Bildnachweis: Blättchen Financial Advisory, Bryan, Garnier & Co., Osborne Clarke, High-Tech Gründerfonds.
Seit der Rekordjagd 2021 haben Zinswende, Rezessionssorgen und geopolitische Unsicherheiten den Wagniskapitalmarkt auch in Deutschland gedämpft. Insbesondere das Exitumfeld hat sich verändert: Die hohen Start-up-Bewertungen von einst sind Geschichte, Transaktionsanzahl und -volumina haben sich verringert, das IPO-Fenster gilt aktuell als geschlossen.
Immerhin trifft diese Krise auf eine gut aufgestellte Beteiligungsbranche: Die Assetklasse Wagniskapital ist inzwischen etabliert, auch hatten diverse Fonds gerade erfolgreich große Mengen an Kapital eingeworben. So konnten in Deutschland im Jahr 2022 laut CB Insights insgesamt rund 9,4 Mrd. EUR Venture Capital in Start-ups investiert werden – zwar deutlich weniger als im Ausnahmejahr 2021 (15 Mrd. EUR), aber mehr als doppelt so viel wie 2020. Die Erwartung für das laufende Jahr bleibt zurückhaltend, wie die Prognosen der KfW zeigen: Beteiligungsgesellschaften würden sich vor allem auf das Management des bestehenden Portfolios und neue Beteiligungen konzentrieren, Fundraising und Exits dagegen weniger im Fokus stehen. Grund dafür ist die ungewisse Entwicklung der wirtschaftlichen Lage. Gerade erst bekräftigt hat die Europäische Zentralbank ihren Kurs der stetigen Leitzinserhöhung zur Eindämmung der Inflation. Ausmaß und Dauer eines konjunkturellen Abschwungs sind schwer einzuschätzen – betrug das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands 2022 noch rund 3,87 Bio. EUR (+1,9%), rechnet KfW Research für das Gesamtjahr 2023 mit einer geringfügigen Schrumpfung um 0,3% und erst 2024 wieder mit einer positiven Wirtschaftsleistung von 1%. Sicher scheint dagegen, dass Russlands Krieg gegen die Ukraine und damit die Auswirkungen auf Lieferketten, Rohstoffverfügbarkeiten und Energiepreise noch andauern werden. All diese Faktoren zusammen führen – nicht nur in Deutschland – zu großen Unsicherheiten insbesondere für innovative, stark zinsabhängige Wachstumsunternehmen mit ihrem meist weit in der Zukunft anfallenden Terminal Value. Das globale Investoreninteresse ist entsprechend gedämpft. Trotzdem geht noch etwas am deutschen Exitmarkt.
Hohe Multiples möglich bei strategisch motivierten Käufen
„2020 haben Private Equity-Käufer häufig mehr geboten als strategische Corporates. Heute ist das umgekehrt: Private Equity-Unternehmen agieren aktuell wegen der verschlechterten Möglichkeiten einer Fremdkapitalisierung selektiver, All Equity-Transaktionen überwiegen und Strategen – vom Mittelständler bis zum DAX-Konzern – sind eher die Käufer der Stunde, wenn sie in ihrem Angebot strategische Lücken haben“, berichtet Falk Müller-Veerse, Partner der europäischen Investment-bank Bryan, Garnier & Co., die unter anderem BioNTech beim IPO in den USA begleitete und im vergangenen Mai den Wasserstoffproduzenten Lhyfe an die Euronext brachte. „Gezielt zugekauft wird, wenn das Target einen speziellen strategischen Mehrwert besitzt. Dabei sind auch heute noch recht hohe Multiples möglich.“ Daneben sind vereinzelt spätphasige Wachstums-unternehmen aktiv, die Wettbewerber aufkaufen und dadurch Umsätze vergrößern und neue Märkte erschließen. Allerdings erwarten Käufer laut einer Studie des Beratungshauses PwC eine gegenüber 2021 deutlich erhöhte Internal Rate of Return, im Early Stage-Segment durchschnittlich 36% (+6%), bei Growth 32% (+9%). Zudem stiegen die erwarteten Kapital-multiplikatoren für Exits und Trade Sales an: Sie lagen im Jahr 2022 angabengemäß zwischen 3,0x und 6,0x und haben im Vergleich zum Vorjahr über alle Investitionsphasen hinweg durchschnittlich um 0,2x zugelegt. Wenig überraschend ist, dass sich bei gegebenen Markt-unsicherheiten Transaktionsanzahl und -volumina gegenüber 