Bildnachweis: Baywa r.e. Energy Ventures, blue8, 27pilots, Trumpf Venture.
Um Innovationen zu forcieren, kooperieren immer mehr etablierte Unternehmen
mit Start-ups, häufig in Verbindung mit einem Investment. Doch diese bergen Risiken, die nicht jedes Unternehmen managen kann. Eine zunehmend beliebte Alternative ist Venture Clienting: Unternehmen werden in der Frühphase Kunde, erhalten Zugang zu Innovationen und können vom Mindset der Gründer lernen. Im Vergleich zum Investment senkt der Ansatz die Eintrittsbarrieren und bietet mehr Ansatzpunkte für die Zusammenarbeit.
Die Trumpf-Gruppe mit Hauptsitz in Stuttgart ist ein weltweit führender Anbieter von Werkzeugmaschinen und Lasertechnologie. Zum Unternehmen zählen mehr als 70 operative Tochtergesellschaften, darunter Trumpf Venture. „Wir sind aufgestellt wie ein institutioneller Fonds“, sagt Geschäftsführer Dr. Dieter Kraft, „mit weitreichenden Freiheiten bei unseren Investments.“ Ein strategischer Buyin ist möglich, aber nicht Ziel der Investments. Im Vordergrund steht die Zusammenarbeit zwischen Corporate und Start-up. „Trumpf ist stark bei interner Innovation und im Wissensmanagement, Start-ups dagegen sind schneller und expansiver“, so Kraft weiter. Die größte Chance für beide Seiten liege darin, vom anderen zu lernen und den Innovationstrieb zu vereinen. So hat Trumpf mittlerweile Start-up-Ansätze in der Organisation verinnerlicht und testet neue Geschäftsmodelle. Kürzlich wurde zum Beispiel zusammen mit Munich Re ein neues Versicherungsmodell für Werkzeugmaschinen aus der Taufe gehoben. Auch die Kooperationen mit Start-ups tragen Früchte. Zusammen mit dem dänischen Start-up RSP Systems etwa entwickelt Trumpf Photonic Components ein Gerät zur non-invasiven Zuckermessung, welches Diabetespatienten das Leben erleichtern soll. „Mit unserem Laser kann RSP ein besonders nutzerfreundliches Gerät anbieten, und Trumpf erschließt einen neuen Absatzkanal“, fasst Kraft die Synergien zusammen. Doch eine erfolgreiche Zusammenarbeit zu etablieren brauche Zeit. „Das sind lange Projekte und Prozesse, die moderiert werden müssen“, erklärt Kraft. Trumpf Ventures übernehme in diesem Zusammenhang häufig die Rolle des Moderators und Mediators.
Strategische Interessen bergen Gefahren
Ulrich Seitz, Managing Director von BayWa r.e. Energy Ventures, steht Venture Clienting kritisch gegenüber. „Start-ups und Corporates können zusammen wegweisende Innovationen erschaffen, doch Venture Capitalisten brauchen möglichst attraktive Exit-Kanäle“, sagt er und betont, Corporates hätten häufig ein strategisches Interesse an Start-ups, was schnell zu Abhängigkeiten führe. „Es ist schwer, die Beziehung so zu gestalten, dass das Start-up ein attraktives Target für Investoren bleibt; hier braucht man Fingerspitzengefühl, viel Sachverstand und Erfahrung.“ Profitable Exits seien nur möglich, wenn ein Corporate loslassen könne oder selbst zu Marktpreisen kaufe. Riskant sei zum Beispiel, wenn ein Corporate und ein Start-up gemeinsam ein Produkt entwickelten. „Eine Gefahr ist, dass die meiste Manpower des Start-ups in dieses Produkt fließt, und andere Marktchancen werden vergeben“, so Seitz weiter. Es entstehe eine Scheinsicherheit. Um die Früchte das Engagements zu sichern, wünschten sich Corporates oft eine gewisse Exklusivität. Dies könne beispielsweise die Suche nach Wachstumskapital erschweren. Insbesondere wenn der Corporate selbst investiere, verschärfe sich die Spirale der Abhängigkeit. „Wenn das Start-up nicht wie erhofft liefert, erlischt das strategische Interesse und der Corporate sitzt auf einer unverkäuflichen Beteiligung“, erklärt der Managing Director. In solchen Fällen führe Venture Clienting in eine unternehmerische Sackgasse, und zwar mit finanziellen Verlusten. „Das sind Risiken, die Start-ups und Corporates im Blick haben sollten.“ Darum spielt Venture Clienting bei Baywa r.e. Energy Ventures eine untergeordnete Rolle. „Wir haben zwar Start-ups im Portfolio, die eindrucksvoll beweisen, dass das Modell sehr erfolgreich sein kann“, sagt Seitz und ergänzt, dass jedoch kein Stratege gerne an den direkten Wettbewerber verkaufe, wenn er sich seiner Kundenbeziehung zum Start-up nicht sicher sei. „Darum sollten Venture Clients mit strategischem Interesse im Falle eines Investments kein Single Party Veto erhalten.“ Auch Kraft sieht die Gefahr, dass das Start-up am Haken des Corporate hängt und von der eigentlichen Mission abkommt. „Darum achten wir sehr auf unsere Co-Investoren“, berichtet Kraft. „Wir wollen starke Exits, und wir sehen das Start-up auch nicht als verlängerte Werkbank.“ Für den Corporate, ob als Wagniskapitalgeber oder Client, müsse der Erfolg des Start-ups immer Priorität haben.
