Bildnachweis: BayBG, IZB, Digitales Zentrum Schwaben, Gründermotor, MBG Baden-Württemberg.
Gute Nachrichten aus dem Süden: Die Start-up-Metropole München hat dem bisherigen Spitzenreiter Berlin den Rang abgelaufen – zumindest teilweise. Bahnt sich hier eine Zeitenwende an? Akteure aus Bayern und Baden-Württemberg geben eine umfassende Brancheneinschätzung.
In „The Länd“ – wie sich Baden-Württemberg in seiner 2022 entwickelten Kampagne nach außen präsentiert – wächst die Gründerszene kräftig weiter. Gedüngt werden die jungen Pflanzen unter anderem durch umfangreiche Förderprogramme und Netzwerkaktivitäten der Landesregierung. „Wir erleben inzwischen eine vielfältigere und differenziertere Start-up-Kultur, getrieben von einer neuen Generation, die sowohl ökonomische, ökologische als auch soziale Impact-Ziele verfolgt“, erklärt Adrian Thoma, Mitinitiator des Gründermotors, der hochschulnahe Start-ups aus Baden-Württemberg mit Know-how, Kunden und Kapital zusammenbringt. Parallel habe sich auch eine differenzierte Szene bei den Venture Capital-Finanzierern entwickelt, von Dekarbonisierung und Greentech über Impact-Fonds bis hin zu Langfristinvestoren. Zudem seien auch vermehrt Ex-Gründer am Markt aktiv und würden mit ihrem Netzwerk bei Finanzierungen unterstützen.
Umfassende Unterstützung für Gründer
Das Land Baden-Württemberg hat sich intensiv um eine deutliche Verbesserung der Rahmenbedingungen gekümmert. „‚Start-up BW‘“ ist im internationalen Vergleich eines der umfassendsten Programme zur Förderung“, findet auch Guy Selbherr, Geschäftsführer der Mittelständischen Beteiligungsgesellschaft Baden-Württemberg. Von der Schaffung des richtigen Bewusstseins über ein großes Fördermittelangebot und individuelle Coachings bis hin zum Venture Capital-Fonds seien unter dieser Dachmarke alle wichtigen Aktivitäten zur weiteren Stärkung der Gründungsszene versammelt. „Auch wir engagieren uns intensiv – unter anderem mit dem Start-up BW Innovation Fonds. Wir haben ein initiales Investment des Landes genutzt, um durch Fundraising von externen Geldgebern wie Versicherungen, Banken und Stiftungen einen privatrechtlichen Venture Capital-Fonds zu schaffen, der mit knapp 45 Mio. EUR Investmentvolumen ausgestattet ist“, fährt Selbherr fort. Den Fokus der Gründungen in Baden-Württemberg sieht er im B2B-Tech-Sektor. Dies liege auch an der Chance, in diesen Bereichen die Kunden vor der eigenen Haustür zu finden. Der Effekt dieser Bemühungen werde immer stärker sichtbar. So gilt nach seiner Ansicht die Region Stuttgart in so manchem Startup-Ranking inzwischen als Top-Standort in Deutschland.
