Bildnachweis: Ventech VC.
VC Magazin: Ventech ist mit Sitzen in Deutschland, Frankreich, Finnland und China vertreten. Wie bewerten Sie das krisengeplagte europäische Umfeld für Frühphasenfinanzierungen?
Wirries: Die Corona-Pandemie und das inflationäre Umfeld haben zu wirtschaftlichen Herausforderungen für Start-ups und Investoren in der europäischen Frühphasen-investitionslandschaft geführt. Trotz dieser Herausforderungen bleibt die Zukunft der Early-Stage-investitionen in Europa optimistisch. Als Antwort auf diese Herausforderungen werden innovative Start-ups entstehen. Investoren, die sich bisher auf konsumorientierte Unternehmen ohne wirtschaftliche Nachhaltigkeit konzentriert haben, werden in den nächsten Jahren wahrscheinlich erhebliche Verluste erleiden. Das kann als gesunde Korrektur der frei verfügbaren Barmittel in einem zinsfreien Umfeld angesehen werden. Ebenso wie die Korrektur des kostengünstigen Kapitals, die zu einer Blase in bestimmten Sektoren führte, um wirtschaftlich nicht nachhaltige Unternehmen auszusortieren und verantwortungsvolle Investitionspraktiken zu fördern. Die Anleger konzentrieren sich vermehrt auf Unternehmen mit starken Fundamentaldaten, tragfähigen Geschäftsmodellen und klaren Rentabilitätsaussichten. Ich bin davon überzeugt, dass diese Umstände tatsächlich widerstandsfähigere Unternehmer und Start-ups fördern. Außerdem gehe ich davon aus, dass der nächste globale Tech-Champion aus Europa kommen wird. Deutschland hat sich nach Großbritannien zu einem der bedeutendsten Technologiezentren in Europa entwickelt. Frankreich holt ebenfalls schnell auf, mit einem bemerkenswerten Anstieg der Zahl der Einhörner und Technologieführer, die durch die French Tech-Initiative der Regierung entstehen.
VC Magazin: Welche Trends spüren Sie im chinesischen Frühphasen-Markt?
Wirries: In der Zeit nach der Pandemie ist es wichtig, China neu kennenzulernen und das Vertrauen von Verbrauchern und Investoren wiederherzustellen. Daher setzen sich die lokalen Regierungen dafür ein, Investitionen anzuziehen und Start-ups bei der Etablierung zu unterstützen. Neben der wachsenden Mittelschicht von 700 Millionen Menschen und aufstrebenden Lifestyle- und Technologiemarken, gibt es noch einige andere erwähnenswerte Trends:
Der chinesische Early-Stage-Markt hat einen Investitionsschub in Bereichen wie künstliche Intelligenz und erneuerbare Energien erlebt, der durch den Druck der Regierung auf die Wettbewerbsfähigkeit und die Unabhängigkeit einheimischer Marken ausgelöst wurde.
Der Markt ist dynamisch und kleine chinesische Unternehmen sind als Joint-Venture-Partner immer attraktiver, insbesondere in den Bereichen Konsumgüter und Technologie. Im Zuge des Wachstums und der Urbanisation des Landes nehmen auch Neugründungen zu, die sich mit Umweltfragen und der sozialen Verantwortung von Unternehmen befassen, was ein größeres Bewusstsein für diese Themen widerspiegelt.
VC Magazin: Welche Rolle spielt Impact Investing im chinesischen Markt?
Wirries: China ist nach wie vor das führende industrielle Kraftzentrum der Welt. Obwohl Impact-Investing im Vergleich zu Europa noch in den Kinderschuhen steckt, stellen wir ein größeres Bewusstsein für Themen wie Luftverschmutzung, Wasserknappheit und soziale Verantwortung fest. So hat beispielsweise der chinesische Markt für Elektrofahrzeuge in den letzten Jahren ein beeindruckendes Wachstum verzeichnet, und wir sehen eine steigende Zahl neuer energiebezogener Investitionen. Dieser Investitionsansatz zielt nicht nur auf die Erzielung finanzieller Erträge, sondern auch auf positive soziale oder ökologische Ergebnisse ab. Viele Organisationen, wie die Narada Foundation und das 2022 gegründete China Impact Investing Network (CIIN), setzen sich für diese Form des Investments ein. Einem Bericht des CIIN zufolge ist der Markt für Impact-Investing in China von 4,5 Milliarden US-Dollar im Jahr 2015 auf 8,8 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019 gewachsen. Dieser Trend wird den Übergang zu einer qualitativ hochwertigen Wirtschaft unterstützen. Darüber hinaus strebt die chinesische Regierung an, den Höhepunkt der Kohlenstoffemissionen bis 2030 zu erreichen und bis 2060 kohlenstoffneutral zu werden. Um dies zu erreichen, sehen wir die Notwendigkeit für mehr sektorübergreifende Kooperationen. Impact-Sektoren werden in den kommenden Jahren also immer wichtiger werden.
VC Magazin: Mit Blick auf dieses Jahr: Welche Branchen sind in Europa spannend für Venture Capitalisten, welche Segmente werden es eher schwer haben, Kapital einzuwerben?
Wirries: Meiner Meinung nach gibt es bei dieser Frage klare Gewinner und Verlierer. Jede Krise führt zu einer höheren Nachfrage nach neuen Lösungen als Folge der sich ändernden Rahmenbedingungen und bestimmter Trends. Es entstehen neue Tech-Startups, die Unternehmen dabei helfen, ihren CO₂-Fußabdruck zu verfolgen, oder B2B-Software-Startups, die sich auf Betrieb, Cybersicherheit, Impact und Marketing konzentrieren, um die Kundenerfahrung zu verbessern.
Beispiele hierfür sind Plattformen für Supply-Chain-Intelligenz, wie wir im Rahmen von COVID-19 gesehen haben (z. B. Prewave.ai), europäisches Halbleiter-IP, das von geopolitischen Faktoren angetrieben wird (z. B. Codasip), und verbraucherorientierte Trends wie die Kreativwirtschaft, die ein neues Arbeitsmodell darstellt (z. B. Passion.io).
Im Gegensatz dazu sind finanziell nicht tragfähige Geschäftsmodelle, die auf langfristige Zuschüsse von Investoren angewiesen sind, anstatt kontinuierlich gesunde Margen zu erzielen, in Ungnade gefallen. Stattdessen suchen Investoren zunehmend nach Unternehmen mit soliden finanziellen Fundamenten. Auf diese Weise können sie sicherstellen, dass ihre Investitionen gut positioniert sind, um langfristig nachhaltige Renditen zu erwirtschaften, und gleichzeitig das Wachstum und den Erfolg innovativer Start-ups und Unternehmer unterstützen.
VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.
Mehr Insights zu dem Thema erhalten Sie auf der 0100 Conference Europe in Amsterdam am 28.-30.03.2023. Stephan Wirries wird dabei unter anderem als Panelist sein Know-how zum Thema Frühphaseninvestments teilen. Mehr Informationen zum Event finden Sie hier.
Zum Interviewpartner:
Stephan Wirries ist seit 2012 Partner bei Ventech und verfügt über mehr als ein Jahrzehnt an Risikokapital Erfahrung. Von Paris aus treibt er Ventech-Investitionen vor allem in der DACH-Region voran. Seine breite Expertise ermöglicht es ihm, verschiedene Themen zu erforschen, von der Anwendung neuer Geschäftsmodelle im B2B- und B2C-Bereich bis hin zu brandneuen Softwareanwendungen.