Bildnachweis: Energy Impact Partners, Climentum Capital, Planet A, World Fund, Walter Fries Corporate Finance, Baywa r.e. Energy Ventures.
Die Alarmzeichen nehmen seit Jahren immer weiter zu: Extremwetterereignisse, Dürren, Missernten, gewaltige Sturmfluten bis hin zu ausgewachsenen Tornados in Deutschland. Münchens größte Badewanne – der Gardasee – meldete gerade erst einen Füllstand von lediglich 43% und damit einen Rekordwert seit Beginn der Aufzeichnungen vor 70 Jahren. Keine Frage: Der Klimawandel hat begonnen. Höchste Zeit, die Anstrengungen gegen weitere Belastungen der Umwelt zu intensivieren.
Eine kleine Gruppe sieht einen Lösungsweg darin, sich mit Sekundenkleber auf viel befahrenen Straßen zu fixieren, Gemälde mit Kartoffelpüree zu bewerfen oder Gebäude mit Farbe zu besprühen. Einen etwas anderen Weg wählen aktuell immer mehr Venture Capital-Fonds weltweit, denn sie suchen gezielt nach Unternehmen mit neuen Technologien zur Vermeidung vom Klimaschäden oder Verbesserung der Energieeffizienz. „Den Klimawandel spürt mittlerweile jeder – auch in Deutschland. Drei Viertel unserer Wälder sind krank, Flüsse trocknen aus und Extremwetterereignisse häufen sich. Das sind alles Themen, die bekommen wir hautnah mit, und spüren die Auswirkungen am eigenen Leib“, sagt Daria Saharova, eine der Gründerinnen des Wagnisfonds World Fund.
Kein Hype, sondern langfristiger Trend
Insofern hält sie es für schwierig, die zunehmenden Finanzierungen im Bereich Impact Investing sowie Dekarbonisierung und Umwelttechnik lediglich als eine Art Modeerscheinung zu sehen: „Wir sind in einer Phase der Transformation. Die Suche nach Lösungen wird immer dringlicher. Wir haben eine Aufgabe vor uns, die uns vielleicht Jahrzehnte beschäftigen wird.“ Es gehe bei den aktuellen Investments also nicht um einen Trend oder einen neuen Investmenthype – wie Blockchain oder Krypto –, sondern um eine gesellschaftliche Aufgabe. Es sei aber ein wichtiges Signal, dass sich der Bereich Dekarbonisierung und Umwelttechnologie von der Entwicklung stark rückläufiger Trends bei Tech-Investments abgekoppelt hat. Ähnlich äußert sich in dieser Frage auch Ulrich Seitz, Geschäftsführer der BayWa r.e. Energy Ventures GmbH: „Ich sehe hier keine Investmentblase. Wir sprechen über fundamentale Probleme, vor denen wir auf der ganzen Welt stehen. Die Suche nach Lösungen wird uns eine Weile beschäftigen – und damit auch die Entwicklung von neuen Technologien antreiben.“ Für Tobias Seikel, einer der Gründer des Venture Capital-Fonds Planet A, ist ein möglicher Hype im Bereich der Investments in Umwelttechnologie erst einmal nicht als negativ anzusehen, denn „es muss viele Aktive geben, die das Thema vorantreiben. Wir brauchen ein breites Bewusstsein und das Zeitfenster ist klein.“ Jeder, der mit neuen Technologien oder mit Kapital dazu beitrage, neue Ansätze zu finden, trage zur gemeinsamen Aufgabe bei – und das sei erst einmal positiv. Dass die Investments in diesem Sektor schnell wieder abklingen, sieht er auch aus einem anderen Grund nicht: „Die fortschreitende Regulatorik weltweit zwingt die komplette Wirtschaft zum Umdenken und zur Anpassung von Produktion, Logistik und Umgang mitden Mitarbeitenden.“
Industrie braucht einen Wake-up-Call
Den erheblichen Druck auf Unternehmen, die aktuell am Markt erfolgreich unterwegs sind, erkennt auch Dörte Hirschberg, General Partner bei Climentum Capital: „Die Automobilbranche brauchte einen externen Wake-up-Call. Den hat sie durch den Erfolg von Tesla bekommen, und inzwischen produziert VW mehr Elektrofahrzeuge als Tesla. Daran erkennt man gut den Effekt von externen Einflüssen auf das Agieren eines großen Konzerns. Freiwillig wäre man einen solchen Schritt vermutlich nicht gegangen. Wir werden die Mehrheit der Bevölkerung nicht von Verzicht überzeugen können, sondern müssen bessere und nachhaltigere Alternativen entwickeln. Elektromobilität ist nun attraktiv und günstig genug, Autofahrer steigen um. Alternativen zu Milch schmecken endlich und machen nun 20% des Verbrauchs aus.“ Der 2022 gegründete Fonds mit Standorten in Kopenhagen, Berlin und Stockholm legt einen Schwerpunkt auf industrielle, oft hardwarebasierte Technologien, die eine nachhaltige Transformation ganzer Segmente ermöglichen. Als ein wichtiges Problem sieht Hirschberg die große Kapitalintensität bei Investments im industriellen Umfeld. Hier brauche es größere Summen und mehr Geduld als im schnell drehenden Softwarebereich. Eine mögliche Lösung sieht sie im Zusammenspiel von unterschiedlichen Finanzierungsformen wie Fördergeldern, Krediten und Eigenkapital, bis hin zu Joint Ventures von Start-ups mit Unternehmen der Old Economy.