2021 verringert haben – im derzeitigen Käufermarkt werden Finanzierungsrunden und Exits laut PwC vielfach verschoben, Portfolios stärker diversifiziert. „Abwarten muss nicht die richtige Strategie sein“, warnt Investmentbanker Müller-Veerse. „In jedem Fall ist aber Konsolidierung das Gebot der Stunde. Trotz aller Unwägbarkeiten werden einige Exits stattfinden. Wichtig ist, sich hierfür gut aufzustellen und zu einer Einschätzung des eigenen Königswegs zu kommen. Wer im Unternehmen seine Hausaufgaben gemacht hat und börsenfertig ist, ist sicher auch ein aussichtsreicher Kandidat für einen lohnenden Trade Sale!“
Bewertungseinbruch trifft insbesondere Later Stage-Segment
Einig sind sich die Experten, dass der Megatrend Digitalisierung die aktuelle konjunkturell und geopolitisch begründete Marktdelle überflügeln wird. „Krise ist kein Dauerzustand! Der technologische Fortschritt gewinnt weiter an Geschwindigkeit und eröffnet über alle Branchen hinweg immense Chancen. Es ist deshalb weniger die Frage, ob, sondern wann die Märkte wieder anspringen“, erklärt Rechtsanwalt Robin Eyben, in Venture Capital- und M&A-Transaktionen erfahrener Partner der Kanzlei Osborne Clarke. „Aktuell sind sowohl das Private Equity-Segment wie auch der Börsenmarkt eher abwartend. Für eine deutliche Belebung brauchen sie die Stabilisierung bei Zinsen und Inflation. Währenddessen zieht der deutsche Exitmarkt neben einigen inländischen Interessenten strategische Käufer aus den USA und dem europäischen Ausland an. Liquidität ist vorhanden. Die hohen Bewertungen von einst sind allerdings Geschichte – hier sind Korrekturen von teilweise hohen zweistelligen Prozentsätzen zu erkennen.“ Während das die Frühphase mit ihrem noch entfernten Exit-Horizont weniger trifft, spüren Unternehmen im Later Stage-Segment die Veränderung stark. Eyben: „Im Bestreben, die alten Bewertungen über die Zeit zu retten, kommen aktuell vielfach stärkere Kostendisziplin, Revenue-based Financing und Brückendarlehen zum Einsatz. Daneben haben zahlreiche Venture Capitalisten ihre besten Portfoliounternehmen Anfang des neuen Jahres gezielt gestärkt, indem sie – häufig gegen Einräumung spezieller Investorenrechte – Extension Rounds organisierten, an denen sie pro rata partizipierten. Von einer schnellen Rückkehr auf das alte Bewertungsniveau gehen wir aber nicht aus.“ Inhaltlich sieht Eyben das bestehende Kaufinteresse breit gefächert: „Nachhaltige Lösungen im Bereich ESG sind gefragt. Biotech, Pharma und Healthtech bleiben interessant. Daneben wird künstliche Intelligenz als Querschnittstechnologie immer stärker.“ Jüngstes Beispiel: Der von der Kanzlei begleitete Verkauf von 47% des Berliner KI-Start-ups Smart Steel Technologies an den Technologiekonzern Heraeus. Entsprechend zuversichtlich blickt Eyben nach vorn: „Wir rechnen fest mit einer positiven Entwicklung der Märkte in den Segmenten M&A, Private Equity und Venture Capital im Vergleich zu 2022. Fest steht auch: Für Start-ups mit Substanz und Top-Technologie wird es immer Exitchancen geben.“
Rückkehr der Crossover-Investoren wäre wichtiges Signal
Düsterer wirkt die Lage mit Blick auf das Börsengeschehen des vergangenen Jahres, stellt doch der Börsengang insbesondere für Techunternehmen den attraktivsten langfristigen Finanzierungs- und Exitkanal dar. Per ultimo 2022 schlossen sämtliche für den deutschen Risikokapitalmarkt wichtigen Aktienleitindizes im Minus (DAX: -12,3%; TecDAX: -25,5%; Dow Jones: -8,8%; NASDAQ 100: -33%). Das IPO der Porsche AG machte mit 9 Mrd. EUR nahezu vollständig den deutschen Emissionswert aus. Wenig ermutigend wirkt auch, dass die Hälfte der insgesamt zehn deutschen Neuzugänge (drei IPOs und fünf Listings an deutschen Börsen, zwei Erstnotierungen an Auslandsbörsen) zum Jahresende 2022 eine negative Perfomance