Attraktiv in Wachstumsmärkten mit komplexen Technologien
„Bei Corporates und Mittelständlern sehen wir oft, dass sie mit Startups aus Bereichen wie SaaS und Deeptech kooperieren“, berichtet Marc Preusche, Founding Partner bei blue8, einem auf Klimalösungen spezialisierten operativen Investor. blue8 hilft Mittelständlern und Start-ups aus dem Bereich erneuerbare Energien und Energieeffizienz, ihren Impact zu steigern. „Gemeinsam gehen wir Herausforderungen wie Fachkräftemangel, Supply Chain-Probleme, Finanzierungslücken, Strukturierung und Vertrieb an und schaffen Synergien in unserem Portfolio“, so Preusche. blue8 investiert Deal by Deal, zusammen mit Co-Investoren wie Family Offices. Mitunter werden Verticals gegründet, um bestimmte Kundengruppen bedienen zu können. „Dazu bestimmen wir die essenziellen Teile der Wertschöpfungskette und fassen sie in einer Gruppe zusammen“, sagt Preusche. Der Fokus liegt auf den größten Verbrauchern von Energie, etwa Immobilien, und ihrer Dekarbonisierung. blue8 arbeitet selbst intensiv mit Start-ups zusammen, etwa in Bereichen wie Marketing und Vertrieb oder künstlicher Intelligenz. „Dadurch lernen wir kulturell, technologisch und inhaltlich“, erklärt Preusche. Ebenso kooperieren Start-ups im Portfolio mit Corporates und Mittelständlern. Dabei geht es typischerweise um Geschwindigkeit sowie um Themen wie Kunden- und Lösungsorientierung. Das Joint Venture ClimaCatalyst zum Beispiel, das blue8 zusammen mit der AI Analytics-Plattform Spark Beyond ins Leben gerufen hat, hilft Corporates und Investoren, schneller zu dekarbonisieren. ClimaCatalyst liefert dazu die Insights und erstellt etwa Buy and Build Konstrukte, die Corporates helfen, den Energieverbrauch zu reduzieren. „Venture Clienting ist besonders attraktiv in Wachstumsmärkten und dort, wo komplexe Technologien eingesetzt werden, die spezielle Fähigkeiten erfordern“, so Preusche.
BMW als Vorreiter in Venture Clienting-Strategien
Gregor Gimmy, Gründer von 27pilots, ist ein Vordenker und Pionier des Venture Clienting. Er war Unternehmer und Strategieberater im Silicon Valley, bevor er ab 2014 bei BMW die Startup Garage aufbaute. Dort entwickelte er den Ansatz einer im Unternehmen verankerten Venture Client-Einheit. „Das Modell des Corporate Venture Capital ist limitiert durch die Größe des Fonds und nicht skalierbar“, sagt der Gründer und fügt hinzu: „Wir wollten von möglichst vielen Start-ups strategisch profitieren, schneller und mit geringerem Risiko als ein Corporate Venture Capitalist.“ Neben dem Kerngeschäft, zum Beispiel in der Batterietechnik, sollte der Konzern auch in Bereichen wie Operations und Verwaltung lernen und entlang der gesamten Wertschöpfungskette explorativ Lösungen erkunden. Start-up-Technologien sollten langfristig via Partnerschaft und M&A integriert werden. „Um die strategischen Ziele zu erreichen, benötigen Unternehmen ein auf Venture Clienting spezialisiertes Team, Prozesse, Technologien und Daten“, weiß Gimmy. Dazu zählen etwa entsprechende Definitionen, eine Start-up-Datenbank, Bewertungsmethoden und KPIs. Bei BMW schuf Gimmy ein Modell, um Venture Clienting im gesamten Konzern skalierbar auszurollen. Das Herzstück ist eine eigene Abteilung, welche Business Units und andere Abteilungen in der Zusammenarbeit mit Start-ups unterstützt, „sozusagen als Support für den Wagniskunden“, so Gimmy. Das Ziel sei nicht, das bestbewertete Start-up zu finden, sondern einzigartige Technologien von Gründerteams als externe Ressource schnell und effektiv zu transferieren. „So kann man mehr Start-up-Technologien nutzen und einen höheren Impact auf Umsatz und Profitabilität des Konzerns erzielen, der Zugang ist für beide Seiten einfacher, die Qualität der Ergebnisse steigt.“ Zudem ließen sich die Kosten für ein Pilotprojekt um den Faktor 20 bis 30 senken. Das macht Venture Clienting auch für Unternehmen attraktiv, die keine Corporate Venture Capital-Fonds auflegen können oder wollen. 2018 gründete Gimmy 27pilots als von BMW unabhängige Firma, die spezielle Dienstleistungen sowie Technologie- und Datenlösungen entwickelt und Unternehmen beim Aufbau und Betrieb von Venture Client-Einheiten unterstützt. Neben BMW zählen heute auch Unternehmen wie Bosch, Siemens und Airbus zu den Kunden. Im Januar 2023 wurde 27pilots Teil der Deloitte-Gruppe, sodass Gimmy nun mit seinem Team weltweit Konzerne berät.
Erfolgsfaktor Wertschätzung
Für Start-ups und Corporates kann Venture Clienting also eine attraktive Alternative, in jedem Fall eine Ergänzung zu Beteiligungen darstellen. „Man muss lernen, sich aufeinander einzustellen, und Lösungen finden, um miteinander zu arbeiten“, sagt Preusche. Damit sich Projekte gut entwickeln und beide Seiten profitieren können, brauche es in jedem Fall passende Gesprächspartner, die sich verstehen und austauschen, so Kraft: „Die Basis für den gemeinsamen Erfolg ist die gegenseitige Wertschätzung.“