Bildnachweis: SEND, Bon Venture, EnjoyVenture Management/HIC.
Gewinnmaximierung auf Kosten von Umwelt und Gesellschaft passt nicht mehr in die Zeit. Stattdessen wird der Ruf nach ökologisch und sozial verträglicherer Wertschöpfung lauter. Innovative Lösungen kommen von Sozialunternehmen, die trotz Profitorientierung den Impact First-Ansatz verfolgen. So findet Social Entrepreneurship auch bei Venture Capital-Investoren zunehmend Beachtung. Neben die finanzielle Rendite tritt positive Wirkung als Zieldimension.
Lange bevor Greta Thunberg in den Schulstreik trat, registrierte der amerikanische Soziologe Paul Ray zur Jahrtausendwende einen zunehmenden Lifestyle of Health and Sustainability, also den gesundheits- und nachhaltigkeitsbewussteren Lebensstil der Gesellschaft. Heute sind die problematischen ökologischen und sozialen Auswirkungen industrieller Geschäftstätigkeit global verstanden. Auch die Ressourcenknappheit auf unserem Planeten erzwingt ein Umdenken. Dabei gelten skalierbare technologische und soziale Innovationen als Schlüssel im Transformationsprozess hin zu nachhaltigerem Wirtschaften. Start-ups können hier einen wichtigen Beitrag leisten. In Deutschland ordnete sich laut Deutschem Startup Monitor 2022 des Bundesverbands Deutsche Startups zuletzt bereits fast die Hälfte der Jungunternehmen der Green Economy zu (+13% gegenüber der Erhebung 2018). Stabile 42% sahen ihre Produkte oder Dienstleistungen im Bereich Social Entrepreneurship. „Eine staatlich adaptierte Definition für Sozialunternehmen gibt es hierzulande noch nicht“, erklärt Arnd Boekhoff, Vorstandsmitglied des 2017 gegründeten Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland (SEND). „Die aktuell 750 SEND-Mitglieder eint, dass sie gemeinwohlorientierte Zwecke mit unternehmerischen Mitteln verfolgen. Ihnen geht es in erster Linie um den Impact: Ihre Produkte oder Dienstleistungen sind immer ein Lösungsansatz für ein gesellschaftliches Problem. Profitorientierung ist dabei wichtig, um sich selbst ökonomisch erhalten zu können. Darüber hinaus werden Gewinne für Investitionen genutzt, die die gesellschaftliche Wirkung des Unternehmens weiter erhöhen.“ In den letzten Jahren ist Social Entrepreneurship so zunehmend ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Ein Katalysator dieses Wandels war die Verleihung des Friedensnobelpreises an Muhammad Yunus im Jahr 2006: Der bengalische Wirtschaftswissenschaftler hatte in Bangladesch Mitte der 1980er-Jahre die Grameen Bank gegründet und Mittellosen durch die Vergabe von Mikrokrediten Hilfe zur Selbsthilfe geleistet. Als Treiber der Entwicklung gilt auch die 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedete Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, die zur globalen Schaffung entsprechender Strukturen 17 Ziele definiert (Sustainable Development Goals; SDGs).
