplätze für knapp eine halbe Millionen Menschen. Klar ist: Die jungen Unternehmen wollen schnell wachsen, also mehr Umsatz erzielen oder mehr Mitarbeiter beschäftigen, oder beides. Klar ist aber auch: Wer wachsen will, benötigt Kapital.
Corporate Venture Capital für Start-ups
Dieses bieten Start-ups immer häufiger Konzerne als strategische Investoren, als Corporate Venture Capitalist (CVC). Für sie kann es eine sinnvolle Ergänzung ihrer Innovationsstrategie sein, in junge, innovative Unternehmen zu investieren. Dadurch bieten sich grundsätzlich auch Start-ups in der Gründungs- oder Wachstumsphase zusätzliche Chancen. Verständlich ist daher, dass rund vier von zehn Start-ups in Deutschland gern mit strategischen Investoren zusammenarbeiten würden, wie der Deutsche Startup Monitor 2022 gezeigt hat. Tatsächlich greifen allerdings erst 15% der dafür untersuchten Start-ups auf Unternehmenskapital zurück – und schöpfen dementsprechend das Potenzial noch lange nicht aus. Einer der Hauptgründe für diese Diskrepanz dürfte sein, dass nur wenige Unternehmen die Fähigkeit haben, in Start-ups zu investieren, und darüber hinaus genau abwägen, in wie viele und in welche; die Nachfrage nach Corporate Investments übersteigt das Angebot. Aber auch Start-ups müssen beim Thema CVC bestimmte Risiken für sich bewerten. Welche sind das, und woran erkennen sie die strategischen Investoren, die bestmöglich zu ihnen passen?
Die drei häufigsten Kooperationsformen
Strategische Investoren beteiligen sich meist an Start-ups mit klassischen Minderheits-beteiligungen, also ähnlich wie Risikokapitalgeber, streben häufig jedoch eine deutlich intensivere Zusammenarbeit in Form von Piloten oder Proof of Concepts an. Start-ups können sich auf diese Weise unternehmerisch weiterentwickeln, während Konzerne von neuen Ideen und Lösungen profitieren. Eine zweite Option zur Kooperation zwischen Start-ups und anderen Unternehmen ist das sogenannte Venture-Client-Modell. Dabei investieren Konzerne nicht direkt in ein junges Unternehmen, sondern finanzieren gemeinsame Projekte mit dem Start-up oder kaufen gezielt seine Lösungen ein. Das kann sich für Start-ups lohnen, deren Projekte gut zu den bestehenden Aktivitäten des jeweiligen Konzerns passen. Den Konzernen fällt es mit diesem Modell allerdings mitunter schwer, sich über die Kooperation neue Geschäftsbereiche und langfristige Wettbewerbsvorteile zu sichern. Die dritte Form der Zusammenarbeit ist die traditionelle Akquisition. Sie birgt neben Chancen auch Risiken für beide Seiten: Start-ups sehen sich, zumindest bis zu einer bestimmten Größe, als unabhängig und wollen dies meist ungern aufgeben; Konzerne wiederum laufen Gefahr, die erworbenen Unternehmen zu früh und zu stark in ihre eigenen Unternehmensprozesse und ihre Unternehmenskultur einzubinden. Damit bringen sie sich womöglich um die Agilität und die Innovationskraft der Start-ups – also um das, weswegen sie sich ursprünglich für das Start-up interessiert haben. Der Market Share ist zwar gestärkt, der Mind Share jedoch nicht gesichert.
Die größten Risiken für Start-ups
Bei der Entscheidung für oder gegen die Zusammenarbeit mit einem Corporate Investor sollten Start-ups in jedem Einzelfall die folgenden Risiken für sich bewerten:
1. Lock-In-Effekte
Unternehmen haben ein berechtigtes Interesse, sich die Innovationskraft, die Erweiterung ihrer Geschäftsfelder und/oder neue Märkte über Start-ups zu sichern. Das kann für Start-ups attraktiv sein, um ihre Wachstumsambitionen schnell umzusetzen. Sie sollten sich allerdings davor hüten, (allzu große) Zugeständnisse bei der Exklusivität zu machen. Unbedarftheit in diesem Punkt kann fatale Folgen haben, wenn sich ein strategischer Investor beispielsweise eine Lösung exklusiv zu sichern versucht, die potenziell auch für seine unmittelbaren Wettbewerber interessant ist. Start-ups sollten hier unbedingt prüfen, ob sie mittel- bis langfristig ihre eigenen Chancen auf einen höheren Marktanteil zugunsten ihres strategischen Investors verringern.
