„Wir müssen endlich groß denken“

Kreislaufwirtschaft

Markus Solibieda, BASF Venture Capital & Michael Brandkamp, ECBF & Niclas Mauss, UnternehmerTUM & Philipp Boehm, Neew Ventures
Markus Solibieda, BASF Venture Capital & Michael Brandkamp, ECBF & Niclas Mauss, UnternehmerTUM & Philipp Boehm, Neew Ventures

Bildnachweis: BASF Venture Capital, ECBF, UnternehmerTUM, Neew Ventures.

Die Ressourcenknappheit auf unserem Planeten und die signifikanten Umweltwirkungen industrieller Geschäftstätigkeit erzwingen den Paradigmenwechsel: Immer mehr Marktteilnehmer verstehen Kreislaufwirtschaft als wichtigen Baustein auf dem Weg zur Klimaneutralität. Nachhaltigkeits- und Renditeziele gleichzeitig zu verfolgen ist dabei das neue Normal. Der Venture Capital-Industrie und Start-ups kommt einmal mehr die Rolle zu als Wegbereiter für wichtige Innovationen und neue Geschäftsmodelle.

BlackRock-CEO Larry Fink weiß es, auch Schauspieler Leonardo DiCaprio weiß es, im Grunde wissen wir es doch alle: Die Transformation von der Verbrauchs- zur Kreislaufwirtschaft ist dringend nötig. Eine verstärkte Kreislaufführung von Rohstoffen über das Recycling von Abfällen, aber auch die erneute Nutzung von Produkten und Komponenten würde den Druck auf Primärrohrstoffe deutlich mindern. Gleichzeitig würden Abfallmengen und CO2-Emissionen, aber auch geopolitische Abhängigkeiten verringert. Noch rückt der sogenannte Erdüberlastungstag stetig weiter vor – inzwischen sind schon im Juli alle Ressourcen verbraucht, die das Ökosystem der Erde innerhalb eines ganzen Jahres wiederherstellen kann. Ab dann leben wir auf Kosten der Substanz. Der Bedarf an Rohstoffen steigt weiter: Wurden im Jahr 1970 weltweit etwa 27 Mrd. Tonnen der Natur entnommen, so waren es laut einer Studie des Instituts für Energie- und Umweltforschung 2017 bereits 91 Mrd. Tonnen. Für 2060 wird ein Bedarf von global 167 Mrd. Tonnen prognostiziert.

Paradigmenwechsel beflügelt Investoreninteresse

„Es ist höchste Zeit, die Transformation zu beschleunigen: Wir müssen endlich groß denken, um Wirtschaftswachstum von Umweltschäden zu entkoppeln!“, fordert angesichts solcher Zahlen Dr. Michael Brandkamp, Managing Partner des 2020 ins Leben gerufenen European Circular Bioeconomy Fund (ECBF). „Schließlich hat jeder Rohstoffverbrauch Auswirkungen auf die Umwelt: Es werden Flächen verbraucht, riesige Abfallmengen entstehen, Emissionen und Schadstoffe werden freigesetzt. Zugunsten der Klimaziele, für mehr Biodiversität, aber auch für eine resiliente Wertschöpfung müssen wir Materialkreisläufe schließen.“ Um den Übergang von einer fossil- zu einer biobasierten Wirtschaft zu beschleunigen, investiert der ECBF ausschließlich in Wachstumsunternehmen der europäischen Bioökonomie einschließlich der Kreislaufwirtschaft. „Mit unserem Fondsvolumen von 300 Mio. EUR sind wir ein eher kleiner Player; trotzdem ist es gelungen, den Markt so zu triggern, dass auch größere Asset-Holder zunehmend auf diese Themen schauen. Der Paradigmenwechsel ist da: Heutzutage sind Renditen gefährdet, wenn Targets nicht ESG konform sind. Das lenkt immer mehr Investoren in diese Richtung!“ Tatsächlich hat sich der Impact Investing-Markt in Deutschland zuletzt dynamisch entwickelt, wie eine Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung aufzeigt – mit gut 12 Mrd. EUR ist das von den Teilnehmenden selbst deklarierte Volumen an sozialer oder ökologischer Wirkung orientierter Investitionen per 2022 deutlich gestiegen. Brandkamp: „Gesetzgeber, Investoren und Verbraucher erwarten heutzutage, dass Unternehmen die Transformation zur Kreislaufwirtschaft vorantreiben. Wir rechnen mit einer Welle der Biologisierung, die Lösungen für die drängenden Fragen unserer Zeit hervorbringen wird. Die Märkte sind riesig, da werden neue große Unternehmen entstehen. Der Venture Capital-Industrie kommt dabei eine immense Bedeutung zu, finanziert sie doch die Vordenker für innovative, dabei effiziente Materialien, Produkte und Prozesse!“