Finanzierung größte Herausforderung
Aufgrund ihrer hohen Diversität bei Wirkungsbereich, Geschäftsmodell und Rechtsform sind Social Enterprises im allgemeinen Unternehmensbestand bisher nicht ohne Weiteres statistisch zu erfassen. Beispiele reichen vom biozertifizierten Urban Gardening-Unternehmen Ackerhelden machen Schule gGmbH bis hin zur bundesweit aktiven Initiative, die jungen Menschen hilft, in Ausbildung und Arbeit zu kommen, statt ohne beides aussichtslos zu bleiben (Joblinge gAG). Orientierung bietet der vom SEND e.V. erarbeitete Deutsche Social Entrepreneurship Monitor 2021/22. Die Befragung von Social Enterprises ergab, dass sie insbesondere in den Sektoren Unterricht und Erziehung, Gesundheit und soziale Arbeit sowie Informations- und Kommunikationstechnologie aktiv sind. Mit ihren Tätigkeiten wirken sie am häufigsten ein auf die SDGs hochwertige Bildung, weniger Ungleichheiten sowie Gesundheit und Wohlergehen. 77,6% der befragten Social Enterprises haben ein weibliches oder mindestens geschlechtergemischtes Gründerteam. Über 60% widmen ihre Angebote Personenkreisen, die von sozialen Missständen betroffen sind – Kinder und Jugendliche (37,3%), Frauen/Mädchen (28,1%) und Menschen mit Migrations- oder Fluchthintergrund (28,1%). Knapp ein Drittel der Studienteilnehmer beschäftigt auch Menschen mit physischen oder psychischen Beeinträchtigungen. Die klassische GmbH ist die am häufigsten gewählte Rechtsform, dicht gefolgt von deren gemeinnütziger Version, der gGmbH, und dem gemeinnützigen eingetragenen Verein. Boekhoff kennt aber auch die Herausforderungen, nicht zuletzt aus seiner Aufgabe als Projektleiter für die Hamburger Initiative Viva con Agua, die sich für einen sicheren Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung einsetzt: „Die schwer nachvollziehbare Vergabe von öffentlichen Finanzmitteln, das Fehlen gezielter Anschlussfinanzierungen und der Mangel an Startfinanzierungen zählen noch zu den größten Hürden von Sozialunternehmen.“ Fremd- und Wagniskapital werde seltener genutzt als sonst in der Start-up-Branche üblich. Obwohl das Interesse von Corporates, Stiftungen, Family Offices und auch Venture Capital-Investoren spürbar ansteige, steht für Boekhoff fest: „Wenn wir neben Geld als Währung demnächst auf breiter Flur Wirkung als Währung stellen wollen, müssen wir diese Wirkung noch besser greifbar und kommunizierbar machen.“
Investoreninteresse und Impact-Markt wachsen kontinuierlich
Als High Impact-Investor früh in die Finanzierung von Social Enterprises eingestiegen ist die Münchner BonVenture-Gruppe: Seit 2003 gibt sie Risikokapital in Ticketgrößen ab 500.000 EUR an Sozialunternehmen, die gesellschaftliche Probleme mit innovativen, skalierbaren Konzepten lösen. Mittlerweile sind 100 Mio. EUR Assets under Management und der fünfte Fonds bereits in Vorbereitung. „Auch angeschoben durch die starke Entwicklung im Thema Environmental, Social, Governance (ESG) in den letzten Jahren gewinnt Impact Investing in Deutschland gerade an Dynamik“, berichtet Managing Partnerin Angela Lawaldt. „Bisher werden ESG und Impact häufig synonym gebraucht. Tatsächlich unterscheiden sie sich: ESG-Investments zielen darauf ab, negative Effekte zu vermeiden, und sie streben eine Rendite auf Marktniveau an (Finance First-Ansatz). Reine Impact-Investoren setzen dagegen Wirkung an die erste Stelle und akzeptieren dafür auch eine geringere finanzielle Rendite (Impact First-Ansatz). In der Praxis ist diese strenge Auslegung noch selten. Bei BonVenture gehen wir den Mittelweg und setzen auf doppelte Rendite: Wir verfolgen eine finanzielle Rendite auf Marktniveau sowie ein mit dem Investment vereinbartes ökologisches oder soziales Wirkungsziel.“ Fest steht: Nachhaltige Geldanlagen sind insgesamt weiter auf Wachstums-kurs. Ihre Gesamtsumme erreichte laut dem Forum Nachhaltige Geldanlagen per Ende 2022 in Deutschland eine neue Rekordmarke von 578 Mrd. EUR (+15%), weiteres Wachstum wird erwartet. Den Trend bestätigt auch die jüngste Marktstudie der Bundesinitiative Impact Investing von 2022: Mit knapp 39 Mrd. EUR lag das durch die Teilnehmer der Studie selbst deklarierte Volumen an Impact Assets deutlich über dem früherer Erhebungen.