2. Übermässige Abhängigkeit
Ein weiteres Risiko besteht darin, in zu großem Umfang vom CVC abhängig zu werden – nicht allein durch nachteilige Exklusivrechte, sondern insbesondere durch dessen eigene Krisenanfälligkeit. Wie resilient ist der strategische Investor selbst? Was geschieht mit der CVC-Einheit, wenn beispielsweise ein neuer CEO die Verantwortung übernimmt? Auch dies sollten Start-ups bei ihrer Entscheidung berücksichtigen.
3. Unerfahrene Corporate Investment-Teams
Start-ups sollten sich deshalb auch dringend die Erfahrung, den Track Record der Corporate Investment-Teams genau anschauen. Welche Start-ups, idealerweise in derselben Entwicklungsphase, hat die Corporate Investment-Einheit bereits begleitet? Mit welchem Erfolg? Was haben die Investmentmanager vorher gemacht? Stammen sie beispielsweise aus dem Konzern, aus einem Start-up oder haben sie auch außerhalb Investmenterfahrung gesammelt? Start-ups sollten sich diese und weitere Fragen schlüssig beantworten und hier ihre eigene kleine Due Diligence durchführen. Denn fest steht: Die erfolgreichsten Corporate Investment-Teams haben mehr als zehn Jahre Erfahrung, wie die PwC-Studie „Corporate Venture Capital Value Impact“ belegt.
4. Zu wenig Ressourcen für Zusatzaufwand
Einer der wesentlichen Vorteile, den CVCs Start-ups bieten, kann zugleich einer der größten Nachteile werden: der zusätzliche Aufwand, der durch die Kooperation selbst entsteht. Sicher – es ist sehr wertvoll, wenn Konzerne Start-ups mit ihren Geschäftspartnern und Kunden in Kontakt bringen. Schließlich braucht auch die beste Idee echte Kunden, um Marktreife zu erreichen und zu skalieren. Allerdings kann es auch passieren, dass die Start-up-Gründer den Aufwand für Roadshows, Messen, Kundengespräche und vieles mehr anfangs stark unterschätzen. Dies bindet möglicherweise zu viele zeitliche und personelle Ressourcen aufseiten des Start-ups – und behindert unter Umständen die Arbeit an der eigentlichen Lösung oder dem Produkt.
Vom Mismatch zum Win-Win
Die gute Nachricht lautet: Mit sorgfältiger Prüfung lassen sich die genannten Risiken minimieren. Dann können durch das strategische Investment Konzerne und Start-ups gleichermaßen profitieren.
Unternehmen
- erkunden mit Start-ups unter anderem neue Märkte,
Technologien und Geschäftsfelder, - reduzieren ihre Forschungs- und Entwicklungskosten und
- entwickeln neue Partnerschaften und Joint Ventures.
Start-ups
- erhalten Zugang insbesondere zu tiefem technologischem
und Branchenwissen, - profitieren von der Reputation etablierter Konzerne,
- erhalten wichtiges Kapital, um ihre Wachstumspläne zu
verwirklichen, und - bekommen durch das investierende Unternehmen wichtigen
Zugang zu etablierten Vertriebskanälen und Märkten.
Fazit
Es wäre unrealistisch, zu erwarten, dass bei jeder Zusammenarbeit zwischen Corporate Investors und Start-ups stets alle Risiken ausgeklammert sind und zugleich beide Seiten alle Vorteile jederzeit vollumfänglich für sich nutzen können. Entscheidend ist es, passend zur individuellen Ausgangslage und den jeweiligen Zielen den strategischen Investor zu finden, der die eigene Vision und das eigene Wachstum bestmöglich unterstützt – im Idealfall so, dass dies beiden Seiten mittel- und langfristig optimal nützt.
Über den Autor:
Serge Reh ist Co-Lead CVC Center of Excellence bei PwC Deutschland mit acht Jahren Erfahrungen in den Bereichen Innovation, Digitalisierung und der Vernetzung von Familienunternehmen mit Start-ups.