Bildnachweis: BioM Biotech Cluster Development GmbH.
Ein Stimmungsbarometer für die medizinische Biotechnologieindustrie ist unter anderem die jährliche Bio International Convention, die in diesem Jahr in Boston
stattgefunden hat. Nach einer offensichtlichen Aufbruchsstimmung im letzten Jahr
in San Diego mit hohen Erwartungen an die Post-Pandemie-Hausse war eher eine
abwartende und verhaltene Stimmung zu verzeichnen.
Diese zumindest gefühlte Passivität basiert sicherlich auch auf den teils ungünstigen Rahmen-bedingungen mit einer drohenden Rezession und Ängsten vor einer weiteren Finanzkrise nach dem Konkurs der Silicon Valley Bank. Sowohl der US-amerikanische Inflation Reduction Act (IRA) als auch das deutsche GKV-Finanzstabilisierungsgesetz tragen neben anderen Regulationsungetümen nicht dazu bei, höhere Investitionen besonders in Frühphasenentwicklungen zu erwarten.
Mehr Kapital notwendig
Die Corona-Pandemie hatte in der Biotechnologie einen Gründungs- und Skalierungs-Hype ausgelöst – als Antwort auf die diagnostischen als auch therapeutischen Herausforderungen. Viele neue Firmen, besonders solche mit innovativen Plattformtechnologien, wurden gegründet, andere wurden nach Jahren des langsamen Wachstums oder der Stagnation leuchtende Sterne am Aktien- und Investorenhimmel. Pandemien sind aber meist kein nachhaltiges Geschäft; die Forderungen nach einer „Pandemic Preparedness“ werden daher nur noch leise formuliert. Dennoch können zahlreiche und meist schon etablierte Firmen auch pandemiebereinigt weiterhin ein gutes Wachstum und ein stabiles Basisgeschäft verzeichnen. Andere und besonders junge und innovative Unternehmen haben aber ihren Platz auf dem zunächst boomenden Biotechnologiemarkt wieder verloren oder kämpfen um ihre Existenz. Letztere brauchen jetzt noch mehr Kapital, um ihre Meilensteine und ihr Exit-Potenzial zu erreichen. Das erfordert einen verlängerten und umfangreicheren finanziellen Nachschub vom Kapitalmarkt und kratzt auch an der einen oder anderen Fondsliquidität.
Neue Ansätze, großes Potenzial
Dabei sind gerade jetzt die Chancen für innovative Gründungen besonders in der Frühphase äußerst gut – denn im Schatten der Pandemie hat sich nicht nur das Feld der RNA-basierten Therapeutika weiterentwickelt, sondern auch andere vielversprechende therapeutische Modalitäten, quasi im ungewollten „Stealth Mode“. Die Zell- und Gentherapie und natürlich die Nutzung von künstlicher Intelligenz für eine beschleunigte und effiziente Entwicklung von Medikamenten, eine bessere Stratifizierung von Patienten sowie die Integration von anderen Deeptech-Lösungen haben ein unbestrittenes Potenzial, besonders für neurodegenerative und kardiovaskuläre Erkrankungen sowie für die Behandlung von Diabetes, Krebs und Krankheiten des Alters.
Die Basis ist vorhanden
Jetzt müsste man nur diese „Post-Pandemie-Opportunitäten“ schnell(er) in die klinische Prüfung bringen. Die Pandemie hat gezeigt, dass beschleunigte Zulassungen möglich sind. Viele Patientenvertretungen unterstützen diese Entwicklung vehement. Auch die etablierte Pharmaindustrie sucht die nächste Innovation nach der Pandemie, und es gilt, die vorhandenen Puzzlesteine zusammenzusetzen. Es wird keine Zeit mehr wie vor der Pandemie geben, aber wir müssen daraus unsere Lehren ziehen. Wir haben in Deutschland nach wie vor exzellente universitäre und außeruniversitäre Wissenschaftler und biotechnologische Fachkräfte. Ziel muss es jetzt sein, das notwendige Vertrauen in die Chancen der Biotechnologie in Europa und Deutschland weiter zu stärken und die Rahmenbedingungen nachhaltig zu verbessern. Es gibt keinen Grund, um die Branche der Biotechnologie besorgt zu sein. Im Gegenteil – und die Pandemie hat es gezeigt.
Zum Autor:
Prof. Dr. Ralf Huss ist seit 1. Januar 2023 neuer Geschäftsführer der BioM Biotech Cluster Development GmbH. Der Pathologe verfügt über langjährige Erfahrung sowohl in der akademischen Forschung als auch in internationalen Pharmaunternehmen.