Vernetzung immer wichtiger
Für Thoma ist eine weitere Fortsetzung der starken Vernetzung der Aktivitäten im Land eine wichtige Aufgabe: „Die wichtigsten Mittel hierbei waren Kontinuität und Professionalisierung der Gründungsförderung organisiert in einem Public-Private-Ecosystem. Uns fehlen nicht die Start-ups oder die Industrie. Baden-Württemberg muss ein attraktiver und sichtbarer Investmentstandort werden, der Kapitalgebern einen effizienten Zugang zu spannenden Teams gewährt.“ Er sieht inzwischen eine gute Bewegung – auch weil sich die erste bereits erfolgreiche Generation von Gründenden wieder für ihr regionales Umfeld engagiert. Das führte in anderen Metropolen zu einer ungeheuren Dynamik. „Diesen Effekt erwarten wir nun auch in Baden-Württemberg“, konstatiert Thoma. Im Vergleich zu den Metropolen Berlin und München sieht Selbherr einen wesentlichen Unterschied: „Baden-Württemberg war schon immer ein Flächenland – dies gilt auch für die Start-ups. Wir haben auch Unicorns außerhalb der Ballungszentren. Der Trend hin zu mobilem Arbeiten macht es auch für Start-ups leichter, sich außerhalb der großen Metropolen zu etablieren.“
Bayern „muss keine Vergleiche scheuen“
„Die bayerische Start-up-Szene hat sich stark professionalisiert: Die Entrepreneurship Angebote der Hochschulen bereiten die Teams inzwischen sehr gut auf das Gründerleben vor“, so die aktuelle Statusbeschreibung von Dr. Marcus Gulder, Leiter Venture Capital bei der BayBG Bayerischen Beteiligungsgesellschaft. Die Investorenlandschaft habe sich unter anderem durch Family Offices deutlich verbreitert. Bester Indikator für den Reifegrad der Szene in Bayern sei das zunehmende Engagement von erfolgreichen Gründern aus Bayern als aktive Business Angels. Die bayerische Szene ist laut Gulder bekannt dafür, dass insbesondere im industriellen Deeptech-Umfeld beachtenswerte Gründungen sowie anschließende Finanzierungsrunden stattfinden. Mit der zunehmenden Kommerzialisierung der Raumfahrt werde diese Branche jetzt erstmals auch für Venture Capital attraktiv. Als Standortvorteil von Bayern – und im Speziellen von München – sieht Gulder die Kombination aus universitärer und außeruniversitärer Spitzenforschung, zahlreichen DAX-Konzernen, den Standorten der US-Tech-Giganten sowie einem breiten Investorennetzwerk. „Wir müssen national wie international keine Vergleiche scheuen. Ob letztlich München oder Berlin beim Deutschland-Ranking in Führung liegt, spielt für die relevante und global denkende Start-up-Szene ohnehin keine Rolle“, sagt Gulder.
Innovationsmotor für die Wirtschaft
Die Politik in Bayern sei sich der Bedeutung von Start-ups als Innovationsmotor für die Wirtschaft bewusst. So habe sich beispielsweise durch die Fondsdirektinvestments der LfA Förderbank Bayern die Venture Capital-Verfügbarkeit über alle Unternehmensphasen hinweg kontinuierlich verbessert. Während der Corona-Pandemie wurden Start-ups mit öffentlichen Finanzierungen stabilisiert und damit das kurzfristige Marktversagen erfolgreich überbrückt. „Die BayBG war in Bayern einer der Manager für diese öffentlichen Gelder und profitiert jetzt vom Zugang zu vielen interessanten Start-ups, die 2020 und 2021 diese Finanzierungen erhalten haben. Als Series A-Investor investiert die BayBG im ersten Schritt regelmäßig zwischen 1 Mio. und 5 Mio. EUR“, erklärt Gulder.
Nachfrage kaum zu bewältigen
Im Bereich Life Sciences gehört das Innovations- und Gründerzentrum Biotechnologie (IZB) in Martinsried bei München zu den größten Zentren in Europa und ist in seiner Dynamik seit Jahren ungebremst. „Wir haben einen Pool von circa 50 Entrepreneuren, die für ihre Biotech-Firmen gerne diesen Standort wählen würden. Leider können wir diese Nachfrage derzeit nicht bewältigen, da uns die Labor- und Büroflächen fehlen. Nur wenn ein Start-up den Kinderschuhen entwachsen ist und auszieht, rücken die nächsten Gründer und Gründerinnen nach“, sagt Dr. Peter Hanns Zobel, Geschäftsführer der IZB. Durch die nahezu einmalige Ballung renommierter Wissenschaftseinrichtungen gelte der Campus Martinsried als eine der weltweit ersten Adressen für Life Sciences. Dieses Umfeld biete eine herausragende Forschungsinfrastruktur und damit beste Voraussetzungen für hochkarätige interdisziplinäre Forschung.
Umfangreiche Neubauprojekte
Damit zukünftig noch mehr Aktivitäten bei der Grundlagenforschung möglich sind, werden die Max-Planck-Institute für Biochemie und für biologische Intelligenz in den nächsten Jahren mit einem Budget von über 500 Mio. EUR am Campus in Martinsried neu gebaut. Zahlreiche Institute der Ludwig-Maximilians-Universität sind hier in den Life Sciences vertreten, zusätzlich zum Helmholtz Zentrum und dem Klinikum München in Großhadern. Letzteres wird in den nächsten Jahren komplett neu gebaut. Allein für den ersten Bauabschnitt investiert der Freistaat Bayern 1 Mrd. EUR. Mit der Eröffnung des neuen Instituts für Chemische Epigenetik (ICEM) im Mai 2022 wächst der Campus stetig weiter. „Das Institut bietet ideale Voraussetzung für modernste Forschung an der Schnittstelle von Biologie und Chemie, befasst sich mit dem epigenetischen Code, der definiert, welche Gene des Erbguts zu welchem Zeitpunkt aktiv sind, und gibt Einblicke darüber, wie ein Organismus die Aktivität seiner Gene reguliert“, fährt Zobel fort.