Jede ökologische Verschwendung birgt unternehmerische Chance

BlackRock-CEO Larry Fink ist jedenfalls überzeugt, dass die nächsten Einhörner keine Suchmaschinen oder Social Media-Firmen sein werden, sondern anpassungsfähige Innovatoren, die etwa günstige Alternativen zu fossilen Brennstoffen entwickeln. „Unsere gerade veröffentlichte Start-up-Landkarte belegt, dass immer mehr junge Unternehmen Kreislaufwirtschaft zum Kern ihres Geschäftsmodells machen, hierzulande sogar stärker als in den europäischen Nachbarländern“, bestätigt Niclas-Alexander Mauss, der am Münchner Innovations- und Gründungszentrum UnternehmerTum die neue Initiative Circular Republic mitbegründet hat. Sie will jungen wie etablierten Unternehmen die Innovationspotenziale zirkulären Wirtschaftens aufzeigen, Kollaboration stärken und gemeinsame Projekte initiieren. „Gründerinnen und Gründer haben verstanden, dass jede ökologische Verschwendung eine unternehmerische Chance birgt.“ 171 zirkuläre deutsche Start-ups hat die Initiative identifiziert, von denen etwa ein Drittel Produkte aus nachwachsenden oder recycelten Materialien herstellt. Als zweitstärkste Gruppe folgen Start-ups mit Technologielösungen oder Dienstleistungen zur Befähigung von Kreislaufprozessen, dann Jungunternehmen, die auf die Rückgewinnung von Materialien setzen. As a Service-Geschäftsmodelle sind bisher kaum vertreten. „Global betrachtet wurden 2022 5,36 Mrd. USD in zirkuläre Start-ups investiert, was jedoch lediglich 1,2% des gesamten investierten Kapitals entspricht“, erklärt Mauss und ist trotzdem zuversichtlich: „Dass eine Stadt wie München gerade zur Pilotstadt des EU-Projekts der ‚Circular Cities and Regions Initiative‘ wurde und ein Konzern wie BMW seine Strategie offiziell als ‚electrical, digital, circular‘ vorstellt, zeigt doch, dass die Idee der Kreislaufwirtschaft auf der Ebene der Makrotrends angekommen ist.“

Der Wille ist da, der Weg lang

Dabei ist das Konzept nicht neu, der Transformationsprozess nur überaus komplex, wie das Beispiel der BASF-Gruppe zeigt. Lange vor dem Green Deal der Europäischen Kommission und der Verabschiedung des deutschen Klimaschutzgesetzes hatte sich der Chemiekonzern zum Ziel gesetzt, bis 2025 den Anteil von recyceltem Material in seinen Produkten auf 250.000 Tonnen pro Jahr zu erhöhen, bis 2030 den CO2-Fußabdruck zu halbieren beziehungsweise bis 2050 vollständige Klimaneutralität zu erreichen. „Das ist eine machbare, aber immense Aufgabe: Die gesamte Wertschöpfungskette muss einbezogen werden, von der Beschaffung der Rohstoffe über die Entwicklung neuer Produktionsprozesse bis zur Entsorgung der Produkte am Ende ihrer Lebensdauer“, erklärt Markus Solibieda, Geschäftsführer der 2001 gegründeten BASF Venture Capital GmbH, die sich heute auf Investments in den Bereichen Dekarbonisierung, Kreislaufwirtschaft, Agtech, neue Materialien und Digitalisierung fokussiert. „Die technologischen Herausforderungen versuchen wir unter anderem zu lösen, indem wir ergänzend zu den Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten des Konzerns in neue Technologien wie zum Beispiel CO2-Abscheidung, Materialien – etwa biobasierte Kunststoffe – und Prozesse, beispielsweise Recyclingmethoden, investieren.“ Herausfordernd sei auch die Abstimmung zwischen Politik und Wirtschaft zur Schaffung der nötigen regulatorischen Rahmenbedingungen. Solibieda: „Die Transformationsformel in der Chemie lautet ‚weniger Emissionen für mehr Strom‘ – wir können nur klimaneutral werden, wenn wir industrielle Prozesse elektrifizieren. Dazu braucht es riesige Mengen grünen Stroms, ob zur Wärmegewinnung oder für die Produktion grünen Wasserstoffs. Die aktuellen Strompreise und auch die absoluten Einsparziele im Energieeffizienzgesetz machen das schwer.“ Ein „Geht-nicht“ gibt es allerdings nicht mehr – folgerichtig plane das Unternehmen zusammen mit RWE aktuell einen der größten Windparks in der Nordsee.

Digitalisierung ermöglicht verbesserte Abfallverwertung

Fehlt noch der Blick auf das Ende des Stoffstroms: Die Europäische Union produziert jährlich mehr als 2,5 Mrd. Tonnen Abfall, Deutschland immerhin 414 Mio. Tonnen per 2022. Pro Jahr landen mehr als 54 Mio. Tonnen allein in Europa auf Deponien. Sie sind damit einem nachhaltigen Verwertungsprozess in der Kreislaufwirtschaft endgültig entzogen. Um dieses ungenutzte stoffliche und energetische Potenzial zu erschließen und die damit verbundenen Prozesse digital zu optimieren, hat die EEW Energy from Waste GmbH (EEW) mit Sitz in Helmstedt – eines der in Deutschland führenden Unternehmen auf dem Gebiet der thermischen Abfallverwertung – 2021 Neew Ventures gegründet. „Als eigenständiger Company Builder unterstützen wir die Transformation der Abfallwirtschaft von der Beseitigungs- zur Kreislaufwirtschaft, indem wir innovative Lösungen und Geschäftsmodelle entlang der gesamten Wertschöpfungskette entwickeln“, erklärt deren Geschäftsführer Philipp Böhm. „Die erste Ausgründung ist gerade an den Markt gegangen: Das Berliner Start-up Wasteer ermöglicht thermischen Abfallverwertern mittels neuartiger digitaler Verfahren, Emissionen zu reduzieren, dabei die Rentabilität zu steigern.“ In der Erprobung sei zudem ein Climate Action Translation Engine, der die Auswirkungen klimapolitisch motivierter Managemententscheidungen auf den Gewinn aufzeigt. Böhm ist überzeugt: „Unternehmen, die ihre Klimaauswirkungen strukturell und transparent in die Entscheidungsfindung einbeziehen, werden langfristig von höheren Gewinnen profitieren. Darüber hinaus werden sie unvorhergesehene Risiken negativer Klimaauswirkungen vermeiden können.“