Essenziell: Transparentes Handeln und messbare Wirkung
„Wir erleben speziell die Bereiche Elektromobilität, erneuerbare Energien, Kreislaufwirtschaft, Digitalisierung und künstliche Intelligenz gerade als sehr spannend. Dabei folgen wir bei Auswahl und Betreuungsprozess dem Ansatz regulärer Venture Capital-Fonds. Zusätzlich schauen wir auf die Impact-Absicht, die Messbarkeit der Wirkung und auch die Ernsthaftigkeit, sich regulatorisch prüfen zu lassen“, so Lawaldt. Schließlich ist BonVenture als einzige deutsche Fondsgesellschaft als European Social Entrepreneurship Funds (Eu-Sef) bei der Bafin registriert und somit der sozialen Wirkung der Investments sogar gesetzlich verpflichtet. „Auch wenn für uns das Reporting dadurch mit erhöhtem Aufwand verbunden ist, sehen wir es als essenziellen Bestandteil unseres Investmentkonzepts. In Zukunft wird nur im Wett-bewerb bestehen, wer Geschäftsmodell, Dienstleistung oder Produkt frühzeitig so aufgestellt hat, dass ein konstruktiver und klar messbarer Beitrag zu Umwelt und Gesellschaft entsteht.“ Die Partner bei BonVenture nehmen sich davon nicht aus: Ihre erfolgsabhängige Vergütung ist an die nachgewiesene Erreichung der Impact-Zielwerte der Portfolio-gesellschaften gekoppelt, um deren willkürliche Festlegung zu verhindern. Lawaldt: „Wir haben in der DACH-Region bereits 55 spannende Investments in den SDG-Schwerpunkten Umwelt, Bildung und Gesundheit getätigt. Das reicht vom Vorreiter bei der Digitalisierung des Altmetallrecycling ScrapBees bis zum Deeptech-E-Health-Start-up Perfood, das digitale Therapien auf Basis personalisierter, blutzuckerstabilisierender Ernährung anbietet. Auch sie beweisen, dass sich eine finanzielle Rendite auf Marktniveau und eine positive ökologische oder soziale Wirkung durchaus vereinen lassen!“
Dynamik steht noch am Anfang
Das Konzept der doppelten Rendite verfolgt auch der mit 50 Mio. EUR ausgestattete Human Impact Capital Fonds (HIC), der mit seinem First Closing im Oktober 2022 gemeinsam von redstone, EnjoyVenture und dem Ankerinvestor Bank für Sozialwirtschaft initiiert wurde. Der
HIC fokussiert sich auf die erfolgversprechendsten digitalen Social Impact-Start-ups in den Segmenten Gesundheit, Wohnen und Bildung. „Impact Investing ist in aller Munde, aber gerade in unserem Investmentfokus stehen wir am Anfang einer sich abzeichnenden Dynamik. Während viele Impact direkt mit Umwelt und Nachhaltigkeit verbinden, stellen wir als Deutschlands bisher einziger Social Impact Venture Capital-Fonds den Menschen in den Mittelpunkt und öffnen so das nächste große Investmentsegment“, erklärt Dr. Peter Wolff, Managing Partner der EnjoyVenture Management GmbH. „Marktumfeld und Timing passen: Die Affinität zu digitalen Lösungen in der Sozialwirtschaft nimmt zu, die Reife der Start-ups in den Zielsegmenten steigt, und die Folgefinanzierungen von Impact-Start-ups werden zunehmend vielfältiger.“ An aussichtsreichen Projekten mangele es nicht. Die ersten vier Investments seien bereits getätigt, erzählt Wolff mit Verweis auf die jüngste Seed-Finanzierung für die Pflegevermittlungsplattform Careloop. „Um solche Ansätze möglichst früh zu identifizieren, nutzen wir die von unserem Co-GP redstone entwickelte Analyseplattform Sofia, die uns – innerhalb eng mit den Investoren abgestimmter Suchfelder – europaweit spannende Technologie- und Investmentfelder scannt.“ Trotzdem sei bei potenziellen LPs gerade aus der Sozialwirtschaft noch Überzeugungsarbeit zu leisten: „Unsere Branche ist aktuell weiter als die Investoren, die wir adressieren. Einerseits ist das indirekte Investment in Social Enterprises für die großen Player der Sozialwirtschaft überaus interessant, weil sie Geschäftsmodelle, neue Ideen und Technologien am Markt probieren können, um sich selbst zu innovieren. Andererseits ist ein Investment in einen Start-up-Fonds oftmals absolutes Neuland für eine kirchennahe Bank oder Stiftung.“ Wolff ist überzeugt: „Die Zusammenarbeit zwischen etablierten Organisationen aus dem sozialen Sektor und innovativen Start-ups ist entscheidend zur Bewältigung der sozialen Herausforderungen unserer Zeit – sie sollte so normal werden wie heute schon das Venture Capital-Investment für große Corporates. Gründer, die Lösungen für diese Probleme entwickeln, werden nicht nur ordentliche finanzielle Renditen für unsere Investoren erwirtschaften: Gleichzeitig bringen sie unsere Gesellschaft voran und legen den Grundstein für die kommenden Generationen.“