Bildnachweis: Ventech.
Der europäische Venture Capitalist Ventech hat bereits mehrere Fintechs erfolgreich mitaufgebaut und zum Exit begleitet, so wie jüngst FinTecSystems und Capcito. Welche Fintechkategorien in diesem Jahr Erfolg versprechen und wer es schwer haben wird, berichtet General Partner Christian Claussen.
VC Magazin: Fintech befindet sich in einer Abwärtsspirale. Wo sehen Sie die Branche derzeit?
Claussen: Offen gesagt haben wir im vergangenen Jahr im eigentlichen Fintechsektor wenige echte Innovationen gesehen. Wenn man die Blockchain-Technologie einbezieht, gab es einen kurzen, allerdings heftigen Hype um NFT- und DeFi-bezogene Geschäftsmodelle. Kryptowährungsbezogene Unternehmen litten dann aber im letzten Dreivierteljahr insgesamt sehr stark, es kam zu spektakulären Insolvenzen. Das hat allerdings auf Krypto spezialisierte USInvestoren wie Framework und a16z nicht davon abgehalten, weiterhin Hunderte von Millionen in diesen Sektor zu investieren, wobei sich einige dieser Projekte weiterhin schwertun, den Nachweis einer ausreichenden und nachhaltigen Value Proposition anzutreten. Zudem tun sie sich oftmals schwer bei der Erfüllung der erforderlichen regulatorischen Compliance. Es bleibt abzuwarten, welche Rolle Krypto/Blockchain längerfristig im Fintechbereich spielen wird. Trotz dieser generellen Kryptoabkühlung kann ich mir vorstellen, dass beispielsweise NFTs unter dem Aspekt eines mit vielschichtigen, digital durchsetzbaren Besitzrechten ausgestatteten Sammelobjekts tatsächlich zu einer neuen, digitalen Anlageklasse werden können.
VC Magazin: Welche Chancen sehen Sie für das Segment in diesem Jahr?
Claussen: Nehmen wir den Subsektor Open Banking, an dem man exemplarisch einen generellen Markttrend aufzeigen kann: Hier bieten mittlerweile viele Akteure sehr ähnliche Basisprodukte und -dienste an wie Zahlungsauslösung, Kontoauthentifizierung, Kontodatenanalyse, Echtzeit-Saldoüberprüfung oder Überprüfung der Identität des Kontoinhabers, auf denen ihre B2B-Kunden ihr jeweiliges Geschäft aufbauen können. Dieser Markt hat sich deshalb bereits konsolidiert und steht damit als Vorreiter für einen in anderen Teilbereichen noch überfüllten Fintechmarkt mit konkurrierenden Anbietern, die ähnliche oder identische Lösungen anbieten. Hier entstehen Chancen für große Wachstumsinvestoren oder Buyout-Fonds. Die größten Marktteilnehmer werden sich durchsetzen beziehungsweise Konkurrenten übernehmen, um stärkere und diversifiziertere Lösungen zu schaffen. Da die Finanzierung insgesamt schwieriger geworden ist und Bewertungen eher sinken, erwarte ich einen Bereinigungsprozess, der sich bereits in den ersten Insolvenzen aus 2022 und Anfang 2023 ankündigt.
VC Magazin: Wie schätzen Sie das hiesige Fintechsegment im europäischen und internationalen Vergleich ein?
Claussen: Deutsche Fintechs haben mittlerweile gestützt durch Leuchtturm-Unicorns (vornehmlich im B2C-Bereich) das Segment selbst bei großen Private Equity-Investoren salonfähig gemacht. Insgesamt hat der europäische Fintechmarkt viel Potenzial, da Menschen und Unternehmen bei Finanz- und Versicherungsgeschäften gerne auf nationale Anbieter vertrauen. Länder wie Skandinavien, Estland, Großbritannien oder die Niederlande sind in Bezug auf die Finanzierung von Fintechs aber weiterhin vorne. Nichtsdestoweniger hat die Baisse der Techunternehmen an den internationalen Börsen 2022 auch das Fintechsegment europaweit hart getroffen. Gut finanzierte internationale Unternehmen haben die Gunst der Stunde genutzt und sich auf den deutschen Markt gewagt. Hier erwarte ich weitere Übernahmen von nationalen Platzhirschen, während sich deutsche Fintechs bei der erfolgreichen Internationalisierung bislang leider eher schwergetan haben.
