Growth Financing im Jahr 2023

Neue Markttrends und Marktstandards

Dr. Martin Schaper, YPOG
Dr. Martin Schaper, YPOG

Bildnachweis: YPOG.

Nach dem Rekordjahr der Venture Capital-Branche anno 2021 begann ab Mitte
2022 für viele Technologieunternehmen und andere Growth Companies eine neue
Realität. Die steigende Inflation, der Zinsanstieg, der russische Angriffskrieg gegen
die Ukraine und auch die Energiekrise trugen dazu bei, dass Finanzinvestoren zunehmend zurückhaltender agierten und das Finanzierungsvolumen pro Finanzierungsrunde 2022 merklich abnahm. Dieser Trend hat sich im Jahr 2023 bisher fortgesetzt. Im Gegensatz zu 2021, als Unternehmen von einer Rekord-bewertung zur nächsten jagten, sind derzeit etliche Start-ups darum bemüht, die Bewertung aus der letzten Finanzierungsrunde zu halten.

Auch wenn nicht alle Sektoren gleichermaßen von den veränderten Rahmenbedingungen betroffen sind und viele Unternehmen weiterhin sehr erfolgreich neues Kapital aufnehmen können (Flight to Quality), sind die Veränderungen in der Transaktionspraxis spürbar, was exemplarisch anhand folgender Punkte gezeigt werden kann:

  • Längere Prozessdauer: Unternehmen sollten sich auf längere Prozesse bis zum Abschluss einer Finanzierungsrunde einstellen. Finanzierungsrunden im Jahr 2021 wurden häufig in sehr kurzer Zeit durchgeführt; mitunter lagen zwischen der Unterzeichnung des Term Sheets und der Beurkundung der finalen Verträge nur wenige Wochen oder gar Tage. Aufgrund des geänderten Marktumfelds werden die Due Diligences nunmehr intensiver und umfassender durchgeführt. Dementsprechend kommen auch häufiger Umstände ans Tageslicht, die in der Transaktionsdokumentation berücksichtigt werden müssen und bisweilen auch dazu führen, dass die kommerziellen Eckpunkte neu verhandelt werden.

 

  • Komplexere Term Sheets: Term Sheets für Finanzierungsrunden wiesen in den Jahren 2020 und 2021 ein hohes Maß an Vergleichbarkeit auf. Zudem ging der allgemeine Trend dahin, Term Sheets knapp zu halten (maximal eine bis zwei Seiten). Das war insbesondere bei kompetitiven Growth Equity-Runden der Fall, bei denen die (über mehrere Runden gewachsene) Beteiligungsdokumentation häufig ohne allzu große Änderungen fortgeschrieben wurde. Dieser Trend scheint sich aktuell zu wandeln. Term Sheets werden deutlich elaborierter und individueller. Das Schutzbedürfnis der Investoren ist deutlich gestiegen, was sich in der Komplexität der Vertragsdokumentation widerspiegelt.

 

  • Veränderte Vertragsbedingungen: Auch wenn aktuell (noch) nicht davon die Rede sein kann, dass bei den Vertragsbedingungen ein Paradigmenwechsel hin zu durchweg investorenfreundlichen Regelungen stattgefunden hätte, so sind doch klare Trends zu erkennen.

Am meisten Bewegung lässt sich aktuell bei Regelungen im Zusammenhang mit der Unternehmensbewertung ausmachen (sei es bei einer kommenden Finanzierungsrunde oder beim Exit):

  • Die einfache, anrechenbare Liquidationspräferenz, die vorrangig vor früheren Investments steht, ist zwar immer noch der Marktstandard, wird aber zunehmend hart verhandelt, und es sind mitunter investorenfreundliche Varianten (zum Beispiel zwei- bis dreifache anrechenbare Liquidationspräferenz) zu beobachten.

 

  • Die Weighted Average Downround Protection (meist in der gründerfreundlichen Broad Based-Variante) dürfte weiterhin der Standard sein; nur in absoluten Ausnahmen setzt sich mal die Full Ratched-Variante durch. Zunehmend bestehen aber Investoren auf Pay-to-play-Regelungen. Hierbei verlieren diejenigen Investoren, die ihren Pro-rata-Anteil im Rahmen der Downround nicht mittragen, mitunter nicht nur die Downround Protection in der jeweiligen Runde, sondern es soll auch zu einer Wandlung ihrer Vorzugs- in Stammgeschäftsanteile kommen. Diese Forderung wird im Rahmen einer Downround mitunter auch dann von neuen Geldgebern gestellt, wenn die Bestandsdokumentation eine solche Pay-to-play-Regelung bislang nicht vorsieht.