Verlässliche Daten erheben
Was viele neue Wagniskapitalakteure im Bereich Dekarbonisierung und Umwelttechnologie eint, ist ein wissenschaftlich getriebener Ansatz. Mögliche Beteiligungen werden in einem ersten Schritt darauf geprüft, welche positiven Auswirkungen die Technologie und die späteren Produkte auf die Umwelt haben – durch Einsparung von Treibhausgasen und durch Verbesserung der Energieeffizienz. Die dabei ermittelten Kennzahlen fließen primär in eine Beurteilung des Zielunternehmens ein – kombiniert mit der klassischen Due Diligence. Für die Ermittlung der entsprechenden Daten arbeiten die Funds direkt mit Wissenschaftlern zusammen, um eine höhere Verlässlichkeit der Daten zu erreichen. Dabei geht es auch um eine Betrachtung der jungen Unternehmen nach einer Lebenszyklusanalyse mit einer größeren Zahl von Datenpunkten – nicht nur fokussiert auf CO2. Es kann daher durchaus passieren, dass die Investmentgesellschaften ein Investment trotz sehr vielversprechender finanzieller Kennzahlen ablehnen, wenn der Umwelt-Impact nicht ausreicht. „Wir erleben natürlich immer wieder ein Buzzword-Bingo. Aber dank unserer wissenschaftlichen Methoden bei der Beurteilung des Effekts auf Klima und Umwelt können wir aufgrund von transparenten Kriterien unsere Investmententscheidungen mit soliden Kennzahlen treffen“, so Seikel.
Neue Initiative gegründet
Die Schaffung einheitlicher Standards ist auch das Ziel der neu gegründeten Initiative Venture Climate Alliance (VCA). Die im April gegründete Organisation hat es sich zum Ziel gesetzt, Standards für einen Pfad zur Klimaneutralität für frühphasige Unternehmen zu definieren und bei deren Umsetzung zu unterstützen. Die Gründungsmitglieder der VCA sind die europäischen Wagniskapitalgeber World Fund und 2150 sowie Prelude Ventures, Capricorn Investment Group, DCVC, Energy Impact Partners, Galvanize Climate Solutions, S2G Ventures, Tiger Global und Union Square Ventures. Weitere Mitglieder sind Obvious Ventures, Congruent Ventures, Valo Ventures, Clean Energy Ventures, Fifth Wall, Overture Ventures, Blackhorn Ventures, Spring Lane Capital, Azolla Ventures, Systemiq Capital, The Westly Group, Innovation Endeavors und ReGen Ventures. Great Circle Capital Advisors, eine Beratungsfirma für Klimafinanzierung, unterstützt die Initiative. Mit dem Beitritt zur VCA verpflichten sich die Mitglieder zu einem mehrphasigen Zeitplan zur Dekarbonisierung. Zu Beginn messen die Unternehmen ihren direkten CO2-Fußabdruck und planen, bis 2030 oder früher einen Netto-null- oder Negativ-Emissionswert für ihre eigene Unternehmenstätigkeit zu erreichen.
„Race to Zero“
Die VCA wird nach eigenen Angaben von der Race to Zero-Kampagne der Vereinten Nationen anerkannt und bildet einen neuen branchenspezifischen Zusammenschluss im Rahmen der Glasgow Financial Alliance for Net Zero (GFANZ). Die VCA wird mit anderen branchenspezifischen Gruppen innerhalb der GFANZ zusammenarbeiten, um Methoden und Instrumente zu entwickeln, die für Investitionen in der Frühphase geeignet sind, und um Fachwissen über Klimalösungen im gesamten Finanzsektor zu teilen. „Venture Capital-Investoren haben früh Kontakt zu innovativen Firmen und als Gesellschafter und Board Member Einfluss auf die Strategie. Wir wollen diese Rolle nutzen, um diese Start-ups von Anfang an dazu zu motivieren und dabei zu helfen, ihren Beitrag zu ‚net-zero‘ zu leisten“, erklärt dazu Dr. Matthias Dill, CEO von Energy Impact Partners Europe. Dekarbonisierungsthemen seien sehr komplex und ließen sich meistens nur in einer gemeinsamen Anstrengung von Start-ups und etablierten Unternehmen lösen. Deswegen sei eine Zusammenarbeit mit führenden Industrieunternehmen wichtig.