Augsburg hat sich gemausert
Ein eher kleinerer Punkt auf der deutschen Gründungslandkarte ist Augsburg – doch im Kielwasser der benachbarten Metropole München haben sich hier zahlreiche junge Unternehmen und eine rührige Szene etabliert. Mit dem ERP-Anbieter Xentral hat die Stadt sogar bereits ein „Beinahe-Unicorn“ hervorgebracht, in das rund 100 Mio. EUR an Investments geflossen sind – unter anderem von den Startinvestoren Tiger Global und Sequoia. Mit dem Verkauf von Boxcryptor an den US-Giganten Dropbox gab es Ende des vergangenen Jahres auch einen viel beachteten Exit. „Mit dem Ausbau der Netzwerk-aktivitäten im Rahmen der Digitalen Gründerzentren in Bayern konnten wir in den letzten Jahren wichtige Programme und Unterstützungsleistungen für Start-ups in und um Augsburg initiieren, wie zum Beispiel unser Accelerator-Programm Nowtonext, die nunmehr ihre Wirkung zeigen“, erklärt Stefan Schimpfle, Geschäftsführer des Digitalen Zentrums Schwaben, das in Augsburg beheimatet ist. Viele Gründungen beschäftigen sich mit Geschäftsmodellen im digitalen Umfeld. Die zahlreichen Unterstützungsprogramme wie Start?Zuschuss! oder Exist würden den Schritt in die Selbstständigkeit unterstützen. Hinzu kommen vielfältige Coaching-Angebote und Netzwerkveranstaltungen – wie auch „Augsburg gründet!“ am 22. November. Abseits der zahlreichen IT-Gründungen in der Stadt hat sich das Unternehmen Hopper etabliert, das eine futuristische Mischung aus Auto und Elektrofahrrad auf die Straße bringt. Die Produktion beginnt in diesen Tagen; die ersten fahrbereiten Hopper tummeln sich bereits auf der Fahrradleitmesse in Frankfurt. Gründungskapital gab es nicht von den Juroren der „Höhle der Löwen“ – dafür aber von Business Angels und einer Crowd-Finanzierung.
Gründungen gehen weiter
„Wir sehen keinen rückläufigen Dealflow – wir sehen eher, dass die Gründungen besser durchdacht sind und sehr motivierte Gründer mit gutem Erfolg starten. Wir sind auch bemüht, selbst immer wieder Impulse zu setzen, um Finanzierungsangebote zu schaffen, und nutzen gezielt unser Netzwerk zu Finanzierungspartnern, um Kapital für Start-ups in BW zu mobilisieren. Der geplante Seedfonds ist eine der Initiativen“, erklärt Selbherr zur aktuellen Lage bei Gründungen und Finanzierungen. Auch Thoma bemerkt, dass Finanzierungen anspruchsvoller geworden sind. Zugleich sei das Klima für Investments gesünder geworden. „Der Markt normalisiert sich, teilweise wirken die hohen Unternehmensbewertungen aus vorangegangenen Runden jedoch noch als Bürde beim Abschluss von Anschluss-finanzierungen. Für gute Gründerteams mit einem skalierbaren Geschäftsmodell ist grundsätzlich der Zugang zu Venture Capital immer noch möglich“, schätzt Gulder die Situation ein. Sinkende Bewertungen bemerkt auch Schimpfle, aber es sei weiter viel privates Kapital am Markt unterwegs. Damit gebe es unverändert gute Aussicht auf Finanzierungsrunden. „Das Finanzumfeld ist zwar gerade etwas schwierig – wir können jedoch keinen Rückgang in der Nachfrage feststellen. In den letzten Monaten sind mit SCG Cell Therapy, Insempra, Tubulis, T-Curx, Atriva und Invitris sechs neue Start-ups in das IZB eingezogen. Zudem konnten wir als Biotech-Supporter die Unternehmen Klifo, Andera Partners und Leon Nanodrugs gewinnen“, so Zobel zum Bereich Biotech.