 

  • Aufgrund der Unsicherheit hinsichtlich der künftigen Marktentwicklung werden zunehmend Meilensteine oder Bewertungsanpassungsmechanismen vorgesehen. Mitunter sind diese Regelungen auch das Ergebnis einer kommerziellen Vereinbarung, um in der aktuellen Finanzierungsrunde eine Downround zu verhindern, aber gleichzeitig die (rückwirkende) Bewertungsanpassung zu ermöglichen, falls bestimmte Meilensteine (etwa Umsatzziele) nicht erreicht werden. Mitunter wird für diesen Zweck auch an die Bewertung der nächsten Runde angeknüpft und eine rückwirkende Bewertungsanpassung in der aktuellen Runde vorgesehen, wenn in der Folgerunde nicht ein gewisser Multiple (zum Beispiel das Doppelte der Post-Money-Bewertung nach der aktuellen Runde) erreicht wird; solche Regelungen sollten aus Unternehmenssicht natürlich nur eine Notlösung sein.

Auch exitbezogene Klauseln (insbesondere die Drag-along-Regelungen) stehen häufig im Fokus der Verhandlungen. Diese Beobachtung ist keineswegs neu, aber die eher moderaten Aussichten auf kurzfristige Bewertungssteigerungen führen dazu, dass sich viele Investoren (mehr denn je) dagegen absichern wollen, nicht kurz nach dem Closing in einen Exit gezwungen zu werden, ohne dass die Mindest-Return-Erwartungen erreicht sind. Demgegenüber ist es den Bestandsinvestoren wichtig, einen Exit ohne wesentliche Einschränkungen vollziehen zu können, wenn sich eine Exit-Opportunität bietet.

Im Bereich Corporate Governance lassen sich hingegen kaum nennenswerte Veränderungen ausmachen, sofern nicht ausnahmsweise die Verfehlungen der Gründer für die sinkende Unternehmensbewertung verantwortlich sind.

  • Mehr Wandeldarlehen: Viele Unternehmen, die neues Kapital im aktuellen Umfeld nur im Rahmen einer Downround aufnehmen könnten, versuchen, auf Wandeldarlehen auszuweichen. Da das Wandeldarlehen in der Regel in der nächsten Finanzierungsrunde zu der dann vereinbarten Unternehmensbewertung gewandelt wird, brauchen sich die Parteien bei Abschluss des Wandeldarlehens noch nicht auf eine Unternehmensbewertung zu einigen; die Festlegung der Unternehmensbewertung kann somit auf einen späteren Zeitpunkt vertagt und eine etwaige Downround für den Moment abgewendet werden. Das (häufig unterschätzte) Risiko besteht hierbei allerdings darin, dass Wandeldarlehen grundsätzlich einen Discount (in der Regel 10% bis 25%) auf die Bewertung der nächsten Runde gewähren. Gelingt es dem Unternehmen nicht, die eigene Bewertung bis zur nächsten Finanzierungsrunde zu erhöhen, und muss es schließlich doch eine Downround hinnehmen, kommt es zu einer weitaus größeren Verwässerung der Bestandsgesellschafter, da sich der Effekt der Downround Protection infolge des Discounts für die Wandeldarlehensgeber weiter verschärft.

 

  • Zunahme von Venture Debt: Über die letzten Jahre hat der Markt für Venture Debt-Finanzierungen eine regelrechte Boomphase in Deutschland erlebt. Durch den Ausfall der Silicon Valley Bank hat der Markt nur einen kleinen Dämpfer erhalten, und Konkurrenten sowie neue Venture Debt-Anbieter nutzen die Chance, ihren Marktanteil auszubauen. Während Venture Debt traditionell die Zeitspanne bis zur nächsten Finanzierungsrunde verlängern oder die Phase bis zu einem Exit beziehungsweise IPO ohne weitere Verwässerung der Gesellschafter überbrücken soll, schauen aktuell auch solche Start-ups und Wachstumsunternehmen nach Venture Debt, die Schwierigkeiten haben, neues Eigenkapital zu einer (aus ihrer Sicht) angemessenen Bewertung einzusammeln. Gerade diese Unternehmen werden es in der Regel aber schwer haben, Venture Debt zu attraktiven Konditionen aufzunehmen, da Venture Debt-Geber häufig neues Eigenkapital von Bestandsinvestoren oder neuen Investoren zur Voraussetzung machen, um das Kreditrisiko in Grenzen zu halten. Venture Debt ist damit, isoliert betrachtet, nur bedingt zur Vermeidung von Downrounds geeignet; eine Kombination aus Wandeldarlehen der Bestandsinvestoren kann hier das Mittel der Wahl sein, um eine für alle Parteien zufriedenstellende Lösung zu finden.

Zum Autor:

Dr. Martin Schaper ist Corporate Partner in der Kanzlei YPOG. Er berät Growth Companies, PE- und VC-Fonds sowie Finanzinvestoren bei M&A- und VC-Transaktionen sowie sämtlichen Fragen des Gesellschaftsrechts, schwerpunktmäßig auch bei der Errichtung von Europäischen Gesellschaften (SE) und bei Carve-out-Projekten.