Wohin soll das Geld fließen?
Doch wohin soll das Investmentkapital nun fließen? Angesichts der Vielzahl der Probleme ist diese Frage nicht einfach zu beantworten. Wesentliche Sektoren mit großen Einflüssen auf das Klima sind Mobilität, Ernährung, Energieerzeugung, Produktion und Bau. Saharova sieht aktuell eine falsche Allokation der Geldzuflüsse, denn in Mobilität und Energie würden unverhältnismäßig viele Mittel fließen. Für Landwirtschaft, Industrie und Bau bleibe derzeit nur wenig Geld übrig – hier sieht die Managerin mittelfristig Nachholbedarf, wobei sie im Bausektor aufgrund der aufziehenden Krise mit einem Innovationsschub rechnet. Weiterhin beklagen viele Fondsmanager einen Finanzierungs-Gap bei größeren Tickets oder Wachstumsfinanzierungen mit Series B- oder Series C-Runden. Gerade im technischen und industriellen Umfeld sei der Bedarf an Kapital besonders hoch und aufgrund langer Entwicklungszeiten auch Geduld gefragt.
Climate Adaptation wird wichtiger
Einen anderen Blick auf notwendige Entwicklungen hat Seitz, der angesichts des fortgeschrittenen Klimawandels auch fordert, dass eine „Climate Adaptation“ forciert werden muss. Im Klartext bedeutet dieser Ansatz, dass es auch neuer Technologien bedarf, um mit den bereits eingetretenen Auswirkungen der Erwärmung des Planeten umgehen zu können. „Wir müssen uns auf veränderte Bedingungen einstellen, denn die Temperaturen werden nicht plötzlich auf magische Weise aufhören zu steigen. Der Umgang mit dem Klimawandel und die Vorbereitung darauf sind ein eklatanter blinder Fleck in der heutigen Climatetech-Investmentszene“, erklärt Seitz. Dieser Bereich stecke aber leider noch in den Kinderschuhen. Auch beim Energiesektor hat er einen alternativen Ansatz, der die Bedeutung der Wärmeversorgung betont. Hier könne man einen ähnlichen Impact erzielen wie bei der Stromerzeugung. Durch den immer stärkeren Einsatz von erneuerbaren Energien sinke der Preis für den Strom immer weiter; langfristig sei ein Preis denkbar, der für Privathaushalte gegen 0 Cent geht. Also könnte auch mit „grünem Strom“ geheizt werden – notfalls auch mit wenig effizienten Heizlüftern –, um damit klimaschädliche fossile Energien bei der Wärmeerzeugung zu vermeiden.
Photovoltaikbranche brummt
Im Bereich der Stromerzeugung per Photovoltaik stehen die Zeichen in Deutschland weiter auf Wachstum. „Der Geschäftsklimaindex der Photovoltaikbranche hat im vergangenen Jahr ein Allzeithoch erreicht, und der Umsatz in dem Sektor steigt weiter. Die Energiekrise durch den Krieg in der Ukraine hat einen neuen Megatrend bei Photovoltaikanlagen ausgelöst – sicher auch in Kombination mit der Diskussion um die Wärmepumpentechnologie und veraltete Heizungsanlagen“, erklärt Holger Fries, Partner beim Beratungsunternehmen Walter Fries Corporate Finance GmbH. Er beobachtet einen deutlichen Anstieg bei der Bewertung von Unternehmen in diesem Sektor – egal ob jung oder etabliert. Im vergangenen Jahr lagen die EBITDA-Multiples im Mid- oder Small Cap-Bereich zwischen den Faktoren 8,00x und 12,00x. Zugleich sieht Fries aber auch einen Hemmschuh für weiteres Wachstum, da der Fachkräftemangel auch hier für Probleme sorgt. „Die Projektpipeline ist prall gefüllt, aber es fehlt das Personal für die Umsetzung“, so Fries weiter.
Fazit
Bei der Umwelttechnologie stehen also weitere Entwicklungen an – und die Branche braucht weitere Innovationen sowie den Zufluss von Kapital. Gleichzeitig muss nach Ansicht vieler Verantwortlicher sichergestellt werden, dass die Technologie diesmal in Europa weiterentwickelt wird und das wertvolle Know-how nicht über den großen Teich abwandert.