Astronomische Bewertungen endgültig vorbei

Quo vadis Fintech?

Julian Ostertag, Drake Star Partners & Peter Möllmann, PXR & iBanFirst
Julian Ostertag, Drake Star Partners & Peter Möllmann, PXR & iBanFirst

In der Finanzwelt sind gute Nachrichten derzeit Mangelware. Dachten viele nach dem Skandal um die Kryptobank FTX, dass nun etwas Ruhe einkehrt, so zeigen die Silicon Valley Bank, die Signature Bank und Credit Suisse, dass es auch im klassischen Bankensektor zumindest punktuell kriselt. Die Börse reagierte heftig – und so lösten sich weltweit 465 Mrd. USD Unternehmenswerte binnen zweier Tage in Luft auf.

Seit einiger Zeit ist klar, dass der Hype um Fintech-Startups nachgelassen hat. „Die Suppe ist nicht kalt – eher lauwarm. Es kommt auch darauf an, welchen Sektor man sich im breiten Fintechumfeld anschaut. Eines ist aber unstrittig: Die Zeit der astronomischen Bewertungen ist endgültig vorbei“, sagt ein Vertreter von iBanFirst. Investoren würden wieder vermehrt darauf achten, ob die Unternehmen auch wirklich langfristig Geld verdienen können. Ähnlich sieht das auch Dr. Peter Möllmann, Rechtsanwalt und Gründer der Kanzlei PXR: „Auch Fintechunternehmen müssen umschwenken von Wachstum um jeden Preis hin zur Ausbildung profitabler Geschäftsmodelle. Insofern ist es kein ‚Hype‘, der hier zu Ende geht. Vielmehr stellt der Finanzierungsmarkt im neuen Zinsumfeld andere Anforderungen: weniger Wachstum, mehr Value. Es wird sich jetzt zeigen, welche Geschäftsmodelle wirklich langfristig tragfähig sind und welche Geschäftsmodelle nur mit Geld, das im Nullzinsumfeld praktisch unbegrenzt zur Verfügung stand, alimentiert wurden. Ich sehe das als eine gesunde Marktbereinigung.“ Gleichwohl habe sich das Marktumfeld in so kurzer Zeit verändert, dass sich allein daraus eine besondere Herausforderung ergeben würde. Erfolgsmeldungen gibt es dennoch: Erst kürzlich sammelte Raisin in seiner Series E-Finanzierung 60 Mio. EUR ein. Damit kämpft sich das Fintech wieder zurück auf eine Bewertung von 1 Mrd. EUR – Unicorn-Status. PXR hat die Series E begleitet. „Das Beispiel Raisin zeigt, dass es profitablen Wachstums-unternehmen im Fintechbereich trotz angespannter Marktlage gelingt, signifikante Summen Eigenkapital einzusammeln, und das auf einem hohen Bewertungsniveau“, so Möllmann.

Bewertungen geraten unter Druck

Herausragende Gründerteams hätten laut Möllmann ohnehin schon immer unter der Prämisse gearbeitet, dass sich am Ende ein Geschäftsmodell nur dann durchsetzt, wenn es langfristig profitabel ist. Diese Gründerteams könnten ihre Unternehmen entsprechend ausrichten. „Ob dies noch zu den hohen Bewertungen der letzten Jahre möglich ist, ist eine andere Frage. Wahrscheinlich wird sich auf der Bewertungsseite tatsächlich eine gewisse Normalisierung einstellen“, prognostiziert der PXR-Anwalt. Trotzdem besteht auch nach Elser derzeit kein Grund für eine übertriebene Krisenstimmung: „Es ist genug Geld da, und es gibt eine Vielzahl von Bereichen, in denen man gutes Geld verdienen kann.“ Dass die Stimmung gar nicht so schlecht ist, zeigt auch ein Blick auf die Dealaktivitäten im Fintechbereich: „Obwohl die weltweiten Fintechinvestitionen im Jahr 2022 zurückgingen, kann es keineswegs als schlechtes Jahr bezeichnet werden. Die Gesamtinvestitionen waren immer noch die dritthöchsten aller Zeiten“, sagt Anton Ruddenklau, Global Fintech Leader bei KPMG. Der aktuelle Marktreport des Beratungsunternehmens sieht ein Volumen von 164 Mrd. USD bei den weltweiten Investments in Fintechunternehmen. Die Anzahl der Deals lag mit knapp über 6.000 über den Werten der Jahre 2019 und 2020, was auf kleinere Tickets im abgelaufenen Jahr schließen lässt. Diesen Trend für ein reduziertes Volumen der einzelnen Deals sieht der KPMG-Report auch für die kommenden Monate.

2021 war ein Ausnahmejahr

Für Julian Ostertag, Managing Partner & Co-Founder von Drakestar, war 2021 ohnehin ein absolutes Ausnahmejahr: „Wir haben eigentlich 18 Monate Dealaktivität in einem Jahr erlebt, denn es gab eine Vielzahl von besonderen Einflüssen und Sondersituationen – insbesondere durch die Auswirkungen der weltweiten Corona-Pandemie.“ Die Investments im Fintechsektor liegen auch nach seiner Ansicht weiter auf einem vergleichsweise hohen Niveau, wenn man den langfristigen Trend im Auge hat. Auch gegenüber anderen Branchen sei der Fintechbereich unverändert sehr attraktiv. Zudem gebe es noch einen marktbeherrschenden Giganten – vergleichsweise mit Meta, Google oder Apple. Der Markt ist nach seiner Meinung immer noch recht fraktioniert mit Zehntausenden von Versicherungen, Banken sowie Asset- und Wealth-Managern. Mit einer Abkühlung bei den teilweise übertriebenen Unternehmens-bewertungen rechnet jedoch auch Ostertag.