auswiesen. „Global ist der IPO-Markt um 70% eingebrochen: Nach einem Emissionsvolumen in Höhe von 604 Mrd. USD anno 2021 wurden 2022 nur 177 Mrd. USD erreicht – seither hat sich noch nicht sehr viel getan“, bringt Uwe Nespethal, Partner der Blättchen Financial Advisory GmbH, die Lage auf den Punkt. Zahlreiche Eigentümer und Manager hat er schon bei finanzstrategischen und kapitalmarktbezogenen Fragen einschließlich Börsengang unterstützt. „Sofern sich der aktuelle Aufschwung der Aktienkurse fortsetzt und sich die Marktunsicherheiten abmildern, ist 2023 mit einer leichten Belebung der Märkte zu rechnen. Noch gilt das IPO-Fenster in Deutschland als geschlossen, dabei ist laut Aussagen zahlreicher Investmentbanken die Kandidaten-Pipeline gut gefüllt.“ Immerhin einem von ihnen, dem Webhosting- und Cloudanbieter Ionos, ist gerade als einem der ersten in Europa im neuen Jahr der Sprung an die Frankfurter Börse gelungen. Abzuwarten bleibt die Entwicklung der Aktie, die seither unter dem Ausgabekurs notiert. Kapitalmarktexperte Nespethal hofft derweil auf die rasche Rückkehr internationaler Cross-over-Investoren wie BlackRock, Wellington und Fidelity. Ihre Erstinvestitionen in spätphasige Wachstums-unternehmen sind häufig eine der letzten Runden auf dem privaten Markt, gefolgt von der Unterstützung des Unternehmens bei der Börsennotierung und nach dem Börsengang. So sind sie als Ankerinvestoren in den vergangenen Jahren zu wichtigen Akteuren im Techökosystem aufgestiegen: Laut einer Studie der Deutschen Börse AG wurden fast 25% der jüngsten europäischen Börsengänge im Technologiebereich mit ihrer globalen Erfahrung und ihrem Netzwerk unterstützt. Diese Unternehmen gingen 50% schneller an die Börse, 2,3-mal häufiger und zu einer 148% höheren Bewertung als andere. Nespethal: „Die Beteiligung von Cross-over-Investoren an Venture Capital-Transaktionen stieg bis 2021 auf ein Allzeithoch von über 60 Mrd. USD weltweit und über 6 Mrd. USD in Europa. Dies entspricht 13% der weltweiten und 8% der europäischen Venture Capital-Investitionen. 2022 folgte der Einbruch dieser Werte, global um knapp 70%, für Europa um etwa ein Drittel. Eine Umkehr dieser Entwicklung wäre ein wichtiges Signal an die Märkte!“
Vertrauen in Innovationskraft deutscher Start-ups ist groß
Mit der Brille des Seed-Investors betrachtet Dr. Alex von Frankenberg vom High-Tech Gründerfonds (HTGF) das Geschehen: „Unser Portfolio umfasst aktuell 332 Start-ups, da sind auch exitreife Kandidaten, für die wir Lösungen suchen. Selbst wenn aber 2023 diesbezüglich ein schlechtes Jahr werden sollte, bleiben wir optimistisch: Nicht nur haben wir in den vergangenen beiden Jahren überdurchschnittlich gut verkauft und insgesamt 350 Mio. EUR an Investoren ausschütten können, auch haben wir immer wieder solche Phasen erlebt. Wir wissen, dass sie vergehen. Das Ausmaß und die globale Natur weiterer Innovationen, die bereits in den Startlöchern stehen, werden den Technologiesektor wieder boomen lassen, sobald sich die Geschäfts- und Kapitalmarktzyklen drehen.“ Dabei rechnet auch er nicht mit einer zügigen Rückkehr zu Nullzins und niedriger Inflation: „Für Start-ups bedeutet das, dass sie ihre Geschäftsmodelle mit Blick auf den Zielkonflikt Profitabilität versus Wachstum künftig sehr sensibel ausbalancieren müssen. Wir selbst konzentrieren uns sowohl auf die Betreuung des Bestandsportfolios als auch auf Neuinvestitionen.“ Mit dem Final Closing der vierten Fondsgeneration stehen dafür gerade frische 494 Mio. EUR bereit. Frankenberg: „Das Rekordvolumen des HTGF IV sowie die hohe Anzahl am Fonds beteiligter Privatinvestoren belegen das Vertrauen in die Innovationskraft deutscher Start-ups. Lassen wir uns von den Turbulenzen nicht ablenken. In schwierigen Zeiten sind die besten Unternehmen entstanden!“