VC Magazin: Wie sehen Sie derzeit den deutschen und europäischen IPO-Markt?
Claussen: In Frankreich mehren sich die Initiativen zur Förderung der Börsennotierung französischer Tech-Start-ups. Initiativen wie die von LA French Tech 2019 gelaunchte und politisch breit gestützte Next40/120 – mit sechs nominierten Ventech-Portfoliofirmen – oder Euronexts Börsen-Community Tech Leaders wollen börsenfähigen Grown-ups den Weg zum IPO ebnen. Die französische Regierung hat den Wunsch geäußert, bis 2025 zehn Einhörner an die Börse zu bringen. Ventech hat das Momentum früh genutzt, um nacheinander anno 2021 das digitale Major-Musiklabel Believe an der Euronext und den in Frankreich gegründeten Deeptech-Halbleiter-IP Anbieter Arteris Inc. (Halbleiter-IP) an der Nasdaq einzuführen. Dennoch bleibt eine Börsennotierung für Techunternehmen in Europa derzeit schwierig. Angesichts der hervorragenden Qualität europäischer Tech-Start- und Grown-ups gibt es aber allen Grund zur Zuversicht. Auch wenn die Märkte für Börsengänge derzeit mehr oder weniger geschlossen sind, arbeiten alle Akteure tatkräftig daran, den nächsten Zyklus vorzubereiten. Wir können uns vorstellen, dass sich das IPO-Fenster zuerst in den USA im dritten oder vierten Quartal dieses Jahres wieder öffnet und dann die europäischen Börsen mit der üblichen Verzögerung von zwei bis drei Quartalen folgen.
VC Magazin: Welche Exitkanäle für deutsche Start-ups bewerten Sie angesichts der aktuellen Herausforderungen in diesem Jahr als krisensicher?
Claussen: Insgesamt sind Exits und Eigenkapitalfinanzierungen derzeit schwieriger. Bei Weiterfinanzierungen sehen wir eine stärkere Nutzung von Fremdkapital. Unternehmen nutzen hier zusätzliche Mittel in Form von Fremdfinanzierungen wie Venture Debt und Wandeldarlehen, Revolving- oder Revenue-Based Credit Facilities, um ihre Runway zu verlängern beziehungsweise profitabel zu werden. Wir erwarten – und sehen bereits – zudem eine stärkere Konsolidierung zwischen europäischen Start-ups als Antwort auf die während des Überfinanzierungszeitraums 2018 bis 2021 entstandene, teilweise überbordende Konkurrenzsituation. Resultierende M&A-Aktivitäten unter konkurrierenden Start-ups werden aufgrund synergetischer Produkt und Organisationspotenziale das Erreichen einer kritischen Größe ermöglichen. Dagegen werden Deeptech-Start-ups, die über bahnbrechend innovative Technologien oder Dienstleistungen verfügen, weiterhin Finanzierung bekommen und sich aufgrund der in Europa verfügbaren Spitzentechnologien langfristig etablieren. Im Gegenzug ist jetzt schon zu sehen, dass Investoren das Interesse an Start-ups verlieren, denen es an Potenzial, verteidigbaren Eintrittsbarrieren oder langfristig tragfähigen Geschäftsmodellen mangelt. Hier richtet sich das Augenmerk der Investoren nun verstärkt und bereits frühzeitig auf nachweisbare Unit Economics, erkennbaren Product Market Fit und andere wichtige Kenngrößen, bevor große (Weiter-)Finanzierungsrunden abgeschlossen werden können.
VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.