Digitalisierung als Treiber

Als zukünftige Treiber sieht er die Bereiche Regulatorik und Digitalisierung. Banken und Versicherungen würden in den meisten Bereichen immer noch mit einer veralteten Technologie arbeiten. Immer wieder würden auch in Deutschland Fälle auftauchen, bei der die IT den Unternehmen einen unerwarteten Streich spielt. „Viele Institute stehen hier erst am Anfang. Ich kann bei Wise im Ausland mit wenigen Klicks ein Konto eröffnen – in Deutschland bekomme ich einen Umschlag mit 40 Seiten, den ich doppelt unterschrieben wieder zurückschicken muss. Da ist also noch sehr viel Luft nach oben“, fährt Ostertag fort. Die etablierten Unternehmen könnten in diesem Sektor viel Hilfe gebrauchen von jungen Firmen, die neue technologische Entwicklungen anbieten. Das sieht Möllmann ähnlich: „Ein wesentlicher Trend, der die Grundlage vieler Fintechmodelle bildet, ist die Dezentralisierung von Finanzdienstleistungen; ein weiterer die ‚Customer Experience‘ – beispielsweise eine Kontoeröffnung in wenigen Minuten – mittels herausragend guter Interfaces. Diesen Megatrend sehe ich nach wie vor. Und je mehr internet-/ mobileaffine Banking-Kunden es gibt, desto mehr wird die Nachfrage und der Bedarf an Fintechgeschäftsmodellen zunehmen, die diese Megatrends bedienen.“

Regulatorik zusehends wichtiger

Als ein wichtiges Trendthema sieht Ostertag auch den Bereich der Regulatorik. Dieser werde in der Zukunft immer bedeutsamer, und etablierte Unternehmen bräuchten hier ebenso dringend Unterstützung wie bei der Digitalisierung von Prozessen. Für Banken und Versicherungen – gerade wenn sie international aufgestellt sind – sei es sehr schwierig, bei den sich ständig ändernden Regeln den Überblick zu behalten. Die Frage der Regulatorik stellt sich spätestens nach den Betrugsskandalen um FTX und Stablecoin insbesondere im Bereich der Kryptowährungen. Ostertag ist überzeugt, dass in diesem Bereich genauer hingeschaut werden müsse. Gleichzeitig wundere er sich aber auch darüber, wie ein solches Geschäftsgebaren wie bei FTX unentdeckt bleiben könne, obwohl beispielsweise ein erfahrener Investor wie Sequoia mit an Bord gewesen sei. Nach seiner Meinung müsse in der Beurteilung eine Trennung von Blockchain und Kryptowährungen erfolgen. Er sieht in der Blockchain eine wesentliche Basistechnologie, die sehr hilfreich bei weiteren Digitalisierungsschritten und der Dezentralisierung von Prozessen sein könne. Die aktuellen Probleme der Kryptowährungen hätten im Grundsatz wenig mit der Technologie Blockchain zu tun.

Bafin schaut genauer hin

Ein geändertes Verhalten erkennt Ostertag bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), das sich aber auf etablierte Unternehmen genauso auswirkt wie auf Fintechs: „Die Bafin hat ihr Verhalten nach dem Wirecard-Skandal geändert, da sie nun selbst auch mehr unter Beobachtung steht. Sie arbeitet aber leider immer noch mit wenig Technologie, was sich oftmals als Hindernis erweist und die Prozesse dadurch stark in die Länge zieht.“ Fintechs stünden derzeit allerdings auch stärker in der öffentlichen Wahrnehmung. Das verstelle den Blick auf etablierte Banken, die für Regelverstöße immer wieder teils deftige Strafen zahlen müssen. Nach einer Auswertung der US-Organisation Good Jobs First wurden in den USA seit 2000 Strafen in Höhe von über 333 Mrd. USD ausgesprochen. Ein knappes Drittel davon geht allein auf das Konto der Bank of Amerika; die Deutsche Bank zahlte 18,3 Mrd. USD und Credit Suisse 10,5 Mrd. USD. Möllmann findet nicht, dass die BaFin einen besonderen Fokus auf Fintechs hat: „Die BaFin erfüllt ihren Überwachungsauftrag bei allen Marktteilnehmern gleichermaßen. Die Einhaltung regulatorischer Anforderungen ist eine Herausforderung für etablierte Player ebenso wie für jüngere Fintechunternehmen. Nach meiner Beobachtung hat sich die BaFin keineswegs auf Fintechs ‚eingeschossen‘. Unternehmen wie etwa Raisin, die eine Vollbank-Tochter haben (Raisin Bank), haben keinerlei Probleme mit dem Regulator.“

Fazit

Allen schlechten Nachrichten zum Trotz sind die Prognosen für den Fintechbereich weiter gut. Der Dealflow bleibt wohl auf einem hohen Niveau. Für neue Gründungen ist angesichts der notwendigen Digitalisierung noch reichlich Platz.